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Medizin

08.02.1999  00:00 Uhr

-MedizinGovi-Verlag

Neues aus der Wissenschaft

von Daniel Rücker und Ulrike Wagner, Eschborn

Th1 schützt vor Allergien

Ob ein Mensch an Allergien und Asthma leiden wird, entscheidet sein Immunsystem - und zwar direkt nach der Geburt. Die Immunzellen von Kindern mit einer genetischen Prädisposition zu Allergien entwickeln sich nämlich anders als die von gesunden Kindern. Zu diesem Ergebnis kommen Susan L. Prescott und ihre Mitarbeiter vom TVW Telethon Institute for Child Health in Perth, Australien. Sie hatten die Reifung von Immunzellen bei atopischen und gesunden Kindern untersucht.

Menschen mit einer Atopie, der genetischen Prädisposition für Überempfindlichkeitsreaktionen wie Asthma und Allergien, reagieren grundsätzlich mit einer T-Helferzellantwort vom Subtyp 2 (Th2) auf Allergene. Charakterisiert wird diese Art der Immunreaktion durch hohe Interleukin-4- und Interleukin-5-Spiegel, erhöhte IgE-Produktion und eine Eosinophilie. Im Gegensatz dazu reagieren gesunde Menschen mit einer Th1-Antwort auf Allergene. Deren Immunzellen produzieren vor allem Interferon gamma, das die allergische Reaktion unterdrückt, indem es die Th2-Antwort reduziert.

Während der Schwangerschaft ist die Immunität der Mutter immer in Richtung Th2 verschoben. Daher findet man auch bei allen Neugeborenen Immunantworten vom Subtyp 2. Auch wenige Tage alte Babys reagieren so bereits auf Allergene, da ihre T-Zellen schon im Mutterleib über die Plazenta mit Antigenen in Kontakt gekommen sind. Bei gesunden Kindern verschiebt sich nach den Ergebnissen der neuen Studie allerdings innerhalb des ersten Lebensjahres die Immunantwort auf Allergene aus der Luft in Richtung Th1. Es entwickelt sich so eine Toleranz gegenüber Allergie-auslösenden Substanzen.

Bei atopischen Kindern sind die Immunzellen nicht in der Lage, ausreichend Interferon gamma zu produzieren, um die Th2-Antwort zu unterdrücken, so Prescott und ihre Mitarbeiter. Vor der Geburt ist dies durchaus sinnvoll, denn Interferon gamma ist für die Plazenta toxisch. Unklar ist allerdings, warum diese Kontrollmechanismen bei atopischen Kindern nach der Geburt beibehalten werden, bei gesunden Kindern dagegen nicht. Die Faktoren, die die Verschiebung der Immunantwort bewirken, sind noch unbekannt. Viele Wissenschaftler vermuten, daß Infektionen und die Zusammensetzung der Bakterienflora im Darm dafür sorgen, daß die Th1-Antwort verstärkt wird. Das würde auch erklären, warum in den Industrieländern viel mehr Menschen an Allergien und Asthma leiden als in Entwicklungsländern, wo der Infektionsdruck durch Mikroorganismen wesentlich höher ist.

Es gibt also keinen Grund, Allergene während der Schwangerschaft zu vermeiden, da sowohl atopische als auch gesunde Kinder direkt nach der Geburt auf Allergene reagieren, so Bengt Björkstén von der Division of Paediatrics des Universitätskrankenhauses in Linköping, Schweden, in einem Kommentar zu der Studie. Sinnvoller sei es, Faktoren zu suchen, die die Toleranz gegenüber Allergenen verstärken. Vorstellbar sei hier eine Art Impfung mit Allergenen aus der Luft und einem passenden Adjuvans, das die Immunantwort in Richtung Th1 dirigiert. Allerdings sei dabei Vorsicht geboten, da eine zu starke Th1-Antwort mit schweren Autoimmunerkrankungen in Zusammenhang gebracht wird. Ziel dürfe daher nicht die Stimulation eines bestimmten Typs der Immunantwort sein, sondern die Provokation einer ausgeglichenen Th1/Th2-Immunität.

