Pharmazeutische Zeitung online

Eine runde Sache

01.03.1999  00:00 Uhr

-TitelGovi-Verlag

ASPIRIN

Eine runde Sache

von Elke Wolf, Rödermark

Als 1969 das Raumschiff Apollo 11 zu seiner historischen Fahrt zum Mond abhob, war auch Bayers Aspirin mit an Bord. Die englische Königin Elisabeth II. sagte 1986 anläßlich eines Staatsbesuchs von Bundespräsident Richard von Weizäcker: "Deutsche Erfolge überspannen die ganze Breite menschlichen Lebens. Von der Philosophie über Musik und Literatur bis zur Entdeckung der Röntgenstrahlen und der Massenproduktion von Aspirin." Und der Filmgeistliche Don Camillo empfiehlt seinem grippegeschwächten Kontrahenten Peppone "ein Glas Wein und zwei herrliche Aspirin-Tabletten". Die Schmerztablette ist also in aller Munde. Trotzdem hat das Herstellerunternehmen auf gezielte Werbung gesetzt. Was hat sich in den letzten hundert Jahren getan?

Noch nie in der Geschichte der Medizin und der Pharmazie ist über ein einzelnes Arzneimittel oder eine einzelne Substanz so viel publiziert worden wie über Acetylsalicylsäure. Und der pharmazeutische Evergreen ist nach wie vor en vogue. Je älter er wird, desto mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit scheint er zu bekommen. Derzeit bringt es ASS auf jährlich rund 3500 Veröffentlichungen. Dabei spielt natürlich eine Rolle, daß es nicht beim Mittel gegen Kopf-, Glieder- und Rheumaschmerzen geblieben ist, sondern daß es sich zum Herzmittel etablieren konnte. Dem nicht genug bewahrt es vorbeugend erstgebärende Mütter vor durch Präeklampsie verursachte Früh- oder Totgeburten, verlangsamt diabetische Mikroangiopathien und scheint das Risiko zu verringern, an Dickdarmkrebs zu erkranken. Und eine weitere Karriere zeichnet sich seit 1997 ab: In Diethylether aufgelöste Acetylsalicylsäure lindert lokal Herpes-zoster-Schmerzen.

Zur Anpreisung in der Öffentlichkeit sind solche wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht geeignet. Seit jeher bewegt sich die Werbung für Arzneimittel auf dem schmalen Grat zwischen wissenschaftlicher Information und zugkräftigem Slogan. Schon um 1900 wurden zum Schutz der Verbraucher verbindliche Vorschriften über den "Umgang und den Vertrieb mit Geheimmitteln und ähnlichen Arzneimitteln" erlassen. Damit wollte man unkontrollierten und unprüfbaren Versprechen einen Riegel vorschieben, wie sie seit dem 16. Jahrhundert zum Repertoire der Marktschreier und Wunderdoktoren gehörten. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde diese Gesetzgebung durch die Polizeiverordnung der Länder ergänzt.

Im Laufe der Zeit wurden die Auflagen für die Pharmawerbung immer fester gezurrt. Einschneidend war beispielsweise 1965 das Heilmittelwerbegesetz (HWG), das in den folgenden Jahren bis heute stetig ergänzt wurde. Aus diesem Gesetz geht hervor, daß Werbung gegenüber medizinischen Fachkreisen und dem breiten Publikum getrennt werden muß, "um für den Laien als Verbraucher die Inhalte, Darstellungsformen und Verbreitungswege in besonderer Form zu regeln". Seit 1992 gibt es eine europäische Richtlinie zur Werbung für Humanarzneimittel. In Deutschland wurden diese Regelungen in das HWG übernommen. Heute darf im Mutterland von Aspirin nur noch für rezeptfreie Medikamente geworben werden – und auch das nur unter bestimmten Voraussetzungen. So soll die Werbung nicht den Eindruck erwecken, die Wirkung sei ohne Nebenwirkung zu erzielen. In Funk und Fernsehen spart man sich die ausführliche Beschreibung der Risikofaktoren und beschließt den Werbespot mit dem Satz "..... fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker".

Geburts- und Taufschein von ASS

Den Geburtsschein der Substanz, die ein Jahrhundert später immer noch beforscht werden sollte, stellte der Bayer-Chemiker Felix Hoffmann am 10. August 1897 aus. An diesem Tag trug er in sein Laborjournal ein, daß er sein Ziel erreicht und eine chemisch reine Acetylsalicylsäure hergestellt hatte (siehe Titelbeitrag in PZ 32/97). Verschiedene Chemiker vor ihm waren der "veredelten" Salicylsäure zwar auch schon auf der Spur; deren Syntheseprodukte enthielten aber immer noch Anteile freier Salicylsäure und damit stark Mund- und Magenschleimhaut-reizendes Potential.

