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Definierte Arzneipflanzenextrakte auch aus der Teetasse?

17.02.2003  00:00 Uhr

Abführtees

Definierte Arzneipflanzenextrakte auch aus der Teetasse?

von Bernhard Meilhammer, Dietrich H. Paper und Gerhard Franz, Regensburg

Häufig wird der Begriff „Wirkstoff aus der Natur“ gleichgesetzt mit „gesund und unschädlich“, was bei der Anwendung abführend wirkender anthrachinonhaltiger Drogen, also zum Beispiel von Sennesblättern und -früchten, nicht immer der Fall ist. Der Einsatz dieser pflanzlichen Laxantia ist nach wie vor weit verbreitet, sie werden in der Apotheke oft verlangt.

Der folgende Beitrag gibt Hinweise für die Beratung in der Offizin bei der Abgabe von Abführtees. Er beruht auf praxisorientierten wissenschaftlichen Untersuchungen am Pharmazeutischen Institut der Universität Regensburg. Gleichermaßen werden Anregungen zur Definition und Gewährleistung qualitäts- und quantitätsbestimmender Merkmale im Rahmen der Herstellung von Handelspräparaten zur häuslichen Teebereitung gegeben.

Anthranoidhaltige Drogen und deren Zubereitungen wurden in Deutschland im Jahre 1990 der Apothekenpflicht unterstellt (1). Sie dürfen seither nicht mehr in Drogeriemärkten im Wege der Selbstbedienung in den Verkehr gebracht werden. Damit soll die unkontrollierte Anwendung dieser Naturstoffe unterbunden werden.

Anders als bei den stark wirksamen „Forte-Drogen“, die heute fast ausschließlich als einzeldosierte Fertigarzneimittel mit definiertem Gehalt im Verkehr sind, aber auch in Abgrenzung zu den „Mite-Drogen“, bei denen selbst bei exzessiver Anwendung Überdosierungen praktisch nicht vorkommen, handelt es sich bei den Anthranoid-Drogen um „Mezzoforte-Drogen“, die auf Grund möglicher Nebenwirkungen, gerade bei unsachgemäßem Gebrauch, Dosisbeschränkungen unterliegen (2): So ist die Zeitdauer der Anwendung auf eine bis zwei Wochen begrenzt, die entsprechende Monographie der Kommission E empfiehlt eine Dosis von 20 bis 30 mg Hydroxyanthracenderivaten pro Tag, bei geringerem Bedarf entsprechend weniger.

Bei sachgemäßem Gebrauch ist die empfohlene Dosis im Falle industriell hergestellter, standardisierter Extrakte sichergestellt. Anders stellt sich die Situation dar, wenn der Anwender selbst der „Extrakthersteller“ ist, wenn er also aus Teedrogen, ob nun lose oder im Filterbeutel, unter Haushaltsbedingungen einen Abführtee bereitet. Wie hoch ist hier im Einzelfall die Dosis an Hydroxyanthracenderivaten? Die im Folgenden beschriebenen Untersuchungen im Rahmen einer Dissertation liefern Erkenntnisse, die auch für das Beratungsgespräch in der Apotheke wichtig sind.

Unter Haushaltsbedingungen

Grundlage der Untersuchungen war die Festlegung eines Extraktionsverfahrens, das sich an den Bedingungen der Teezubereitung im Haushalt orientiert und reproduzierbare Ergebnisse lieferte (3). Zur qualitativen und quantitativen Erfassung der relevanten Inhaltsstoffe wurde unter Verwendung des heute meist verbreiteten Säulenmaterials, octadecylsilyliertes Kieselgel (RP18-Material), die „High Performance Liquid Chromatography“ – HPLC – eingesetzt (siehe Kasten „Material und Methoden“).

 

Material und Methoden Herkunft der Tees beziehungsweise der Teemischungen:
Die Tees wurden über den pharmazeutischen Großhandel bezogen.

