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Nitrendipin senkt Demenzrisiko

01.03.1999  00:00 Uhr

-PharmazieGovi-Verlag

Nitrendipin senkt Demenzrisiko

von Wolfgang Kämmerer, Wiesbaden

Ältere Hypertoniker, die konsequent mit dem Calciumantagonisten Nitrendipin therapiert werden, erkranken seltener an einer Demenz, so die Ergebnisse einer französischen Forschergruppe.

Bereits in der sogenannten Rotterdam-Studie von 1997 konnte gezeigt werden, daß Indikatoren einer Atherosklerose wie Hypertonie nicht nur mit einem erhöhten Risiko einer vaskulären Demenz, sondern auch mit einem höheren Morbus-Alzheimer-Risiko korrelieren. Obwohl die Hypertonie als höchster Risikofaktor gilt, beobachteten Wissenschaftler in der SREP-Studie (Systolic Hypertension in the Elderly Program) unter Chlortalidon keine Reduktion der vaskulären Demenz-Häufigkeit.

Um diese Widersprüche aufzuklären, untersuchten Forscher in einem eigenen Projekt während der Doppelblindstudie Systolic Hypertension in Europe (Syst-Eur), inwieweit durch Gabe des Calciumantagonisten Nitrendipin eine vaskuläre Demenz bei älteren Patienten mit isoliertem, systolischem Blutdruck verhindert werden kann. Die Syst-Eur-Studie wurde am 14. Februar 1997 unterbrochen. Bei der zweiten von vier geplanten Zwischenauswertungen fanden die Wissenschaftler einen signifikanten Vorteil der Therapie bezüglich des Endpunktes der Schlaganfallprävention.

Bei den ausgewählten Patienten konnte bei Studienbeginn keine Demenz diagnostiziert werden; sie waren mindestens 60 Jahre alt und wiesen zu Therapiebeginn einen Blutdruck von 160 bis 219 zu 95 mm Hg auf. Die Therapie bestand aus 10 bis 40 mg Nitrendipin täglich. Bei Bedarf erhielten die Probanden zusätzlich Enalapril (5 bis 20 mg/d) und/oder Hydrochlorothiazid (12,5 bis 25 mg/d). Ziel war es, den systolischen Blutdruck um mindestens 20 mm Hg zu senken und damit auf einen Wert unter 150 mm Hg einzustellen.

Die kognitive Funktion der Patienten wurde mit Hilfe des MMSE-Scores (mini mental state examination) erhoben. Betrug der Wert 23 oder weniger, erfolgte ein diagnostischer Test und eine CT-Untersuchung, um die Ursache der Demenz herauszufinden. Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug zwei Jahre.

Verglichen mit Placebo (1180 Patienten) senkte die Verum-Behandlung (n=1238) die Inzidenz einer Demenz um 50 Prozent von 7,7 auf 3,8 Fälle pro 1000 Patientenjahre (21 versus 11 Patienten, p=0,05). Besonders auffällig war dabei die erhebliche Reduktion des Auftretens von Alzheimer-Fällen (15 versus 8 Patienten), während sich eine vaskuläre Demenz bei vier Patienten der Placebo- und drei Patienten der Verum-Gruppe entwickelte.

Der mittlere MMSE-Wert zum Randomisierungszeitpunkt betrug in beiden Gruppen 29. Bei der letzten Bestimmung lag der systolische und diastolische Blutdruck in der Verumgruppe um 8,3 mm Hg beziehungsweise 3,8 mm Hg niedriger, während sich der durchschnittliche MMSE-Score nicht veränderte oder leicht verbesserte. Bei den Patienten der Kontrollgruppe nahm jedoch der MMSE-Wert parallel mit einem Absinken des diastolischen Blutdrucks ab.

Die Autoren schließen daraus, daß die Demenzhäufigkeit bei älteren Patienten mit isoliertem, systolischem Blutdruck durch die antihypertensive Behandlung erheblich sinkt. In der Diskussion der Studie wurde jedoch die Frage aufgeworfen, ob allein der antihypertensive Effekt für die Demenzreduktion insbesondere in Form der Alzheimer-Demenz verantwortlich ist. Möglicherweise besitzt Nitrendipin einen spezifischen, neuroprotektiven Effekt.

Da der Wirkstoff in der Lage ist, die Blut-Hirn-Schranke zu passieren, erscheint dies möglich. Hierfür sprechen auch die Ergebnisse weiterer Studien: Die Nitrendipin-Bindung findet im Rattenhirn hauptsächlich an den Orten statt, die primär bei einer Alzheimer-Erkrankung betroffen sind. Bei Patienten mit Alzheimer bewirkt ß-Amyloid einen Anstieg des intraneuronalen freien Calciums, wodurch es zu einer erhöhten Empfindlichkeit des Gehirns gegenüber Neurotoxinen kommen kann.

Quelle: Forette, F., et al., Lancet 352 (1998) 1347 – 51. Top

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