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Resistenzgefahr

08.02.1999  00:00 Uhr

-EditorialGovi-Verlag

Resistenzgefahr

von Brigitte M. Gensthaler
Redakteurin der Pharmazeutischen Zeitung

Die Seuche des 20. Jahrhunderts hat ihr Gesicht gewandelt - zumindest in den Industrieländern. Erfolg zeigen jetzt die gewaltigen Forschungsanstrengungen, die die HIV-Epidemie und Aids (das Schwerpunktthema dieser PZ) zu Beginn der achtziger Jahre ausgelöst haben - zu einer Zeit, als Infektionskrankheiten ihren Schrecken längst verloren zu haben schienen. Die Lebensperspektive HIV-infizierter Menschen hat sich verändert, die Lebenserwartung deutlich verlängert. Auch HIV-infizierte Männer und Frauen wünschen sich Kinder, die dank ärztlicher Hilfe gesund zur Welt kommen können. In der Schweiz bietet seit kurzem die erste Partnervermittlung für HIV-positive Menschen ihre Dienste an.

Medizinisches Ziel der antiretroviralen Therapie ist immer, die Vermehrung des Virus und damit die Gefahr der Resistenzbildung einzudämmen und dem Immunsystem die Chance zur Erholung zu geben. Heute gibt es fast ein Dutzend Arzneistoffe, die durch Blockade der Enzyme Reverse Transkriptase und HIV-Protease die Viruslast senken. Die drei Protease-Hemmstoffe Saquinavir, Indinavir und Ritonavir, die die Therapie vor wenigen Jahren deutlich verbessert haben, werden am 10. Februar in Paris mit den Prix Galien ausgezeichnet. Stoffe mit neuer Struktur und Wirkweise sind in der Entwicklung.

Wenn behandelt wird, ist eine Dreifachkombination heute Standard, sagte der Münchner Aids-Spezialist Dr. Hans Jäger bei den Münchner Aids-Tagen. Bei einer sehr hohen Viruslast im Blut und niedriger T-Helferzellzahl setzt man auch schon Vierfachkombinationen ein.

Die konsequente antiretrovirale Therapie ist zugleich die beste Prophylaxe gegen opportunistische Infektionen, die zu Beginn der HIV-Epidemie das Überleben der Patienten ganz entscheidend prägten. Durchgesetzt hat sich nach Worten von Professor Dr. Bernhard Ruf aus Leipzig die Primärprophylaxe bei Pneumocystis-carinii-Pneumonie und zerebrale Toxoplasmose. Selten geworden seien auch Cytomegalievirus- und Mycobacterium-avium-Infektionen. So selten, meint Jäger, daß junge Kollegen heute nicht mehr ausreichend in Diagnostik und Therapie dieser Komplikationen unterrichtet werden können.

Doch auch bei der Strategie "Hit hard and early" entstehen Resistenzmutationen, weil die Virusreplikation nicht völlig unterdrückt werden kann. Neue resistente Virusstämme könnten sich wie ein Strohfeuer ausbreiten und die globale Aids-Epidemie noch mehr anheizen, warnten kürzlich US-Wissenschaftler beim größten interdisziplinären Wissenschaftskongreß im kalifornischen Anaheim. Sie mahnen daher, die medikamentöse Behandlung weiterer HIV-Infizierter unter striktester Aufsicht zu führen.

Die Resistenzbildung verläuft umso schneller, je weniger Compliance - im HIV-Bereich sprechen Ärzte gerne von Adhärenz - die Patienten zeigen. Angesichts hochkomplizierter Therapieschemata und Dutzenden von zeit- und teilweise nahrungsabhängig zu schluckenden, mit reichlich Nebenwirkungen behafteten Tabletten und Kapseln sind mangelnde Therapietreue und die Neigung zu drug holidays durchaus verständlich. Daher ist jede Vereinfachung der Therapie, zum Beispiel die zweimal tägliche Gabe, die Einnahme unabhängig von der Nahrung oder eine Reduktion der Dosis, ein Fortschritt.

Patienten tauschen untereinander Tips aus, wie sie ihre Therapie am besten managen können. Und der Apotheker? Er wurde bei den Münchner Aids-Tagen gar nicht erwähnt. Dabei könnte er doch eine Schlüsselrolle bei der Motivation und Unterstützung der Patienten übernehmen. Und könnte damit eine menschlich schwierige, aber fachlich dringende Aufgabe und seine gesellschaftliche Verantwortung erfüllen. Top

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