Extraktion:
Die Extraktionsbedingungen wurden der Teebereitung im Haushalt nachgestellt:
Extraktionsgefäß: Keramiktasse (Durchmesser: 72 mm, Höhe: 85 mm), abgedeckt mit einem Uhrglas. Das Umschwenken des Drogenmaterials bzw. des Filterbeutels wurde durch gelindes Rühren auf einem Magnetrührer mit ca. 2 U/min reproduzierbar simuliert.
Das Drogenmaterial wurde mit genau 150 g kochendem, entmineralisiertem Wasser überbrüht, das Extraktionsgefäß stand dabei auf einer Waage.
Extraktionszeit gemäß der Gebrauchsinformation, soweit im Text nicht anders diskutiert.
Probenvorbereitung: Zentrifugation 5 min bei ca. 5000 U/min

HPLC-Bedingungen:
Säule. Eurospher 100 - C18; 5 µm; 25 cm x 4,60 mm, Fa. Knauer, Berlin
Vorsäule, Eurospher 100 - C18; 30 x 4,6 mm, Fa. Vertex
Hochdruckgradient: Pumpen, Typ 515, Fa. Waters, Eschborn
Flussrate: 1 ml/min
Säulenofen: STH 585, Fa. Gynkotek, Germering
Säulentemperatur: 25 °C

Mobile Phase:
Eluent A: Wasser/Acetonitril/Phosphorsäure 85 Prozent: 900 ml/100 ml/5 ml
Eluent B: Acetonitril HPLC-Qualität
Wasseraufbereitung: Milli-Q-UF plus - Anlage, Fa. Millipore, Eschborn
Autosampler: WISP 717 plus; Fa. Waters, Eschborn
Injektionsvolumen: 20 µl

Gradientenelution:
0 - 5 min konstant 10 Prozent B, 5 - 10 min linear auf 14 Prozent B, 10 - 20 min konstant 14 Proeznt B , 20 – 55 min linear auf 100 Prozent B, 55 – 65 min konstant 100 Prozent B, 65 - 75 min linear auf 10 Prozent B, anschließend Equilibrierung.

Vergleichssubstanzen:
Sennosid B: Fa. Extrasynthèse, Lot 94042923
Sennosid A: Fa. Extrasynthèse, Lot 94042917
Frangulin (A/B): Fa. Roth, Ch. B. 3879527
Glucofrangulin (A/B): eigene Isolierung aus löslichem Teeaufgusspulver Solubilax® N, säulenchromatographisch gereinigt und gefriergetrocknet.
Geringe Mengen der Sennoside A1, C, D1, der Sennosid-monoglucoside A und B sowie Aloe-emodin-glucosid und Rhein-8-O-glucosid wurden uns von der Firma Madaus als Referenzsubstanzen zur Verfügung gestellt, wofür wir uns herzlich bedanken.

Detektion:
Diodenarray-Detektor DAD 440, Fa. Kontron, Neufahrn
Software: Kroma 2000, Fa. Kontron, Neufahrn
Die Quantifizierung der Inhaltsstoffe erfolgte bei einer Wellenlänge von 270 nm.

 

Nach der chromatographischen Trennung der Inhaltsstoffe aus den nativen Teeaufgüssen wurden die Komponenten mittels eines Diodenarray-Detektors bestimmt und quantifiziert. Das UV-Spektrum eines jeden Peaks, dessen Retentionszeit und die typische Peakfolge im Chromatogramm erlauben eine eindeutige Identifikation der wertbestimmenden Inhaltsstoffe der Drogenextrakte.

Aus den Chromatogrammen ist ersichtlich, dass als überwiegender Anteil an Anthranoiden in den Sennesdrogen die Sennoside B, A, A1 und C sowie Rhein-8-O-glucosid vorliegen. Bei gleichermaßen untersuchten wässrigen Faulbaumrindenextrakten konnten als Hauptkomponenten die Glucofranguline A und B nachgewiesen werden.