Vor der Ware steht das Warenzeichen – und der Name. So brauchte ASS neben einem Geburtsschein ein zweites wichtiges Dokument: den Taufschein. Die Würfel waren schnell gefallen. Am 23. Januar 1899 entschieden sich der Bayer-Vorstand und ausgewählte wissenschaftliche Mitarbeiter des Pharmakologischen Instituts im "Cirkular betreffend Benennung eines neuen pharmazeutischen Produkts" für den Namen Aspirin und gegen Euspirin. Das A steht für Acetyl, die zweite Silbe "spir" ist eine Anlehnung an die mit Salicylsäure chemisch identische Spirsäure aus dem Saft der Spirstaude. Eher ins Reich der Geschichten und Geschichtchen gehört die Version, daß das Präparat nach dem Heiligen Aspirinus benannt worden sei, der Bischof von Neapel und Schutzpatron gegen Kopfschmerzen gewesen sein soll. Bereits am 1. Februar 1899 wurde Aspirin als Warenzeichen angemeldet und am 6. März 1899 unter der Nummer 36433 in die Warenzeichenrolle des Kaiserlichen Patentamtes in Berlin aufgenommen.

Aspirin war anfänglich nur in Pulverform erhältlich und wurde wie damals üblich von den Apothekern grammweise in Papiertütchen eingewogen und verkauft. Das ermunterte die Konkurrenz und illegale Geschäftemacher, die Originalsubstanz zu strecken. Die Klagen über unwirksame ASS häuften sich. Aber die Bayer-Laboratorien konterten: Sie entwickelten 1900 eine Formulierung, die sich zu Tabletten pressen ließ. Mit diesen Preßlingen – übrigens war Aspirin weltweit eines der ersten Präparate in dieser galenischen Form – schlugen sie gleich drei Fliegen mit einer Klappe: Erstens war damit den "Streckern" das Handwerk gelegt, zweitens ermöglichte die Tablettenform erstmals eine exakte Dosierbarkeit, und drittens senkte die großtechnische Herstellung den Verkaufspreis.

Von Streckern, Kopierern und Fälschern

Aber ein neues Problem ließ nicht lange auf sich warten: Waren es vor der Tablettierung die Strecker, machten nun Kopierer und auch Fälscher dem Herstellerunternehmen das Leben schwer. Zeitweise versuchten fast 1000 Firmen im In- und Ausland, Aspirin nachzuahmen, teilweise mit gefälschtem Etikett. Da Bayer nur in den USA ein Patent besaß – und auch das erlosch 1917 –, waren Herstellung und Vertrieb von ASS in anderen Ländern durchaus legal. Generika-Firmen gab es also auch damals schon.

Illegal waren aber die zahlreichen Fälschungen, die immer wieder aufgedeckt wurden. Diese hatten vor allem in den südamerikanischen Ländern Hochkonjunktur, weil es sich dort die schmerzgeplagten Menschen nicht leisten konnten, eine ganze Packung des Originalpräparates zu erwerben; sie kauften nur einzelne Tabletten. Und das kam Fälschern wie gerufen. Bayer wies deshalb die Patienten darauf hin, nur mit einem gelben Steuerstempel versehene Originalpackungen zu kaufen, "damit Sie sich vor der Gefahr durch ein Ersatzpräparat schützen".

Auch in Deutschland warnte Bayer die Patienten und Verbraucher in Rundschreiben und Anzeigen vor möglichen nicht oder ungenügend wirksamen Fälschungen. Mit einer Annonce in der Pharmazeutischen Zeitung vom 25. Januar 1911 machte Bayer die Apotheker auf Ersatzpräparate aufmerksam. Warteten die schmerzgeplagten Patienten vergeblich auf die Erlösung von ihrer Pein, dann war die Acetylsalicylsäure oft durch doppeltkohlensaures Natrium ersetzt worden. Auf dem Markt befanden sich aber auch Tabletten mit – wie man heute sagen würde – unzureichender Bioverfügbarkeit.

