Verhütung ohne Pause |
28.03.2005 00:00 Uhr |
Als die hormonelle Kontrazeption vor mehr als 40 Jahren eingeführt wurde, wählte man bewusst ein 21 + 7-Tage-Regime, um Pillen-Anwenderinnen das Gefühl von »Natürlichkeit« zu vermitteln. Heutzutage dagegen wollen viele Frauen auf die Blutungen zwischen den einzelnen Einnahmezyklen verzichten.
Zunehmender Beliebtheit erfreut sich der so genannte Langzyklus. Dabei nimmt die Frau ein Kontrazeptivum nicht länger als ein halbes Jahr ohne Unterbrechung ein. Nach der 21-tägigen Einnahme wird auf die siebentägige Pause, in der es gewöhnlich zur Blutung kommt, verzichtet, so dass der Hormonspiegel nicht abfällt und es somit nicht zur Blutung kommt. Laut verschiedenen Erhebungen hat sich die Einnahme des Ethinylestradiol-Dienogest-Präparats Valette® in der Langzyklus-Anwendung bewährt. Der Hersteller Jenapharm stellte erstmals anlässlich einer gynäkologischen Fortbildungsveranstaltung der Frauenärztlichen Bundesakademie verschiedene Befragungs- und Studienergebnisse vor.
An der SALZA-Analyse (Systematische Auswertung der Langzyklus-Anwendung) nahmen knapp 1000 Frauen teil. Dabei wurde die Monatsblutung zwischen drei und zwölf Monate ausgesetzt, bei guter (22 Prozent) bis sehr guter (67 Prozent) Verträglichkeit. 87 Prozent der Frauen gaben an, die Pille weiter in der Langzyklus-Anwendung einnehmen zu wollen. Die Befragung erfasste allerdings nur solche Frauen, die sich im Vorfeld bereits für den Versuch einer Dauertherapie mit dem oralen Kontrazeptivum (OC) entschieden hatten.
Einer Emnid-Umfrage zufolge gaben 34 Prozent von insgesamt 1000 Patientinnen an, keine monatliche Blutung mehr bekommen zu wollen. Als Gründe nannten sie in abnehmender Reihenfolge Urlaub, medizinische Ursachen, Sport, Bequemlichkeit, private und berufliche Motive.
Eine weitere Studie des Pharmaunternehmens zeigte, dass 90 Prozent von insgesamt 700 ehemaligen Valette-Anwenderinnen mit Kinderwunsch unabhängig von der vorherigen Anwendungsdauer nach einem Jahr schwanger wurden. Die Autoren der Studie folgern, dass Ängste um die Fruchtbarkeit auch nach einer längeren Pilleneinnahme unbegründet seien.
Langzyklus und Gesellschaft
Laut Dr. Katrin Schaudig, niedergelassene Gynäkologin und Referentin der Fortbildungsveranstaltung, spreche einiges gegen die häufigen Zyklen, wie sie bei Frauen in Industrieländern regelmäßig auftreten. Der heute übliche Einnahmezyklus der Pille mit 7-tägiger Pause, in der eine Regelblutung stattfindet, erkläre sich mit den gesellschaftlichen Normen der Zeit, in der sie entwickelt wurde. Medizinisch gäbe es keinen Grund dafür. Die Begründer der Pille beabsichtigten durch Nachahmung des natürlichen Zyklus die gesellschaftliche Akzeptanz des Verhütungsmittels zu erhöhen.
Die häufigen Zyklen der modernen Frau hält Schaudig keineswegs für »natürlich«. Späte Menarche, früher Tod und eine große Anzahl von Kindern, verbunden mit langen Phasen von Stillamenorrhö machen es wahrscheinlich, dass der weibliche Urmensch wesentlich weniger Zeit mit zyklischer Menstruation verbrachte. Schaudig sieht ihre Vermutungen in anthropologischen Untersuchungen am Naturstamm der Dogon (Mali) bestätigt. Frauen bekommen dort durchschnittlich nur 100-mal im Leben eine Regelblutung, in westlichen Ländern liegt die Zahl bei 450.
Zurzeit noch Off-label-Use
Aus medizinischen Gründen kann eine pausenlose Einnahme der Pille von Vorteil sein. So bei schmerzhafter oder starker Regelblutung, Eisenmangelanämie, zyklusbedingter Migräne, rezidivierenden Eierstockzysten, polyzystischem Ovarialsyndrom (PCO) und therapieresistenter Akne.
Der Langzyklus mit unterschiedlichen Kontrazeptiva ist in Deutschland noch eine Off-label-Behandlung. Es liegen zurzeit noch keine ausreichenden Daten über die Arzneimittelsicherheit bei Anwendung der unterschiedlichen Präparate im Langzyklus vor.
Estrogene mehr beachten Bislang wurde in der Verordnungspraxis oraler Kontrazeptiva den Partialwirkungen der Gestagenkomponente als Ovulationshemmer (OH) eine entscheidende Rolle beigemessen. Der »Zürcher Gesprächskreis«, bestehend aus sechs gynäkologischen Endokrinologen, gab nun neue Empfehlungen für die orale Kontrazeption heraus, die in eine völlig andere Richtung zielen. Demnach soll in Zukunft ein größeres Augenmerk auf die Estrogenkomponente, das Ethinylestradiol (EE) gelegt werden
»Der Estrogenzusatz in vielen Pillenpräparaten hat lediglich den Sinn, den Zyklus zu stabilisieren und so den kontrazeptiven Schutz zu erhöhen und den durch den OH verursachten Estrogen-Mangelerscheinungen vorzubeugen«, sagte Dr. Uwe Straßburger auf einer von Wyeth Pharma ausgerichteten Pressekonferenz. Dass diesen Zweck ein 20 µg-Präparat ebenso gut wie eines mit 30 µg EE erfülle, zeigt eine Studie mit einer Mikropille mit 20 µg EE und 100 µg Levonorgestrel (Leios®). Bei sehr gutem kontrazeptiven Schutz waren Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Übelkeit, Kopf- und Brustschmerzen unter der Pilleneinnahme nach einem Jahr mit Placebo vergleichbar. Trotzdem erhielten noch 80 Prozent der Frauen ein 30 µg-Präparat. Hier sei ein Umdenken der verschreibenden Ärzte erforderlich, so der Gynäkologe.
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