Gehalt abhängig von Menge

Der Gehalt an Extraktivstoffen eines Drogenauszuges ist abhängig von der eingesetzten Drogenmenge. Diese jedem Kaffeetrinker geläufige Tatsache konnte auch bei der Zubereitung von Aufgüssen aus Sennesblättern bestätigt werden. Es wurden jeweils fünf Filterbeutel eines handelsüblichen Sennesblättertees vor der Extraktion einzeln gewogen. In Stichproben konnte festgestellt werden, dass die Massen des leeren Filterbeutels mitsamt des am Beutel befestigten Fadens und Papieranhängers praktisch konstant sind. So kann durch einfache Subtraktion des Taragewichtes der Nettoinhalt jedes Filterbeutels errechnet werden, ohne den Beutel zu zerstören, was bei strikter Anwendung der Arzneibuchmethode der Fall wäre. [Filterbeuteltees können auch im Rahmen der Prüfpflicht für Fertigarzneimittel nach § 12 (1) Apothekenbetriebsordnung stichprobenartig untersucht werden: Die Bestimmung der Bruttomassen der einzelnen Filterbeutel erlauben ohne großen Zeitaufwand und ohne Zerstörung des entsprechenden Produktes eine erste Abschätzung der Gleichförmigkeit der Masse lediglich unter Zuhilfenahme der in jeder Apotheke vorhandenen Rezepturwaage.]

Die Abweichungen der Nettoinhalte der Filterbeutel spiegeln sich in den ermittelten Sennosidmengen wider. Die Anthranoidgehalte dieses Handelsmusters schwanken zwischen 15,8 und 26,1 mg pro Tasse, oder anders ausgedrückt: Sie streuen zwischen 74 und 122 Prozent um den Mittelwert von 21,4 mg Anthranoiden pro Tasse Sennesblättertee.

Setzt man die Sennosidmengen ins Verhältnis zur eingesetzten Drogenmenge, liegen die gefundenen Werte zwischen 88 und 109 Prozent um den Mittelwert von 23,7 mg Anthranoid-Derivaten pro Gramm Droge.

Dies bedeutet für die Praxis in der Offizin, dass bei der Abgabe von Sennesblättertee Filterbeutel empfohlen werden sollten, da so eine genauere Dosierung möglich ist. Die Annahme, dass in den Haushalten die losen Drogen genau abgemessen oder gar abgewogen werden, entspricht nicht der Realität.

Umschwenken und umrühren

„Lose Droge unter ständigem Rühren liefert die beste Extraktion“: Um festzustellen, ob diese, für die Heißwasserextraktion von Ätherischöldrogen (4) gültige Erkenntnis auch auf die Zubereitung eines Sennainfus’ mit Filterbeuteln gilt, wurden zwei Versuchsreihen durchgeführt.

In der ersten Versuchsreihe wurde arzneibuch-konforme Sennesblätter-Feinschnitt-Droge in Filterbeuteln in das Standard-Extraktionsgefäß eingehängt, mit heißem Wasser überbrüht und während der gesamten Extraktionszeit nicht umgerührt. Die erhaltenen Extrakte wurden analysiert und mit den Werten von Aufgüssen desselben Präparates nach Entnahme aus den Filterbeuteln, also der losen Droge, verglichen. Um ein Zusammenballen der Feinschnittdroge zu verhindern, wurde der Ansatz ständig mit einem Magnetrührer in Bewegung gehalten (circa 2 U/min).

In der zweiten Versuchsreihe wurde das Heißwasser im Extraktionsgefäß mit den entsprechenden Filterbeuteln ebenfalls ständig durch maschinelles Rühren in Bewegung gehalten und somit das manuelle Bewegen des Filterbeutels in einer Teetasse reproduzierbar simuliert.