Publikumswerbung scheiterte an den Ärzten

Die Werbung in der "Anfangszeit" richtete sich überwiegend an Ärzte und Verbraucher. Der Versuch, vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland für Aspirin populäre Werbung beispielsweise in der Tagespresse zu schalten, scheiterte am heftigen Widerstand der Ärzteschaft. Grund war die Darreichungsform als Tablette, weil diese Einfluß auf das Wirken von Apothekern und Ärzten nahm. Die Chronik "Pharma-Verkauf" des Bayer-Konzerns von 1955 erklärt den Hintergrund: "Der Arzt, der die Medikamente verordnete, war es in alter Zeit gewohnt, seine Rezepturen selbst zu erstellen und sie dann vom Apotheker ausführen zu lassen. Nun kamen Heilmittel, die anstelle der individuellen Rezepturen treten sollten."

Der Erste Weltkrieg und der Zusammenbruch des Deutschen Reiches brachte dem bis dahin stark exportorientierten Geschäft von Bayer starke Einbußen. Warenzeichen und Patente wurden nach Kriegsende enteignet. In Anbetracht dieser Umstände schlossen sich die großen Firmen der deutschen Teerfarbenindustrie zur I.G. Farbenindustrie AG zusammen, und Bayer-Pharma fusionierte mit der pharmazeutischen Abteilung von Hoechst. Erst in den 30er Jahren konnte Bayer seine Präparate kontinuierlich in der Tages- und Zeitschriftenpresse bewerben.

Alle Erzeugnisse erhielten als besonderes Gütesiegel das Bayer-Kreuz ("Arzneimittel mit dem Bayer-Kreuz. Das Zeichen des Vertrauens"). Jede Broschüre, jeder Prospekt und jedes geeignete Werbegeschenk trug das rot-weiß-rote Zeichen. Zu der vorwiegend wissenschaftlich betonten Werbung kam ab 1935 die populäre Bayer-Wertwerbung hinzu. Aber: Für Einschränkungen der großangelegten Kampagne sorgten die Richtlinien des Werberates der Deutschen Wirtschaft, der seit Herbst 1933 die Aufsicht über das gesamte Reklamewesen im Deutschen Reich führte. Staatliche und parteiliche Instanzen hatten ein Auge auf Leuchtzeichen, Glas- und Emailleplakate geworfen. Sie durften nur noch sehr eingeschränkt an Außenwänden von Apotheken und Drogerien angebracht werden.

Anzeigen und Plakate als Zeitzeugen

Vergangene und aktuelle Werbekreationen zeigen nicht nur Produkte und ihre Werbebotschaften. Sie spiegeln vor allem den Wandel der Gesellschaft sowie ihrer Bedürfnisse und Vorlieben wider. Selbst veränderte Wertevorstellungen und Ideale finden ihren Niederschlag in der Werbung. Anhand der Aspirin-Werbung läßt sich der Wandel von ersten fast niedlich wirkenden Anzeigen über plumpe Anpreisung in den Nachkriegsjahren bis hin zu subtiler Kommunikationsstrategie deutlich verfolgen.

Die Anzeigen der 30er Jahre sind in der Regel klar nach Text und Bild gegliedert. Sie sind nicht gerade farbenfroh, der Hintergrund ist weiß oder kombiniert schwarz und weiß. Oft enthalten sie einen einleitenden hervorgehobenen Spruch, dann folgt eine längere Textpassage über die Produktvorteile. Die Anzeigen enden immer mit dem in Handschrift gedruckten Slogan "Ja, das ist Aspirin!". Sie richten sich an die breite Masse der Verbraucher. Aspirin wird als ein Heilmittel ausgelobt, das sich jedermann leisten kann und das auch jedermann hilft.

Aus den Anzeigen kann man eine unterschwellig vorhandene Skepsis der Verbraucher gegenüber Arzneimitteln deuten, denn immer wieder werden Reinheit und Unschädlichkeit betont. Zudem sei es besser, eine Aspirin zu nehmen, anstatt den Schmerz zu ertragen. Schmerz und Leiden als Gegenpol zu Aspirin werden überspitzt, teilweise als Bedrohung dargestellt. Bayer baute kontinuierlich das Image als Hausmittel auf, das immer zur Verfügung stehen sollte ("Es ist genauso wichtig wie Öl und Fett, wie Salz und Zucker – ja oft ist es sogar noch wichtiger.").

