Politik
Massive Kritik am bisherigen Wettbewerbsverhalten der Krankenkassen übt der "Prüfdienst Krankenversicherung" des Bundesversicherungsamtes. In seinem jetzt bekanntgewordenen Bericht für 1995 kommt er zu dem Schluß, daß die Krankenkassen seinerzeit eine regelrechte "Schlacht um Marktanteile" entfesselt hätten. Dabei blieb nach Aussage der staatlichen Prüfer geltendes Recht in vielen Fällen auf der Strecke.
Präsident Rainer Daubenbüchel geht noch härter mit den Sündern innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung ins Gericht: "Immer weniger Krankenkassen verstehen sich als Institution für die Daseinsvorsorge" macht er in seinem Vorwort für den Jahresbericht aus seinem großen Ärger keinen Hehl. Der Amtschef macht bei dieser Entwicklung zwei Opfer aus. Zum einen litten diejenigen Krankenkassen, für die das geltende Recht Richtschnur ihres Marketings sei. Zum anderen seien diejenigen Versicherten benachteiligt worden, die selbst nur ihnen zustehende Leistungen beanspruchten, "cleveren" Kassenangehörigen aber Leistungen finanzierten, die jenseits des Sozialgesetzbuches V erbracht worden seien.
Wahrlich bemerkenswerte Sumpfblüten hat der von Politikern einst vielgepriesene Wettbewerb in der GKV hervorgebracht. Als ausgesprochene Renner, so die Erkenntnisse der amtlichen Prüfer, erwiesen sich diverse Lehrveranstaltungen über Meditationstechniken. Sie seien bis zu 400 DM von Kassen bezuschußt worden. Beliebt bei Versicherten seien auch Kurse unter dem Motto "Ich entdecke das Wunderland meiner selbst" gewesen. Letztere Veranstaltungsreihe hat sich laut Prüfbericht unter anderem mit den Lebensweisheiten von Sokrates und Matthias Claudius beschäftigt.
Obskure Werbeallianzen fanden die Prüfer ebenfalls vor: Da wurden von einem Autohändler in Zusammenarbeit mit einer Krankenkasse "PKW-Sondermodelle für alle Fitneßfreunde" angeboten. Eine Bank warb gemeinsam mit einer anderen Kasse unter dem Slogan "Zwei starke Partner unter einem Dach". Das BVA sieht darin den "Mißbrauch amtlicher Autoritäten". Die GKV-Spitzenorganisationen reagierten auf die harsche Kritik zurückhaltend. Die bisher einzige Stellungnahme kam vom Verband der Angestelltenkrankenkassen. Die zuständige Abteilungsleiterin Doris Pfeiffer räumte ein, daß einzelne Marketingaktionen in der Vergangenheit den Rahmen gesprengt hätten. Bereits 1995 habe ihre Organisation deshalb eine Liste "nichtförderungswürdiger Aktivitäten" im Bereich von Prävention und Gesundheitsförderung erstellt.
PZ-Artikel von Jürgen Becker, Bonn
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