Die Ergebnisse: Während beim bloßen Einhängen des Filterbeutels in die Tasse nach 30 Minuten etwas mehr als die Hälfte (54 Prozent beziehungsweise 57 Prozent) der wertbestimmenden Anthrachinonderivate in das Extraktionsmittel Heißwasser übergetreten ist, waren bei den Filterbeutelansätzen mit „bewegtem Wasser“ bereits nach 15 Minuten über 90 Prozent des Wirkstoffgehaltes nachweisbar. Dem Anwender sollte deshalb geraten werden, für eine regelmäßige Durchmischung des Heißwassers mit dem Drogenmaterial durch Umrühren des Wassers oder durch Umschwenken des Filterbeutels zu sorgen.

Vorteile von Filterbeuteln

Neben der einfacheren Handhabung und der größeren Dosiergenauigkeit des Aufgusses mit industriell vorportionierten Filterbeuteln ist ein weiterer Vorteil die Möglichkeit, mit ihrer Hilfe fein geschnittenes beziehungsweise grob gepulvertes Drogenmaterial zur häuslichen Teebereitung einzusetzen. Dies ist wegen der Staubentwicklung und möglichen Entmischungsvorgängen bei losen Drogen und deren Mischungen nicht möglich.

Auf Grund dieser Tatsache können Filterbeutel-Teeaufgüsse auch wesentlich höhere Gehalte an Extraktivstoffen aufweisen als die entsprechenden Aufgüsse aus loser Droge. Dies konnte am Beispiel einer handelsüblichen Abführtee-Mischung gezeigt werden, die in identischer Zusammensetzung (Faulbaumrinde 50 Teile, Sennesblätter 20 Teile, Geschmackskorrigentien und Schmuckdrogen 30 Teile) sowohl lose als auch in Filterbeuteln im Handel erhältlich war.

Aus 2,5 Gramm loser Drogenmischung, die laut Gebrauchsinformation vorgeschrieben waren, wurden nach einer Extraktionszeit von zehn Minuten im Mittel 50,6 mg ( ± 5 Prozent) Hydroxyanthrancenderivate und hier überwiegend die Glucofranguline A und B aus der Faulbaumrinde sowie die Sennoside A und B extrahiert wurden. Hingegen war im Aufguss der Filterbeutel mit je 1,8 Gramm Droge die etwa 1,7-fache Menge an Wirkstoffen mit 86,6 mg (± 2 Prozent) nachweisbar.

Der Teeaufguss aus losem Drogenmaterial überschreitet bei dieser Teemischung die empfohlene Zufuhr von 20 bis 30 mg Anthranoiden pro Dosis etwa um das Doppelte, bei Verwendung der Filterbeutel befindet sich im Extrakt das Drei- bis Vierfache der empfohlenen Menge an Hydroxyanthracenderivaten.

Die höhere Extraktausbeute des Filterbeutels kann mit dem höheren Zerkleinerungsgrad der Rindendroge erklärt werden. Um der Gefahr einer möglichen Überdosierung entgegenzuwirken, sollten bei effektiven Drogen wie den hier beschriebenen quantitative Untersuchungen der erhaltenen Heißwasserextrakte und nicht nur der Ausgangsdrogen durchgeführt werden.

Zehn Minuten ziehen lassen

Wie lange soll man einen Sennesblättertee ziehen lassen? Die Kommission E empfiehlt eine Extraktionszeit von zehn bis 15 Minuten. Abweichend hierzu gibt es Empfehlungen einzelner pharmazeutischer Unternehmer, den Tee nur drei Minuten ziehen zu lassen. Um die Frage nach der optimalen Extraktionszeit zu beantworten, wurde ein Sennesblätter-Teeaufguss bereitet und zwei, fünf, zehn und 30 Minuten nach dem Überbrühen des Filterbeutels analysiert. Die graphische Darstellung des Gehaltes an Anthrachinonen gegen die Extraktionszeit ergibt eine Sättigungskurve, das heißt, die Konzentrationen der einzelnen Inhaltstoffe nähern sich asymptotisch einem Grenzwert.