Der Zweite Weltkrieg veranlaßte zum Umdenken. Pappe und Papier durften nicht mehr für Werbezwecke herhalten. Jubiläums- und Festschriften, Postwurfsendungen oder Beilagen in Zeitungen und Zeitschriften waren generell verboten. 1941 wurde der Rohstoffaufwand für Werbung per Erlaß auf die Hälfte des Vorjahres beschränkt. Anzeigen, Faltblätter und Plakate durften nicht zum Kaufen auffordern, sondern nur noch aufklären und belehren. Im gleichen Jahr mußte Bayer seine Wertwerbung ganz einstellen und konzentrierte sich auf Lieferungen ans Militär.

Volksweisheiten in Kriegszeiten

Die Anzeigen der Kriegsjahre sind nicht sehr aufwendig. Neben wirtschaftlichen Engpässen machte Bayer auch Personalmangel wegen der verstärkten Rekrutierung zu schaffen. Deshalb beschränkte man sich darauf, Volksweisheiten oder Zitate mit dem Bayer-Kreuz zu unterlegen ("Vertrauen ist der erste Schritt zur Genesung", "Die Heilkunst ist unter allen Künsten die vornehmste", Hippokrates). Damit erreichte das Unternehmen, daß der Leser sich nicht nur für ein Produkt interessierte, sondern für den ganzen Konzern, und daß ein positives Image erhalten blieb.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Auflösung der I. G. Farbenindustrie verfügt, womit sich auch wieder die pharmazeutischen Abteilungen von Hoechst und Bayer trennten. 1951 wurde dann die Farbenfabrik Bayer AG gegründet und 1972 in die Bayer AG umbenannt. Etwa ab 1949 begann der Konzern wieder, gezielt zu werben. Dabei war er einer Reihe von Widrigkeiten ausgesetzt. Aspirin als Markenbegriff war praktisch demontiert. Zum einen wurde es nach den Kriegen in den USA, Frankreich und England als nicht geschütztes Präparat vermarktet, zum anderen war der Name Aspirin nicht mehr wert als die generische Bezeichnung für Acetylsalicylsäure. Aspirin war in dieser Zeit ein Produkt in den unterschiedlichsten Formen, Packungen, Packungsfarben und Schriftzügen.

Die Werbung Anfang der 50er Jahre ist zwar erstmals koloriert, unterscheidet sich aber hinsichtlich Gestaltung und Aussage kaum von der Vorkriegswerbung. Erst Ende des Jahrzehnts bekam sie ein deutlich verändertes Kleid. Das mag daran gelegen haben, daß bis 1959 Bayer-Mitarbeiter für die graphische Bearbeitung und die Textgestaltung in einem firmeneigenen Werbeatelier verantwortlich waren. Danach beauftragte das Unternehmen freie Graphiker, Agenturen und Naturwissenschaftler, um der Werbung einen neuen, vitaleren Anstrich zu verpassen. Besonders Aspirin sollte sich wieder zum internationalen Markenartikel etablieren. Um 1960 brachte Bayer die Pharmaverpackungen auf Vordermann mit dem Ziel einer einheitlichen Gestaltung. Deren Erscheinungsbild sollte Profil und eindeutige Unterscheidungsmerkmale zu Medikamenten anderer Firmen aufweisen, um Verwechslungen zu vermeiden. Das Design ist übrigens heute noch weitgehend aktuell. Ab 1966 wurde Aspirin in Blister verpackt. Anzeigen spielen mit der Phantasie

Die Anordnung der Anzeigeninhalte ist variationsreicher als noch fünf Jahre zuvor. Text, Graphiken oder Bilder sind nicht mehr scharf voneinander getrennt, sondern überlagern sich zum Teil. Farben, Symbole und Abstraktionen kommen zum Einsatz. So wird zum Beispiel der Schmerz visualisiert in Form von Blitzen oder gezagten Linien. Die Anzeigen gewinnen dadurch an Dynamik. Als eine neue Art, Aufmerksamkeit zu erregen, haben sich die Werbestrategen Phantasiefiguren einfallen lassen. Das soll erheiternd wirken und durch die bis dahin für Aspirin-Anzeigen unübliche Werbeweise Interesse wecken. Zum Beispiel doziert ein Wetterfrosch als Professor über die Vorteile des Aspirins, oder der Schmerzgeist wird verteufelt.

