Pharmazie
Das Kolon- und Rektumkarzinom ist
die dritthäufigste Todesursache unter den viszeralen
Malignomen, die beide Geschlechter betreffen. Die
Häufigkeit steigt mit zunehmendem Alter (ab 40 Jahren)
und erreicht ihr Maximum mit 60 bis 75 Jahren. In
Deutschland erkranken jährlich etwa 20 bis 24 Menschen
pro 100000 Einwohner. Das entspricht 12 bis 15 Prozent
aller diagnostizierten Karzinome. Zum Zeitpunkt der
Erstvorstellung haben 20 bis 30 Prozent der Patienten ein
nichtoperables Karzinom. Heilungschancen bei kolorektalem
Karzinom gibt es nur dann, wenn der Primärtumor mit
ausreichendem Sicherheitsabstand reseziert und regionale
Lymphknoten- und Lebermetastasen entfernt werden können.
Etwa 70 bis 80 Prozent der Patienten können
potentiell kurativ chirurgisch behandelt werden. Die
5-Jahres-Überlebensrate liegt bei 90 Prozent (bei
positivem Lymphknotenbefall bei 30 Prozent). In 30 bis 70
Prozent der Fälle mit lokal fortgeschrittenem
Tumorwachstum oder Lymphknotenmetastasen kommt es in der
Regel innerhalb der fünf Jahre zum Rezidiv.
Dies bedeutet, daß die Prognose der Erkrankung mit dem
Stadium des Tumors bei der Erstdiagnose verknüpft ist.
Es wird daher versucht, durch adjuvante, nichtoperative
Maßnahmen die Prognose zu verbessern. Aufgrund des hohen
Nebenwirkungspotentials wird die adjuvante Chemotherapie
auf Patienten mit hohem Rezidivrisiko beschränkt. Seit
Februar 1995 ist ein Wirkstoff mit einem neuen
Wirkprinzip, ein monoklonaler Antikörper (Edrecolomab)
gegen das 17-1A-Zelloberflächenprotein, zur adjuvanten
Therapie verfügbar.
Chemische Klassifikation
Monoklonale Antikörper (MAK) sind hochkomplexe
Proteine mit einem relativen Molekulargewicht von circa
150 000. Der monoklonale 17-1A-Antikörper wird in vitro
aus fusionierten Mauszellen gewonnen. Zur Fusion wurden
eine B-Zell-Myelomlinie (P3-X68-Ag8) aus Balb/c-Mäusen
und Milzzellen von Balb/c-Mäusen verwendet, die mit
einer humanen Rektumkarzinomzellinie (SW 1083)
immunisiert worden waren. Der Isotyp des MAK ist IgG
2a.
Der monoklonale Antikörper aus der Maus (murin) stellt
ein neues Therapieprinzip zur adjuvanten Behandlung von
Patienten mit kolorektalem Karzinom im Stadium Dukes C
nach der Resektion dar. In erster Linie verhindert der
Wirkstoff die Metastasierung nach Resektion, während er
bei soliden Tumoren nur eine minimale Wirkung zeigt.
Die an sechs klinischen Zentren durchgeführte Studie,
deren Ergebnisse zur Zulassung geführt haben, belegt
eine Erhöhung der 5-Jahres-Überlebensrate sowie eine
verminderte Rezidivrate. Im Vergleich zu den
herkömmlichen Zytostatika, die nur Zellen in der
Teilungsphase angreifen, ist die zytostatische Wirkung
der Antikörpertherapie unabhängig vom Zellzyklus, so
daß eine wirksame Immuntherapie auch gegen metastatische
Zellen, die sich in der Ruhephase befinden, zu erwarten
ist.
Vergleichsstudien dieser Immuntherapie gegen die zur Zeit
empfohlene zytostatische Kombinationstherapie
(Fluorouracil mit Levamisol oder Calciumfolinat) sind
bereits angelaufen und werden bezüglich der besten
Wirksamkeit bei geringster Toxizität sowie des
Nutzen-Risiko-Verhältnisses voraussichtlich 1999
ausgewertet.
Klinische Prüfung
Das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis des
monoklonalen Antikörpers wurde vor allem durch die
prospektive, randomisierte Multizenterstudie belegt:
Insgesamt wurden 189 Patienten mit Darmkrebs im Stadium
Dukes C nach operativer Entfernung des Tumors
randomisiert mit MAK 17-1A (500 mg initial gefolgt von 4
Infusionen à 100 mg/Monat) behandelt (90 Patienten)
beziehungsweise nur beobachtet (99 Patienten).
Nach einem Beobachtungszeitraum von fünf Jahren konnte
in der Behandlungsgruppe eine im Vergleich zur
Kontrollgruppe um 30 Prozent verminderte Mortalität
sowie eine um 27 Prozent verminderte Rezidivrate
verzeichnet werden. Als unerwünschte Wirkungen wurden
vereinzelte Immunreaktionen gegen den Mausantikörper
gemeldet. Die Nebenwirkungen waren im Vergleich zu
herkömmlichen Zytostatika insgesamt schwächer
ausgeprägt.
PZ-Artikel von Barbara Peruche und Martin Schulz,
Eschborn
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