Ein mathematisches Modell für den zeitlichen Verlauf der Extraktkonzentration c(t) bietet die Funktion c(t) = (cmax · t) / (k + t). Durch Umformung erhält man den Term 1/c(t) = (k/cmax) · 1/t + 1/cmax . Mit anderen Worten: Die reziproken Werte 1/c(t) und 1/t stehen in linearem Zusammenhang und sind somit mathematisch leichter handhabbar. Statt eines asymptotischen Kurvenverlaufes erhält man eine Gerade. Deren Schnittpunkt mit der Ordinate stellt den Kehrwert 1/cmax der maximal erreichbaren Extraktausbeute cmax bei theoretisch unendlicher Extraktionszeit dar.

Aus den zu den Zeitpunkten zwei, fünf und zehn Minuten ermittelten Anthrachinongehalten konnten auf diese Weise theoretische Maximalgehalte der verschiedenen Anthrachinonderivate im Aufguss ermittelt werden, zu denen die tatsächlich gemessenen Werte in Beziehung gesetzt werden können.

 

Tabelle 1: Aus Sennesblättertee freigesetzte Inhaltsstoffe in Abhängigkeit von der Zeit

  Sennosid BRhein-8-O-glucosidSennosid A1Sennosid CSennosid AGesamt cmax (theor.) (%) 100 100 100 100 100 100 c2 min (%) 59 60 65 52 60 59 c5 min (%) 79 81 84 76 79 79 c10 min (%) 87 87 91 85 88 87 c30 min (%) 89 89 94 84 92 90

 

Man erhält einen Überblick über das Lösungsverhalten der einzelnen Komponenten aus der Drogenmatrix in den Heißwasserextrakt. Es ist ersichtlich, dass nach zwei Minuten bei allen Komponenten etwa 60 Prozent des theoretischen Maximalwertes erreicht wurden. Nach zehn Minuten sind es bereits knapp 90 Prozent, ein Wert, der auch nach 30 Minuten praktisch nicht mehr überschritten wird (Tabelle 1).

Daraus lässt sich folgern, dass tatsächlich eine Extraktionszeit von zehn Minuten erforderlich ist, um ausreichende Mengen wertbestimmender Inhaltsstoffe aus Sennesblätter-Filterbeuteln zu erhalten. Eine weitere Ausdehnung dieser Extraktionszeit führt nicht zu relevant höheren Gehalten an wirksamen Inhaltsstoffen.

Bei Extraktionszeiten zwischen zwei und fünf Minuten steigen die Inhaltsstoffgehalte rasch von 60 auf 80 Prozent, das heißt, innerhalb dieser drei Minuten nimmt der Wirkstoffgehalt noch um ein weiteres Drittel zu. Diese Ergebnisse machen deutlich, dass Teezubereitungen mit unterschiedlichen, nicht genau bemessenen Extraktionszeiten starken Gehaltsschwankungen unterliegen: Auf Grund der schlechten Reproduzierbarkeit des Extraktionsergebnisses sind gerade kurze Extraktionszeiten unter zehn Minuten als nicht ideal zu bezeichnen.

Bessere Verträglichkeit?

Nach der Standardzulassung kann Sennesblättertee „auch durch Ansetzen mit kaltem Wasser und längerem Ziehen bereitet werden“. Der Vorteil eines Kaltmazerates wird häufig damit begründet, dass „dabei weniger ‚Harze’ in Lösung gehen, die für Leibschmerzen verantwortlich gemacht werden“ (5, 6, 7).

Unabhängig davon, ob diese Annahme stimmt und dass die chemische Konstitution dieser „Harze“ bislang unklar ist, wollten wir der Frage nach eventuellen Unterschieden in der Extraktzusammensetzung nachgehen. Dazu wurden Sennesdrogen – sowohl lose als auch im Filterbeutel – mit Wasser von Raumtemperatur übergossen und die Ansätze über Nacht stehen gelassen. Anschließend wurden diese nach der beschriebenen chromatographischen Methode untersucht.

