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ZL-Reihenuntersuchung

Schnell freisetzende Mirtazapin-30-mg-Tabletten im Vergleich

08.12.2008  14:08 Uhr

ZL-Reihenuntersuchung

Schnell freisetzende Mirtazapin-30-mg-Tabletten im Vergleich

Von Astrid Kaunzinger, Petra Grötsch, Kerstin Bohlmann, Meike Krzywon, Mona Tawab und Manfred Schubert-Zsilavecz

 

Das ZL hat eine vergleichende Untersuchung von schnell freisetzenden Mirtazapin-30-mg-Präparaten des deutschen Marktes durchgeführt. 26 Produkte wurden hinsichtlich ihrer pharmazeutischen Qualität geprüft.

 

Mirtazapin gehört zu den noradrenerg und spezifisch serotonerg wirkenden Antidepressiva. Der Arzneistoff blockiert 5-HT2- und 5-HT3-Rezeptoren, nicht aber den 5-HT1-Rezeptorsubtyp, wodurch die Serotoninwirkung über diesen Rezeptor relativ verstärkt wird (= spezifisch serotonerg). Präsynaptisch blockiert Mirtazapin zentrale α2-Rezeptoren, was zu einer vermehrten Noradrenalinfreisetzung führt. Die pharmakokinetischen Eigenschaften des chiralen Moleküls sind sowohl alters- als auch geschlechtsabhängig (Frauen und ältere Erwachsene zeigen höhere Plasmaspiegel) und enantioselektiv: Während das (S)-(+)-Enantiomer für die α2- und 5-HT2-Rezeptorblockade verantwortlich ist, bewirkt das (R)-(-)-Enantiomer die Blockade des 5-HT3-Rezeptors. Das (R)-(-)-Enantiomer besitzt zudem eine längere Plasmahalbwertszeit als das (S)-(+)-Enantiomer (circa 18 versus circa 10 Stunden), zusätzlich wirkt sich ein etwaiger genetischer CYP2D6-Polymorphismus auf die beiden Enantiomere unterschiedlich aus. Während die Verstoffwechselung des (R)-(-)-Enantiomers davon unbeeinflusst bleibt, muss bei sogenannten schwachen Metabolisierern mit einer deutlich längeren Halbwertszeit für das (S)-(+)-Enantiomer gerechnet werden (80 Prozent höhere AUC) (1).

PZ-Originalia

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Mirtazapin wird nach oraler Gabe schnell resorbiert, aber teilweise präsystemisch in Darmwand und Leber metabolisiert. Die maximale Plasmakonzentration wird nach zwei Stunden erreicht. Die Bioverfügbarkeit beträgt etwa 50 Prozent. Eine Metabolisierung von Mirtazapin erfolgt in erster Linie über die Cytochrom-P450-Isoenzyme CYP2D6 und CYP3A4 durch N-Demethylierung, N-Oxidation und 8-Hydroxylierung. Nur der Demethyl-Metabolit scheint pharmakologisch aktiv zu sein.

 

Mirtazapin wird einmal täglich eingenommen, die übliche Dosierung liegt bei 15 bis 45 mg. Nach vier bis sechs Tagen wird ein Steady-State-Zustand erreicht. Die Plasmahalbwertszeit beträgt 20 bis 40 Stunden.

 

Material und Methoden

 

In Tabelle 1 sind die in die Untersuchung einbezogenen Fertigarzneimittel gelistet. Alle Präparate wurden über den pharmazeutischen Fachhandel bezogen.

Tabelle 1: Untersuchte Mirtazapin Fertigarzneimittel (30 mg Filmtabletten)

