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Lipidsenker

Informationen zu alten Bekannten und neuen Substanzen 

Kardiovaskuläre Erkrankungen sind nach wie vor die häufigste Todesursache in Deutschland und Atherosklerose ist eng mit hohen Lipid-Blutspiegeln assoziiert. Die Senkung des LDL-Cholesterols spielt in der Primär- und Sekundärprävention eine besondere Rolle. Dafür stehen mittlerweile viele unterschiedliche Wirkstoffe zur Verfügung. 
Sven Siebenand
24.05.2022  18:00 Uhr

Wie Professor Dr. Peter Ruth vom Institut für Pharmazie der Universität Tübingen beim Fortbildungskongress Pharmacon in Meran deutlich machte, ist LDL-Cholesterol ursächlich in den Prozess der Atherosklerose-Entwicklung involviert. »Die Zielwerte des LDL-Cholesterols sind abhängig vom kardiovaskulären Risiko eines Patienten«, so der Professor für Pharmakologie und Toxikologie. Menschen mit einem sehr hohen Risiko für ein Herz-Kreislauf-Ereignis sollten zum Beispiel einen Wert unter 55 mg/dl anstreben. Ruth informierte, dass trotz vieler verfügbarer Lipidsenker viele Patienten leider nicht den Zielwert erreichten, den Leitlinien für sie empfehlen.

Im Folgenden stellte Ruth die verschiedenen Wirkstoffklassen zur Lipidsenkung vor und begann mit den bekanntesten Substanzen, den Statinen. Sie alle greifen als HMG-CoA-Reduktase-Hemmer in die Cholesterol-Biosynthese ein, sind aber nicht alle gleich effektiv. Ruth brach eine Lanze für den Einsatz hochpotenter Substanzen wie Rosuvastatin und Atorvastatin.

Von Statinen ist bekannt, dass sie muskelassoziierte Nebenwirkungen haben können und sehr selten sogar zu Rhabdomyolyse führen. Weniger bekannt ist, dass Statine auch die Blutzuckereinstellung verschlechtern können. Der Referent sah jedoch keine Gefahr, dass hochpotente Statine das diabetogene Risiko besonders erhöhen. 

Ebenfalls in die Cholesterol-Biosynthese greift der aktive Metabolit der Bempedoinsäure ein. Dieser hemmt die ATP-Citrat-Lyase. Die Aktivierung der Bempedoinsäure erfolgt durch ein Enzym, das in Skelettmuskelzellen nicht vorhanden ist, sodass der Wirkstoff keine Muskelschmerzen verursacht. Laut Ruth könnte die Bempedoinsäure besonders für Patienten mit Statinintoleranz geeignet sein. 

Eine weitere Klasse an Lipidsenkern sind die PCSK9-Antikörper. Die Wirkstoffe Alirocumab und Evolocumab sorgen dafür, dass das Enzym PCSK9 gebunden wird und nicht mehr an den LDL-Cholesterol-Rezeptor andocken kann. Infolgedessen bindet dort nur noch LDL-Cholesterol, welches in der Zelle zu Gallensäuren abgebaut wird. Der LDL-Rezeptor kann in dieser Konstellation aber zurück an die Oberfläche der Leberzelle gelangen und weiteres LDL-Cholesterol aus dem Blut fischen. »Über die Statinwirkung hinaus sorgen die PCSK9-Hemmer für eine zusätzliche LDL-Cholesterol-Senkung um rund 50 Prozent«, sagte Ruth. Kardiovaskuläre Endpunktstudien hätten einen Benefit dieser Substanzklasse gezeigt.

Neue Wirkprinzipien im Kommen

Daten aus einer solchen Outcome-Studie mit harten Endpunkten gibt es für Inclisiran nicht – noch nicht. Der Wirkstoff ist erst seit 2021 auf dem Markt und wirkt am Ende ähnlich wie die PCSK9-Hemmer. Es fängt das Enzym aber nicht ab, sondern sorgt dafür, dass es gar nicht erst produziert wird. Das innovative Prinzip der RNA-Interferenz ist damit auch im Bereich der Lipidstoffwechselstörungen angekommen. 

Schon länger zur Lipidsenkung auf dem Markt verfügbar sind Ezetimib, das die Resorption von Cholesterol aus der Nahrung hemmt, und die Gallensäure-bindenden Ionenaustauscher Colestyramin und Colesevelam. Letztgenannte unterbrechen den enterohepatischen Kreislauf der Gallensäuren. »Sie spielen in der Erstlinientherapie aber keine Rolle«, so Ruth. Problematisch seien die enormen Mengen, die eingenommen werden müssten.

Die altbekannten Fibrate Bezafibrat und Gemfibrozil sind auch keine klassischen Erstlinientherapeutika – zumindest wenn es darum geht, den LDL-Cholesterol-Wert zu senken. Fibrate hätten ihre Rolle vor allem bei der Behandlung der Hypertriglyceridämie, so Ruth.

Der Referent machte deutlich, dass auf dem Gebiet der Lipidsenker weiter intensiv geforscht wird. Noch in diesem Jahr könnte ein neuer Arzneistoff mit neuem Wirkprinzip auf den Markt kommen. Zugelassen ist er schon in der EU: Der Antikörper Evinacumab richtet sich gegen ANGPTL3. Dieses Protein beeinflusst den Lipidstoffwechsel unabhängig vom Rezeptor für LDL-Cholesterol. Es reguliert die Enzyme Lipoproteinlipase und endotheliale Lipase. Wird ANGPTL3 durch Evinacumab blockiert, sind weniger LDL-Vorstufen wie VLDL und VLDL-Überreste im Blut und es wird letztlich weniger LDL-Cholesterol gebildet.

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