Beim Kaltansatz über 15 Stunden ist die Menge an Hydroxyanthracenderivaten pro Aufguss deutlich geringer als bei der Zubereitung eines Heißwasseraufgusses nach jeweils 15 Minuten Extraktionszeit (Tabelle 2).

Tabelle 2: Gesamtmenge an Hydroxyanthracenderivaten pro Gramm Droge am Beispiel dreier Sennesblätteraufgüsse

   

absolut

relativ (%) Mustertee Nr.1:
(lose Teemischung) Heißaufguss 20,0 mg 100 Kaltansatz 11,3 mg 57 Mustertee Nr. 2:
(Filterbeutel) Heißaufguss 23,7 mg 100 Kaltansatz 17,7 mg 75 Mustertee Nr.3:
(Filterbeutel) Heißaufguss 30,1 mg 100 Kaltansatz 13,8 mg 46

 

Es wird deutlich, dass sich im Kaltwasserauszug bei gleichen Drogeneinwagen nur zwischen 46 und 75 Prozent des Gehaltes an wirksamen Inhaltsstoffen im Vergleich zum klassischen Überbrühen der Teedrogen mit heißem Wasser nachweisen lassen (5, 8).

Es verwundert somit nicht, dass bei geringeren Wirkstoffgehalten über eine bessere Verträglichkeit des Kaltansatzes berichtet wird. Alle Kaltextrakte enthielten kein Rhein-8-O-glucosid. Dieser Befund traf für alle untersuchten Handelspräparate zu und war stets reproduzierbar.

Von einigen Autoren wird „ein hitzelabiles Enzym (Glukosidase)“ postuliert, „das bei Temperaturen über 100 °C inaktiviert wird“(9). Diese Hypothese konnte durch folgende Sachverhalte gestützt werden:

  1. Die Auswertung der erhaltenen Chromatogramme zeigt das Vorhandensein der Sennidin-monoglucoside A und B im Kaltansatz, hingegen lagen diese Komponenten in den Heißaufgüssen nur in Spuren vor. Dies deutet auf die Abspaltung einer Glucoseeinheit aus einem (dimeren) Sennosidmolekül hin.
  2. Wird den Ansätzen nach erfolgter Kaltmazeration Rhein-8-O-glucosid zugegeben, so wird dieses durch die in das Kaltmazerat übergetretenen Enzyme abgebaut. Die Konzentration des zugesetzten Rhein-8-O-glucosides nimmt im zeitlichen Verlauf im Sinne einer Exponentialfunktion ab. Parallel dazu kann ein Ansteigen der Konzentration des entsprechenden Aglycons Rhein beobachtet werden. Der Verlauf dieses Anstieges entspricht jedoch nicht den exakten stöchiometrischen Verhältnissen; dies ist auf einen möglichen mikrobiellen Abbau des Rheins zurückzuführen.

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass in den Kaltauszügen Glucosidasen wirksam werden, welche ursprünglich in den Drogen enthaltene Hydroxyanthracen-Glucoside wie das Rhein-8-O-glucosid spalten.

Rhein-8-O-glucosid ist also tatsächlich eine „mengenmäßig eher unauffällige Verbindung (...)“, deren „enzymatischen Abbaureaktionen für die angeblich bessere Verträglichkeit wäßriger Sennesblätter-Kaltansätze verantwortlich gemacht werden können“ (8).

Sollte Rhein-8-O-glucosid eine schlecht verträgliche Komponente von Senna-Extrakten darstellen, so wie dies von Aloeemodin-8-O-glucosid berichtet wird (10), wäre sein Fehlen im Kaltansatz eine weitere Erklärung für dessen bessere Verträglichkeit; Rhein-8-O-glucosid wäre möglicherweise die Verbindung, die über mehr als ein Jahrhundert mit dem Begriff „unverträgliche Harze“ belegt worden ist.