Nr. Handelsname Hersteller/Pharmazeutischer Unternehmer/
Import, Umverpackung und Vertrieb
Chargen-Nr. Haltbarkeit
1 MirtaLich 30 mg Tabl. Winthrop 5176306J 02/2010
2 Mirtazapin AAA-Pharma 30 mg Tabl. AAA-Pharma 0612126 11/2008
3 mirtazapin-biomo 30 mg Tabl. biomo-Pharma 070432 03/2009
4 MIRTAZAPIN-TEVA 30 mg Tabl. Teva Generics 0627018U 07/2008
5 Mirtazapine ratiopharm 30 mg Tabl. Pharma Westen Ges.m.b.H. 06F02K8518 06/2008
6 Mirtazapin-neuraxpharm 30 mg Tabl. Neuraxpharm 052496 02/2009
7 Mirtazapin STADA 30 mg Tabl. STADApharm 2762 06/2009
8 Mirtazapin-ISIS 30 mg Tabl. Alphapharm-Isis GmbH 603001U 03/2009
9 Mirtazapin real 30 mg Tabl. Dolorgiet GmbH 609990 08/2008
10 Mirtazapin AL 30 mg Tabl. Aliud 70810B 12/2009
11 Mirtazapin AbZ 30 mg Tabl. AbZ-Pharma H09423 01/2009
12 Mirtazapin 30 mg Tabl. Eurim-Pharm G23553 05/2008
13 Mirtazapin Heumann 30 mg Tabl. Heumann Pharma F05097 11/2009
14 Mirta TAD 30 mg Tabl. TAD Pharma 2060830 10/2008
15 Mirtazapin Hexal 30 mg Tabl. Hexal 7E6984 04/2010
16 Mirtazelon 30 mg Tabl. Krewel -Meuselbach 71104A 03/2010
17 Mirtazapin Sandoz 30 mg Tabl. Sandoz 7U0386 09/2009
18 Mirtazap AWD 30 mg Tabl. AWD Pharma 6D007A 04/2008
19 Mirtazapin-CT 30 mg Tabl. CT Arzneimittel H00944 11/2008
20 Mirtazapin dura 30 mg Tabl. Merck dura 125855G 02/2010
21 Mirtazapin-1A Pharma 30 mg Tabl. 1 A-Pharma 7B6031 03/2010
22 Mirtazza 30 mg Tabl. Temmler Pharma .06005 04/2009
23 Mirtazapin Basics Basics GmbH 71009 02/2009
24 Mirtazapin-Hormosan 30 mg Tabl. Hormosan Pharma 71027 02/2010
25 Mirtazapin-ratiopharm 30 mg Tabl. ratiopharm H04476 12/2008
26 Mirtazapin Kwizda 30 mg Tabl. F.Joh. Kwizda Ges.m.b.H (A) 6L6862 05/2008

Die Analytik wurde nach der Monographie für »Mirtazapine Tablets« des Amerikanischen Arzneibuches (USP 30) unter Berücksichtigung des Europäischen Arzneibuches (Ph.Eur. 6.0) durchgeführt. Die Untersuchung der Präparate erfolgte hinsichtlich folgender Prüfpunkte: Identität, Gleichförmigkeit der Masse, Gehalt und In-vitro-Freisetzungsverhalten. Alle Prüfungen erfolgten vor Ablauf der Verwendbarkeitsfrist.

 

Gleichförmigkeit der Masse

 

Die Bestimmung erfolgte gemäß Europäischem Arzneibuch (Ph.Eur. 6.0, Ziffer 2.9.5, »Gleichförmigkeit der Masse einzeldosierter Arzneiformen«). Hierzu wurde durch Wägung von 20 einzelnen Tabletten eines jeden Präparates die prozentuale Standardabweichung jeder einzelnen Darreichungsform vom Mittelwert ermittelt. Die abhängig von der durchschnittlichen Tablettenmasse in der Pharmakopoe festgelegten Akzeptanzkriterien wurden von allen untersuchten Präparaten voll erfüllt.

 

Gehaltsprüfung

 

Die Gehaltsbestimmung wurde nach der Monographie »Mirtazapine Tablets« der USP 30 durchgeführt. Der Arzneistoff wurde mittels Hochdruckflüssigchromatographie (HPLC) an C18-Material als stationärer Phase quantifiziert. Mit isokratischer Elution wurde die Absorption der Proben im UV bei 290 nm gegenüber Referenzstandard gemessen. Hierbei wurden die Akzeptanzkriterien von 90,0 Prozent bis 110,0 Prozent des deklarierten Gehalts, die in der USP 30 vorgeschrieben sind, von allen getesteten Produkten eingehalten. Mit dieser Methode wurden Werte zwischen 97,3 und 103,7 Prozent der deklarierten Konzentration bestimmt (siehe dazu auch Diskussion der Ergebnisse und Tabelle 2).