Quelle: Prescott, S. L. et al., Lancet, 353, 16. Januar 1999, S. 196 - 200

 

ICOS bringt Immunsystem auf Trab

Wissenschaftler am Robert-Koch-Institut (RKI) haben einen neuen Rezeptor entdeckt, der die Antwort der Immunzellen auf ein Antigen verstärkt. Bei dem von den Wissenschaftlern als ICOS (induzierbarer Co-Stimulator) bezeichneten Molekül handelt es sich um ein Protein mit der relativen Molekülmasse von 55.000 bis 60.000, das auf der Oberfläche von T-Zellen sitzt.

Wenn ICOS mit einem eingedrungenen Erreger in Kontakt kommt, verstärkt es die Immunantwort der T-Zelle, dazu gehören die Sekretion von Lymphokinen, die Vermehrung der T-Zellen und die Stimulation der B-Zellen über Interleukin-10. Die B-Zellen attackieren daraufhin die eingedrungenen Erreger mit spezifischen Antikörpern.

Andreas Hutloff und seine Kollegen vom RKI sind sich sicher, daß der von ihnen entdeckte ICOS neben CD 28 und CTLA-4 der dritte wichtige Rezeptor für die Regulation der Immunantwort ist. CD 28 wirkt ebenfalls aktivierend auf die T-Zellen. CTLA-4 verhindert, daß die Reaktion des Körpers auf einen Eindringling überschießt.

Quelle: Hutloff, A., et al. Nature Bd.397, 21. Januar 1999, 263 - 266

 

Analgetische T-Zellen

Immunzellen, die nach einer Verletzung in das beschädigte Gewebe einwandern, bekämpfen dort nicht nur unliebsame Eindringlinge, sie bringen auch endogene Schmerzmittel mit. Sie schütten ß-Endorphin aus und bewirken somit eine lokale Analgesie. Wie eine australisch-amerikanisch-deutsche Forschergruppe jetzt herausfand, sind bestimmte Adhäsionsmoleküle auf den Gefäß- und Immunzellen, die Selektine, maßgeblich dafür verantwortlich, daß die ß-Endorphin-tragenden Immunozyten in das Gewebe eindringen.

Bereits seit einigen Jahren ist bekannt, daß im verletzten Gewebe die ß-Endorphin-Konzentration ansteigt und den starken Schmerz mildert, der unmittelbar nach der Verletzung einsetzt. Der Mechanismus, der die Einwanderung der Opioid-transportierenden Zellen steuert, war jedoch nicht entschlüsselt. Halina Machelska von der John Hopkins Universität in Baltimore konnte jetzt zusammen mit ihren deutschen und australischen Kollegen im Rattenversuch nachweisen, daß die Blockade der P- und L-Selektine durch das Zuckerpolymer Fucoidin, das Schmerzempfinden in entzündetem Gewebe wieder ansteigen läßt. Der antianalgetische Effekt von Fucoidin resultiert nicht aus einer Hemmung der Opioidrezeptoren. Die Wirkung eines injizierten Opiates wurde durch die gleichzeitige Fucoidininjektion nicht verändert.

Die Wissenschaftler räumen ein, daß die Selektine wahrscheinlich nicht alleine für die Invasion der ß-Endorphin-transportierenden Immunzellen verantwortlich sind. Denn die Injektion von Fucoidin unterdrückt die Analgesie nicht vollständig. Trotzdem, so vermuten sie, seien die Adhäsionsmoleküle eine potentielle Zielstruktur für neue Analgetika. Eine Unterstützung der Selektin-Wirkung könne selektiv und lokal schmerzen lindern und gleichzeitig weniger Nebenwirkungen verursachen als heute verwendete Analgetika.

Quelle: Machelska, H., et al., Nature Medicine, Dezember 1998, 1425 - 1428.

 

Rapamycin schaltet das Gen an

Amerikanische Wissenschaftler haben ein System entwickelt, mit dem sie die Aktivität von Genen regulieren können, die mit Hilfe von Adenoviren in Zellen eingeschleust wurden. Im Tierversuch konnten sie so über die Gabe von Rapamycin die Produktion von Erythtropoietin steuern.