Stabilität bei längerer Lagerung

Um die Stabilität der Anthracenglycoside bei längerer Lagerung zu überprüfen, haben wir ein Sennesblätter-Fertigarzneimittel untersucht, das laut Chargenbezeichnung neun Jahre alt war. Da keine Analysedaten dieser Ware zum Zeitpunkt der Herstellung existierten, haben wir unsere Ergebnisse mit den Daten anderer, frischer Sennesblätter-Chargen verglichen.

Es fällt auf, dass in den Aufgüssen der über viele Jahre gelagerten Ware die Gehalte an Rhein-8-O-glucosid erniedrigt, die Gehalte des Aglycons Rhein erhöht waren.

Am besten ist dies am Quotienten aus den extrahierten Mengen an Rhein-8-O-glucosid zum Aglycon Rhein ersichtlich. Während dieser Quotient bei untersuchter Frischware Zahlenwerte zwischen 9 und 30 annimmt, erreicht er bei gelagerter Droge lediglich Werte von etwa 2.

Zur Erklärung dieses Phänomens kann der oben beschriebene enzymatische Abbau des Rhein-8-O-glucosides im gelagerten Drogenmaterial als wahrscheinlich angenommen werden.

Es ist zu vermuten, dass neben der Lagerdauer auch die im Drogenmaterial enthaltene Restfeuchte zur Aktivität der Glucosidasen beiträgt. Der Quotient Rhein-8-O-glucosid/Rhein könnte somit als Indikator für eine sachgemäße Lagerung dienen.

Optimale Extraktion

In Abbildung 7 (nur in der Druckausgabe) sind die Anthranoidgehalte der untersuchten Handelsmuster dargestellt.

Es ist ersichtlich, dass die empfohlene Einzeldosis von 20 bis 30 mg Hydroxyanthracenderivaten von fast allen Handelspräparaten erreicht oder überschritten wird, wenn man von den Gehalten der Kaltansätze absieht.

Eine Extraktionszeit von drei Minuten ist zu kurz, um eine optimale Extraktion zu gewährleisten (siehe Muster Nr. 3).

Muster Nr. 4 ist durch stark streuende Extraktivstoffgehalte charakterisiert. Als Ursache fanden wir die stark differierenden Drogeneinwaagen der Filterbeutel.

In Nr. 6 ist das neun Jahre alte Sennesblätterpräparat dokumentiert. Die zur Teebereitung empfohlene Drogenmenge betrug 1,5 Gramm; eine Empfehlung, die sich als zu hoch herausstellt, da Sennosidgehalte von etwa 40 mg pro Tasse erhalten wurden. Dieses Beispiel zeigt erneut, dass die zur Teebereitung nötigen Drogenmengen nicht durch theoretische Betrachtungen, sondern durch Untersuchungen am erhaltenen Teeaufguss bestimmt werden sollten.

Offensichtlich war diese Vorgehensweise bereits Grundlage der im Falle des Handelsmusters Nr. 9 vorgenommenen Rezepturänderung: Während zuvor Sennosidgehalte über 30 mg pro Tasse erzielt wurden, erreichte man durch Zumischen indifferenter Erdbeerblätter den empfohlenen Wirkstoffgehalt von 20 mg Sennosiden pro Tasse.

Das lösliche Teeaufgusspulver A entspricht mit einem Anthranoidgehalt von 22,4 mg pro Einzeldosis ebenfalls den Dosierungsempfehlungen der Kommission E: Das Verhältnis der Sennoside zu den Glucofrangulinen beträgt hier etwa 1:1, was bei keinem anderen untersuchten Handelsmuster der Fall war. Dies kann produktionsbedingt sein. Der Hersteller wird die Sennesdrogen und die Faulbaumrinde getrennt extrahieren, um die gewonnenen Extrakte anschließend zu mischen und zu einem löslichen Pulver weiterzuverarbeiten.

