Orale Kontrazeptiva: Pillenangst unbegründet |
08.02.1999 00:00 Uhr |
ORALE KONTRAZEPTIVA
Die jahrelange Einnahme oraler Kontrazeptiva senkt die Lebenserwartung nicht. Das ist das Ergebnis einer britischen Studie, die Professor Dr. Valerie Beral vom Imperial Cancer Research Fund in Oxford und ihre Mitarbeiter im British Medical Journal am 9. Januar veröffentlichten. Orale Kontrazeptiva seien intensiver untersucht worden als jedes andere Medikament, schreibt Professor Dr. David C. G. Skegg vom Department of Preventive and Social Medicine der Universität von Otago, Dunedin, Neuseeland, in einem Kommentar zu den Studienergebnissen. Trotzdem kursierten immer wieder Gerüchte um befürchtete Spätfolgen der oft jahrelangen Hormoneinnahme, die durch die prospektive Langzeitstudie nun jedoch entkräftet wurden.
In der Studie untersuchten Wissenschaftler 46.000 Frauen, von denen die Hälfte orale Kontrazeptiva einnahm. Bei den Hormonpräparaten handelte es sich um die in den 70er Jahren üblichen Kombinationspräparate mit 50 µg Estrogen. Heute sind die meisten oralen Kontrazeptiva niedriger dosiert.
25 Jahre nach Beginn der Kohortenanalyse werteten die Forscher die Daten aus, die halbjährlich von den Hausärzten der Patientinnen weitergegeben wurden. Die Gesamtmortalität der Frauen, die orale Kontrazeptiva einnahmen, war im Vergleich zur Kontrollgruppe weder erhöht noch erniedrigt. Betrachtet man jedoch einzelne Todesursachen, wie bestimmte Krebserkrankungen oder Herz-Kreislauf-Störungen, so waren Unterschiede zwischen den beiden Gruppen nachweisbar. An Ovarialtumoren und Kolorektalkarzinomen starben zum Beispiel im Vergleich zur Kontrollgruppe weniger Frauen, die die Pille einnahmen. Die Mortalität durch Cervixkarzinome und Herz-/Kreislauferkrankungen einschließlich Schlaganfall war bei diesen Frauen jedoch erhöht. Eine höhere Sterberate durch Lungenkrebs war vor allem unter den Raucherinnen zu beobachten, die orale Kontrazeptiva für zehn und mehr Jahre eingenommen hatten.
Die Wissenschaftler konnten Effekte der oralen Kontrazeptiva vor allem während der Einnahmezeit sowie bis zu zehn Jahren danach beobachten. Anschließend waren, wenn überhaupt, nur geringe Unterschiede zwischen den beiden Gruppen nachweisbar. Die häufig befürchteten Spätfolgen der oralen Kontrazeption blieben somit aus.
Die Todesrate lag bei den Studienteilnehmerinnen insgesamt um etwa 20 Prozent unter der der Gesamtbevölkerung in England und Wales. Das sei nicht weiter verwunderlich, da schwer chronisch Kranke nicht in die Studie aufgenommen worden waren. Obwohl so viele Frauen an der Untersuchung teilgenommen hatten, starben nur wenige an bestimmten Krebserkrankungen. Die weitere Beobachtung dieser und anderer Kohorten sei nötig, um die Ergebnisse zu bestätigen, so Beral und ihre Mitarbeiter.
Die Studie zeige auch die Grenzen eines prospektiven Ansatzes, kommentierte Skegg. Trotz der Größe der Untersuchungsgruppe konnte nicht statistisch abgesichert werden, daß weniger Frauen durch Endometriumkarzinome gestorben waren, und auch für die Risikoabschätzung der Neoplasie und der Kreislauferkrankungen seien Fallkontrollstudien genauer. Da die Statistiker in Kohortenstudien die Lebensumstände der einzelnen Studienteilnehmer nicht berücksichtigten, bleibe auch unklar, warum in der britischen Studie Frauen, die orale Kontrazeptiva einnehmen, häufiger durch Gewalt und Unfälle ums Leben kommen.
Insgesamt müßten die Ergebnisse verschiedener unterschiedlich angelegter Studien berücksichtigt werden, um Morbidität und Mortalität zu bewerten, schreibt Skegg. Auch dann sei es jedoch schwierig, Vor- und Nachteile der oralen Kontrazeption gegeneinander abzuwägen. Häufig werde nicht in die Risikobewertung miteinbezogen, daß zum Beispiel in Entwicklungsländern viele Frauen an den Folgen einer Schwangerschaft sterben und damit die Mortalität durch Empfängnisverhütung oder durch größere Zeiträume zwischen den Schwangerschaften gesenkt werden könnte.
Auch in den entwickelten Ländern seien die Risiken für bestimmte Bevölkerungsgruppen unterschiedlich hoch , so Skegg. Frauen, die nicht rauchen, ihren Blutdruck kontrollieren und keinen Bluthochdruck haben, erleiden nicht häufiger einen Myokardinfarkt oder nur gering häufiger einen Schlaganfall, wenn sie orale Kontrazeptiva einnehmen.
Quelle: Beral, V., Hermon, C. et al., BMJ 318 (1999) 96-100.
© 1999 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de