Xuehai Ye und seine Kollegen vom Institut für humane Gentherapie an der Universität von Pennsylvania nutzten dabei die Eigenschaft von Rapamycin an zwei humane Proteine (FKBP12 und FRAP) zu binden. Sie entwickelten zwei Transkriptionsfaktoren, mit jeweils einem der beiden Proteine als Untereinheit, packten die dafür codierenden Gene in einen Adenovirus als Vektor, und schleusten sie in Mäusezellen ein.

Transkriptionsfaktoren regulieren die Aktivität von Genen im Zellkern. Sie binden an spezielle Abschnitte der DNA, die Promotoren. Diese Interaktion gibt den Startschuß dafür, daß ein hinter dem Promotor liegendes Gen abgelesen und das entsprechende Gen gebildet wird.

In einen zweiten Vektor packten die Wissenschaftler das für Erythropoietin codierende Gen zusammen mit einem Promotor, der spezifisch von den künstlichen Transkriptionsfaktoren aus dem ersten Vektor aktiviert wird. Dabei ist jedoch jeder Transkriptionsfaktor allein wirkungslos. Sie steigern die Produktion von Epo nur in Gegenwart von Rapamycin, da die beiden Proteinkomplexe aneinander koppelt.

Tests mit Mäusen, denen beide Vektoren injiziert wurden, belegten, daß das System funktioniert. In Abwesenheit von Rapamycin blieb die Epo-Konzentration in den Zellen unverändert. Erst die Gabe von Rapamycin setzte die Kaskade in Gang: Die beiden einzelnen Transkriptionsfaktoren werden gekoppelt, sie binden im Zellkern an den spezifischen Promotor vor dem Epo-Gen, dieses wird abgelesen und das Protein gebildet. Nach einmaliger Gabe von 1mg/kgKG Rapamycin stieg die Plasma-Konzentration von Epo um da 140fache an.

Das von Ye und seinen Kollegen entwickelte System erwies sich im Versuch als recht stabil. In Mäusezellen arbeitete es nach sechs Monaten noch einwandfrei, in Zellen von Rhesusaffen immerhin drei Monate. Die Wissenschaftler versprechen sich von ihrem System eine vereinfachte Therapie für Patienten, die mit Peptiden behandelt werden. Probleme wie geringe Bioverfügbarkeit und individuelle Schwankungen bei enger therapeutischer Breite könnten umgangen werden, wenn durch die Gabe einer Substanz wie Rapamycin die intrazelluläre Produktion des fehlenden Eiweiß angeregt werden kann.

Quelle: Ye, X., et al. Science 1. Januar 1999, 88 – 91.

 

Migräne erhöht Infarktrisiko bei Frauen

Junge Frauen, die unter Migräne leiden, bekommen überdurchschnittlich häufig einen Infarkt. Vor allem diejenigen, die rauchen, unter Bluthochdruck leiden oder hochdosierte orale Kontrazeptiva nehmen, sind gefährdet. Denn die Kombination von Migräne mit weiteren Risikofaktoren hat einen mehr als additiven Effekt auf das Infarktrisiko. Zu diesem Schluß kommt eine britische Studie, an der Frauen im Alter von 20 bis 44 Jahren teilnahmen.

Die Studie ergab, daß das Infarktrisiko bei Frauen mit Migräne um den Faktor 3,5 höher liegt als bei beschwerdefreien Frauen. Am stärksten betroffen waren Studienteilnehmerinnen mit einer familiären Migräne-Prädisposition. Sie erlitten fünfmal häufiger einen Infarkt als Frauen aus der Referenzgruppe.

Migräne erhöht vor allem das Risiko für einen ischämischen Infarkt. Frauen mit und ohne familiäre Prädisposition für Migräne sind betroffen. Einen Anstieg bei den haemorrhagischen Infarkten registrierten die Wissenschaftler dagegen nur bei Frauen mit familiärer Prädisposition.

Wie die britischen Forscher weiter herausfanden, ist die Migräneattacke in vielen Fällen sogar Auslöser eines Infarktes. 40 Prozent der Infarkte entwickelten sich direkt aus der Attacke heraus.

Quelle: Chang, C. L., Britsh Medical Journal, 2. Januar 1999, 13 – 18.

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