Handelsmuster Nr. 8 stellt eine Mischung aus 25 Gramm Sennesblättern, 23 Gramm Tinnevelly-Sennesfrüchten, 25 Gramm Hagebuttenschalen, 11 Gramm Fenchel, neun Gramm Kamillenblüten und sieben Gramm Ringelblumenblüten, abgefüllt in Filterbeuteln mit je zwei Gramm Drogeneinwaage, dar. Die Untersuchung zeigte, dass die Hydroxyanthracenglycosid-Gehalte zwischen 30 mg und 40 mg pro Tasse liegen; etwa ein Drittel weniger Sennesdrogenanteil wäre der Indikation entsprechend, das heißt, die Einwaage an Sennesblättern pro Filterbeutel ist zu hoch.

Die Gleichmäßigkeit der Wirkstoffgehalte weist auf eine homogene Teemischung hin. Interessant bei dieser Teemischung ist ferner, dass die Packungsbeilage eine Menge von 125 ml Heißwasser zur Teebereitung vorschreibt. Deshalb wurden von den beschriebenen vier Extraktzubereitungen je zwei mit je 125 Gramm, die beiden anderen mit je 150 Gramm Wasser aufgebrüht. Die Extraktivstoffgehalte bewegten sich im Rahmen der üblichen Schwankungsbreiten, sodass eine erste Schlussfolgerung für die häusliche Teebereitung sein kann: Die Menge an eingesetztem Heißwasser spielt keine entscheidende Rolle, die Maßeinheit „eine Tasse heißes Wasser“ dürfte ausreichend genau sein.

Zusammenfassung

Die vorliegenden Untersuchungen zeigen, dass bei Heißwasserauszügen von Anthranoiddrogen die Gehalte und die Verteilungsmuster therapeutisch relevanter Inhaltsstoffe von den jeweiligen Extraktionsbedingungen und hier besonders von der Drogeneinwaage, dem Zerkleinerungsgrad des Drogenmaterials, der Durchmischung der Droge mit dem Heißwasser, der Temperatur des Extraktionsmittels und der Extraktionszeit abhängig sind.

Die derzeit verbindlichen Arzneibuch-Vorschriften legen lediglich die Qualität des Ausgangs-Drogenmaterials und die Streubreite der Drogeneinwaage beim Einsatz von Filterbeuteln fest.

Es sollte erwogen werden, die Freisetzung pharmakologisch aktiver Inhaltsstoffe bei der Bereitung von Heißwasseraufgüssen als ein qualitätsbestimmendes Merkmal für Teedrogen (-mischungen) heranzuziehen, wie dies bei festen Arzneiformen, transdermalen Pflastern oder wirkstoffhaltigen Kaugummis bereits der Fall ist.

Sinnvolle Voraussetzung für verbindliche Freisetzungsangaben bei der Herstellung von Heißwasseraufgüssen ist, dass

  1. die arzneilich wirksamen Prinzipien der eingesetzten Drogen bekannt sind; ersatzweise könnten Leitsubstanzen als Indikatoren für die pharmakologische Aktivität zur Verfügung stehen,
  2. ein allgemeiner Konsens über die (maximal) zu verabreichenden Einzel- und Tagesgaben an Wirkstoffen herrscht; bei vorwiegend „mild“ wirkenden Teedrogen wäre darauf zu achten, therapeutisch relevante Inhaltsstoffkonzentrationen im Heißwasseraufguss zu erreichen,
  3. für wertbestimmende Substanzen Methoden der Routineanalytik eingesetzt werden können,
  4. ein standardisierbares und damit reproduzierbares Extraktionsverfahren, das sich an der Praxis der häuslichen Teebereitung orientiert, zur Grundlage gemacht, also ein „Standard-Teebereitungsverfahren“ festgelegt wird. Als Extraktionsmittel könnte „Trinkwasser für Extraktionszwecke“ vorgeschrieben werden (11).

 

Literatur bei den Verfassern

 

Anschrift der Verfasser:
Professor Dr. Gerhard Franz
Pharmazeutisches Institut
Universitätsstraße 31
93040 Regensburg
Gerhard.Franz@chemie.uni-regensburg.de
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