Wechselwirkungen erwünscht |
08.02.1999 00:00 Uhr |
Wechselwirkungen zwischen Arzneistoffen werden oft skeptisch betrachtet; man fürchtet schwerwiegende Nebenwirkungen. Doch gerade dies könnte die Therapie der HIV-Infektion erleichtern. Protease-Hemmstoffe inhibieren das Cytochrom-P450-System. Wenn diese Stoffe gegenseitig ihren Abbau verlangsamen, können die Dosen verringert und die Einnahmeintervalle verlängert werden.
Die Einführung der Protease-Inhibitoren vor wenigen Jahren hat die Therapie der HIV-Infektion beflügelt. Potente Dreifachkombinationen, die "Highly active antiretroviral therapy" oder kurz HAART genannt werden, haben die Morbidität der Patienten deutlich reduziert. Manche opportunistische Infektionen sind selten geworden, und die Patienten leben länger. Doch sie zahlen ihren Preis dafür.
Neben den bekannten Kurzzeitnebenwirkungen gewinnen die unerwünschten Effekte bei Langzeitgabe zunehmend an Bedeutung. Privatdozent Dr. Jürgen Rockstroh von der Medizinischen Klinik der Universität Bonn nannte bei einem Satellitensymposium während den Münchner Aids-Tagen Ende Januar vor allem Auswirkungen auf den Stoffwechsel, zum Beispiel die Entwicklung einer Insulinresistenz bis zum Diabetes mellitus. Klinisch wurde das Lipodystrophie-Syndrom unter Protease-Hemmern neu beschrieben. Was versteht man darunter?
Lipodystrophie als Langzeitnebenwirkungen
Dieses Syndrom beinhaltet bei HIV-positiven Patienten eine Fettumverteilung, metabolische Veränderungen im Fett- und Zuckerstoffwechsel sowie Symptome wie Hyperurikämie, gestörtes Nagelwachstum und trockene rissige Lippen. Dr. Achim Schwenk von der Klinik I für Innere Medizin in Köln beschreibt die Fettumverteilung so: Das Unterhaut-Fettgewebe an Armen und Beinen wird dünn und die Venen treten deutlich hervor. Die Wangen fallen ein, so daß die Patienten "krank" aussehen. Dafür bildet sich Fettgewebe am Bauch, im Nacken (Stiernacken) und an der Brust.
Laut Schwenk entdecken etwa 10 bis 70 Prozent der Patienten diese Veränderung der Körperform an sich. Patienten, die nicht mit Protease-Inhibitoren behandelt werden, leiden deutlich seltener an einer Lipodystrophie. Das therapeutische Vorgehen ist unter Ärzten noch umstritten, denn nicht immer ist ein Absetzen der Protease-Hemmer oder Umstellen des Therapieregimes vertretbar.
Enzymhemmer Ritonavir vereinfacht Therapieprotokolle
Hilfreich für die Compliance und die Verträglichkeit kann der enzymhemmende Effekt der Protease-Inhibitoren sein. "Ritonavir ist der stärkste bekannte Inhibitor des Cytochrom-P450-Isoenzyms 3A4", sagte Professor Dr. Dr. Michael Kurowski vom Labor für Pharmakologie und Toxikologie in Berlin bei einem Satellitensymposium der Firma Abbott. Damit blockiert Ritonavir den Abbau anderer Arzneistoffe, was durchaus erwünscht ist. Möglich werde die zweimal tägliche Gabe von 400 bis 600 mg Saquinavir (Standard bislang dreimal 1200 mg), von 400 mg Indinavir (bisher dreimal 400 mg) oder von 500 bis 750 mg Nelfinavir (bisher dreimal 750 mg) - jeweils in Kombination mit zweimal täglich 400 mg Ritonavir.
Es gibt auch Überlegungen, Ritonavir in geringen Dosen von 100 bis 200 mg nur als Enzymhemmer zuzugeben, um Halbwertszeiten zu verlängern, sagte Kurowski. Beispiel: Saquinavir hat eine Halbwertszeit von 2,5 Stunden, die zusammen mit 100 mg Ritonavir auf 4,2 Stunden, mit 200 mg auf 4,7 Stunden ansteigt. Denkbar sei es, eine kleine Dosis Ritonavir plus eine hohe Dosis Saquinavir für die einmal tägliche Gabe zu kombinieren.
Aufgrund dieser Erfahrungen hat sich die Firma Abbott entschlossen, den neuen Protease-Hemmer ABT-378 auch in einer Kombi-Form mit einer geringen Ritonavir-Menge zu entwickeln, berichtete Catherine M. MacLeod von den Abbott Laboratories, USA. Man will damit eine zweimal tägliche Gabe unabhängig von der Nahrungsaufnahme ermöglichen.
Kurowski plädierte für eine regelmäßige Serumspiegelkontrolle bei den Protease-Inhibitoren, deren Konzentration interindividuell und abhängig von der Nahrung stark schwankt. Gleiches zeichne sich für die nicht-nukleosidi-schen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren ab. Wichtig sei aber auch die Kontrolle der Begleitmedikamente, da Ritonavir deren AUC sowohl erhöhen als auch senken kann.
Einfluß von Ritonavir auf Plasmaspiegel
Arzneistoff
AUC (in Prozent) Clarithromycin + 77 Rifabutin + 350 Desipramin + 145 Trimethoprim + 20 Didanosin - 13* Zidovudin - 25* Ethinylestradiol - 40 Theophyllin - 43 Methadon - 41 *) nach Kurowski kein Einfluß auf Wirkmetaboliten
Gleichmäßige Plasmaspiegel verbessern Verträglichkeit
Die Vierfach-Therapie mit Ritonavir/Indinavir plus zwei Reverse-Transkriptase-Inhibitoren wirkt schnell und gut antiviral, zeigte Rockstroh an einem Pilotprojekt mit 79 bislang unbehandelten Patienten mit hoher Viruslast. Die Menge an HIV-RNA-Kopien im Serum sank im Mittel um 3,6 Logarithmus-Stufen in 24 Wochen. Ab der 16. Woche hatten alle Patienten eine Viruslast unter 500 Kopien/ml, 76 Prozent lagen unter 80 Kopien/ml. Die Helferzellzahl stieg deutlich an.
Etwa 40 Prozent der Patienten bekamen Nebenwirkungen wie periorale Parästhesien, Diarrhöe und Übelkeit, Erhöhung von Cholesterol- und Triglyceridspiegel, Anstieg der Transaminasen und zeitweilig der Amylase und Lipase. Jedoch wurden keine Indinavir-assoziierten renalen Komplikationen wie Nierensteine und Flankenschmerz beobachtet, sagte Rockstroh. Er führte dies auf den Fehlen von Plasmaspitzenspiegeln von Indinavir zurück.
© 1999 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de