Politik 2 |
11.03.2002 00:00 Uhr |
PZ Der Virchow-Bund gibt den Kampf gegen Aut idem noch nicht auf. Er ruft die niedergelassenen Ärzte dazu auf, die Aut-idem-Regelung nicht anzuwenden. Der Ärzteverband führt Unterschiede bei Hilfsstoffen und Freisetzung ins Feld. Als Retourkutsche fordert der Verband ein Dispensierrecht für Ärzte. Der Deutsche Apothekerverband sieht in den Forderungen "blanken Lobbyismus".
"Solange nicht geklärt ist, ob Arzt oder Apotheker bei der Verordnung von Medikamenten haften, bedeutet das Gesetz ein nicht kalkulierbares Risiko für die Patienten", sagte der stellvertretende Landesvorsitzende, Hans-Martin Hübner, in Gießen. Das vor drei Wochen in Kraft getretene Gesetz sieht vor, dass Apotheker nach den Vorgaben des Arztes unter verschiedenen Angeboten möglichst preisgünstige Medikamente aussuchen.
Bei der Wirkung von Medikamenten spielten auch mögliche Hilfsstoffe, die Darreichungsform und die Freisetzung der Wirkstoffe im Körper eine Rolle, behauptet der Verband der niedergelassenen Ärzte. "Weil das alles jetzt nicht mehr beachtet wird, können sich gefährliche Unverträglichkeitsreaktionen ergeben", kritisierte Hübner.
Weil niemand das Arzneimittel und den Patienten besser kenne als der Arzt, fordert der Verband ein Dispensierrecht für Ärzte. Das "Aut-idem-Chaos" sei nur zu vermeiden, wenn die niedergelassenen Ärzte "im Interesse der Patienten die Grundversorgung selbst in die Hand nehmen".
Das Dispensierrecht für Ärzte stoppt aus Sicht des Ärzteverbandes auch die zügellose Bereicherung der Apotheker. So könne verhindert werden, dass die Apotheker aus betriebswirtschaftlichen Gründen jeweils das Medikament mit dem größten Naturalrabatt abgeben.
Ärzte verunsichern Patienten
"Hier wird blanker Lobbyismus zu Lasten der Patienten betrieben!" In derart scharfer Form verurteilte der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), Hermann Stefan Keller, die Reaktionen einzelner Ärzteverbände auf die seit kurzem gültige Aut-idem-Regelung. Mit immer neuen Schreckensvisionen von "Billigmedizin" und dem Verlust der ärztlichen Therapiehoheit würden Patienten verunsichert und massive Stimmungsmache zu eigenen Gunsten betrieben. "Wer so agiert, schadet letztlich nur einem, nämlich dem Patienten, der in seiner persönlichen Krankheitssituation zu Recht schnelle und wirksame Hilfe erwartet."
Der Arzt habe jederzeit die Therapiehoheit, betonte Keller. Er allein bestimmt den Wirkstoff des Arzneimittels, er legt die Wirkstärke, die Darreichungsform sowie die Packungsgröße fest. Nach diesen Vorgaben wähle dann der Apotheker ein preisgünstiges Arzneimittel aus. Die vermehrte Abgabe preisgünstiger Arzneimittel decke sich zudem mit den Vorstellungen der offiziellen Vertretungen der Ärzteschaft. So habe die Kassenärztliche Bundesvereinigung zum 1. Januar 2002 eine Zielvereinbarung mit den Krankenkassen getroffen, in denen die Ärzte sich verpflichtet hätten, in größerem Umfang preisgünstigere Arzneimittel zu verordnen. "Im Übrigen hat der Arzt jederzeit die Möglichkeit, Aut idem auszuschließen, wenn er selbst das konkrete Fertigarzneimittel auswählen will", sagte Keller weiter.
"Letztlich stehen hinter dem Agieren einzelner Verbände nur wirtschaftliche Interessen", meinte Keller. Dies werde besonders daran deutlich, dass der NAV-Virchow-Bund sogar das Dispensierrecht für Ärzte fordert. "Alle Länder, die dies als Notlösung wegen geringer Apothekendichte zulassen, haben - wie zum Beispiel die Schweiz - wesentlich höhere Arzneimittelausgaben pro Patient als in Deutschland. Die Aut-idem-Regelung werde die Krankenkassen dagegen entlasten. Das Bundesgesundheitsministerium rechnet mit Einsparungen von rund 250 Millionen Euro. Zudem zeige das tatsächliche Verordnungsverhalten, dass die weitaus meisten Ärztinnen und Ärzte Aut idem den Apothekern einräumen.
"Das ständige Agieren einzelner Verbände gegen Aut idem soll offenkundig nur die Patienten verunsichern. Ich halte das für unverantwortlich, denn als Folge nehmen möglicherweise manche Patienten ihre notwendigen Arzneimittel nicht richtig oder vielleicht sogar überhaupt nicht mehr ein", sagte der DAV-Vorsitzende. Er forderte die Ärzteverbände dazu auf, zu einer rationalen und praxisorientierten Diskussion zurückzukehren.
Keller hat in seiner Mainzer Apotheke beobachtet, dass Ärzte bei rund einem Drittel der Rezepte mit einem Stempel "Keine Substitution" die Aut-idem-Regelung verhinderten. "Im Moment stehen viele Ärzte unter politischem Zugzwang durch Empfehlungen der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die Empfehlung, sich nicht etwas wegnehmen zu lassen, ist im Moment Hauptmotivation, warum die Kreuzchen gemacht werden."
© 2002 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de