Pharmazeutische Zeitung online

Polycythaemia vera und essentielle Thrombozythämie

01.03.1999  00:00 Uhr

-MedizinGovi-VerlagONKOLOGIE

Polycythaemia vera und essentielle Thrombozythämie

von Annette Junker, Wermelskirchen

Bei der Polycythaemia vera und der essentiellen Thrombozythämie, zwei hämatologische Krankheitsbilder aus dem Formenkreis der myeloproliferativen Erkrankungen, kommt es zur krankhaften Vermehrung und Entartung verschiedener Blutzellen. Bei der Polycythaemia vera (PV) steigt die Zahl der Erythrozyten im Blut stark an. Im Gegensatz zu sekundären Polyglobulien kann bei der Polycythaemia vera aber meist auch eine erhöhte Leuko- und Thrombozyten nachgewiesen werden. Die essentielle Thrombozythämie (ET) manifestiert sich durch Proliferation der Megakaryozyten mit entsprechender Vermehrung und Funktionsstörung von Thrombozyten.

Bei beiden Erkrankungen handelt es sich um erworbene, klonale Veränderungen der Knochenmarkstammzelle und aller daraus hervorgehenden Zellreihen. Die Patienten leiden vorwiegend an Mikrozirkulationsstörungen der Extremitäten und des ZNS und entwickeln schwere Thrombosen, Embolien und Schlaganfälle. Während man die ET in allen Altersgruppen findet und diese sich im Verlauf wenig verändert, sind von der PV überwiegend Patienten über 50 Jahre betroffen. Unbehandelt beträgt die Inzidenz von Thromboembolien der Patienten mit ET etwa 6 Prozent pro Jahr, bei der PV liegt der Prozentsatz noch höher.

Die optimale Therapie der Erkrankungen ist bisher nicht definiert. Um das Risiko thromboembolischer Vorfälle zu senken, wird bei der PV eine Aderlaßbehandlung empfohlen. In vielen Fällen reicht dies allein aber nicht und die Patienten erhalten zusätzlich Alkylantien wie Chlorambucil oder Busulfan. Da die Patienten oft über Jahre behandelt werden müssen, und die Alkylantiengabe leicht eine Leukämie provoziert, wurde lange Zeit Hydroxyurea als Standardtherapie empfohlen. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, daß wahrscheinlich auch die Langzeittherapie mit Hydroxyurea bei PV mit einem Leukämierisiko von 8 bis 10 Prozent verbunden ist.

Zur Therapie der ET benötigen offenbar nicht alle Patienten eine zytoreduktive Behandlung. Teilweise können über Jahre die Symptome der Erkrankung durch eine Thrombozytenaggregationshemmung mit Acetylsalicylsäure unterdrückt werden. Neuere Therapieansätze beinhalten bei beiden Erkrankungen Interferon a und bei der ET das in den USA bereits zugelassene Anagrelide. Interferon a senkt zwar die vermehrte Zellbildung und damit die Inzidenz der thromboembolischen Ereignisse, aber circa ein Drittel der Patienten brechen die Therapie aufgrund der erheblichen Nebenwirkungen innerhalb der ersten zwei Jahre ab.

Anagrelide Hydrochlorid (Agrylin™) ist ein Chinazolinderivat, das zusätzlich zu thrombozytenaggregationshemmenden Eigenschaften vor allem die Proliferation der Megakaryozytopoese hemmt. Anagrelide führt in therapeutischen Dosen nicht zu einer signifikanten Änderung der Zellzahlen von weißen oder roten Blutkörperchen und scheint nicht Leukämie-induzierend zu wirken. Als Nebenwirkungen treten Kopfschmerzen, Herzklopfen, Diarrhöen und selten Herzrhythmusstörungen auf.

Letztlich müssen bei diesen Erkrankungen Risiken und Nebenwirkungen einer Therapie gegen den Nutzen abgewogen werden. Auch die neu erstellten Studienprotokolle der Deutschen Arbeitsgruppe für myeloproliferative Erkrankungen werden zur Klärung dieser Fragen beitragen.

Top

© 1999 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Mehr von Avoxa