Mitte der 50er Jahre kommen keine sachlichen produktbezogenen Informationen mehr vor, es sei denn, sie beziehen sich auf die Handhabung der neuen Verpackung (Kunststoffschachtel mit Schiebeverschluß). Erstmalig tauchen auch Preis und Verkaufsort des Präparates in Anzeigen auf. Mit der schlichten Aussage "Aspirin hilft" wird das Medikament als Schmerzmittel dargestellt, das über jeden Zweifel erhaben ist. Das suggeriert dem Verbraucher, das Präparat von Welt habe weitere Anpreisungen und Erklärungen nicht nötig.

In den 60er und 70er Jahren hatte sich die Pharmaindustrie mit schärferen Wettbewerbsbedingungen und Imageproblemen auseinanderzusetzen. Bis weit in die 70er Jahre haftete Aspirin besonders im Vergleich zu den in Mode gekommenen Kombinationspräparaten ein negatives Image an. Den Magenschleimhaut-schädigenden Effekt schlachtete die Konkurrenz aus. Mit dem Heilmittelwerbegesetz 1965 und dem Contergan-Vorfall 1968 rückte der Aspekt der Arzneimittelsicherheit verstärkt in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.

Prostaglandinhemmung entdeckt

Eine positive Kehrtwende läuteten Ende der 60er Jahre amerikanische Studien ein, die die antithrombotische Wirksamkeit von ASS belegten. Für internationalen Aufschwung sorgte dann die Entdeckung des britischen Pharmakologen John Vane. Er entschlüsselte 1971 die Wirkweise von ASS. Aber seine Studien förderten nicht nur die Prostaglandinhemmung als Grund für die schmerzlindernde Wirkung zu Tage, sondern wiesen auch auf eine mögliche Thrombozytenaggregationshemmung im menschlichen Organismus hin. Damit war der Grundstein für die zweite Karriere des Aspirins gelegt.

All das hinterläßt deutliche Spuren in der Werbung. Neu sind Fotographien, hauptsächlich von Personen. Symbole oder Abstraktionen werden nicht mehr als Stilmittel eingesetzt - auch nicht mehr das Motiv Schmerz. Dafür wird Aspirin personifiziert und übernimmt eine aktive Rolle. Beispiele: Aspirin rettet die Situation, schenkt Wohlbefinden, bringt neue Aktivität. Oft werden die drei Indikationsgebiete Rheuma, Erkältung und Kopfschmerzen aufgeführt. Aspirin wird so als modernes, fortschrittliches und zuverlässiges Schmerzmittel verkauft, was es dank der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse ohne Zweifel von sich behaupten kann. Auf Hinweise wie langjährige Tradition und Erfahrung wird verzichtet. Und: Das Bayer-Kreuz taucht nicht mehr konsequent in allen Anzeigen auf.

Die 1971 auf den deutschen Markt eingeführte Brausetablette mit Vitamin C war zwar eine technische Innovation auf dem Schmerzmittelmarkt, der Konsument akzeptierte diese jedoch nicht sofort. Und auch Aspirin selbst hatte einige Absatz-Hänger. Kombinationspräparate liefen ihm zu Beginn der 80er Jahren den Rang ab. Zudem drängten Generikafirmen in Deutschland auf den Markt. Deshalb entschloß sich das Herstellerunternehmen zu einer Werbekampagne, die zwei Aspekte mit aller Deutlichkeit herausstrich: "Ein einziger Wirkstoff genügt", und "Bei Tabletten kann man nicht kritisch genug sein". Die Werbestrategen nutzten die allgemeine Skepsis der Bevölkerung gegenüber der Pharmaindustrie zum Aufbau ihrer Kampagne. Der Begriff kritisch wird positiv besetzt. Der kritische Verbraucher wird zum Leitbild der Kampagne. Bayer hatte damit Erfolg, Aspirin konnte sich behaupten.

Zehn Jahre später löst dann das Well-being-Konzept die Kritik-Strategie ab. Negatives wird nicht mehr direkt angesprochen, Positives wird stattdessen ausgeleuchtet. Statt vom peinigenden Schmerz ist von der wiederhergestellten Leistungs- und Erlebnisfähigkeit die Rede. Aspirin ist schließlich "immer für Dich da". Ein Slogan wie "Hallo, wie geht’s? Was macht der Kopf?" oder die dynamisch wirkende Metapher "sprudelt Kopfschmerz schnell weg" transportieren ein jugendlich-modernes Image. Aus der Ernsthaftigkeit und der sterilen Sachlichkeit der Anzeigen in den Anfangsjahren ist heute eine gefühlsbetonte Kommunikation geworden, die Vitalität verbreiten soll.

Anschrift der Verfasserin:
Elke Wolf,
Traminer Straße 13,
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