Tabelle 2: Gehaltsbestimmung und Wirkstoff-Freisetzung

Nr. Handelsname Chargen-Nr. Gehalt [%] der Deklaration Freisetzung nach
15 min > 80%
Freisetzung nach 30 min
1 MirtaLich 30 mg Tabl. 5176306J 97,6 100,9 103,8
2 Mirtazapin AAA-Pharma 30 mg Tabl. 0612126 98,4 98,5 103,9
3 mirtazapin-biomo 30 mg Tabl. 070432 98,0 97,6 104,7
4 MIRTAZAPIN-TEVA 30 mg Tabl. 0627018U 97,7 99,3 102,6
5 Mirtazapine ratiopharm 30 mg Tabl. 06F02K8518 98,0 102,2 102,4
6 Mirtazapin-neuraxpharm 30 mg Tabl. 052496 99,8 97,3 104,6
7 Mirtazapin STADA 30 mg Tabl. 2762 99,0 97,5 103,1
8 Mirtazapin-ISIS 30 mg Tabl. 603001U 97,9 102,9 103,7
9 Mirtazapin real 30 mg Tabl. 609990 98,5 105,1 105,5
10 Mirtazapin AL 30 mg Tabl. 70810B 102,1 99,1 103,6
11 Mirtazapin AbZ 30 mg Tabl. H09423 102,2 104,3 104,7
12 Mirtazapin 30 mg Tabl. G23553 99,5 102,9 103,8
13 Mirtazapin Heumann 30 mg Tabl. F05097 100,8 103,1 103,7
14 Mirta TAD 30 mg Tabl. 2060830 101,3 101,9 103,0
15 Mirtazapin Hexal 30 mg Tabl. 7E6984 100,5 93,9 100,9
16 Mirtazelon 30 mg Tabl. 71104A 100,5 103,4 103,7
17 Mirtazapin Sandoz 30 mg Tabl. 7U0386 103,7 95,6 101,6
18 Mirtazap AWD 30 mg Tabl. 6D007A 101,1 103,1 103,6
19 Mirtazapin-CT 30 mg Tabl. H00944 97,3 100,2 101,2
20 Mirtazapin dura 30 mg Tabl. 125855G 100,3 99,5 101,8
21 Mirtazapin-1A Pharma 30 mg Tabl. 7B6031 99,2 90,4 100,0
22 Mirtazza 30 mg Tabl. 06005 99,6 102,3 102,7
23 Mirtazapin Basics 71009 100,4 103,9 105,0
24 Mirtazapin-Hormosan 30 mg Tabl. 71027 101,9 92,7 101,2
25 Mirtazapin-ratiopharm 30 mg Tabl. H04476 101,4 101,5 102,2
26 Mirtazapin Kwizda 30 mg Tabl. 6L6862 101,7 93,5 101,3

In-vitro-Freisetzung

 

Auch die In-vitro-Freisetzung wurde nach den Vorgaben der Monographie für »Mirtazapine Tablets« der USP 30 durchgeführt. Entsprechend den Anforderungen, darf die in 0,1 n Salzsäure mittels Paddle Apparatur freigesetzte Wirkstoffmenge nach 15 Minuten 80 Prozent der Deklaration nicht unterschreiten. Die Quantifizierung von Mirtazapin aus der In-vitro-Freisetzung erfolgte nach Probenaufarbeitung UV-photometrisch bei 315nm. Der Gehalt wurde durch Vergleich der Absorption der Probenlösung mit der Absorption von in Freisetzungsmedium gelöster Mirtazapin-Referenzsubstanz definierter Konzentration bestimmt. Zur Beurteilung der biopharmazeutischen Eigenschaften wurden zusätzlich nach 30 Minuten Proben gezogen und deren Wirkstoffgehalt bestimmt. Nach 15 Minuten wurden bereits Wirkstoffgehalte zwischen 90,4 Prozent und 105,1 Prozent der Deklaration bestimmt, damit erfüllen alle Arzneimittel die Anforderungen der USP 30 (Messwerte siehe Tabelle 2, Anmerkung: da bei der UV-Photometrie die Absorption aller Bestandteile der Prüflösung bei der angegebenen Wellenlänge erfasst wird, sind Werte größer als 100,0 Prozent generell möglich; eine obere prozentuale Grenze für die Wirkstoff-Freisetzung wird in der USP nicht angegeben). Nach Ablauf von 30 Minuten war die Wirkstoff-Freisetzung in allen Präparaten vollständig.

 

Biopharmazeutische Klassifizierung

 

Gemäß den aktuellen FDA- und EU- Richtlinien des biopharmazeutischen Klassifizierungssystems (BCS) wird ein Arzneistoff als hoch permeabel eingestuft, wenn der in Caco-2-Zellen ermittelte Permeabilitätskoeffizient (Papp-Wert) ≥ 10 E-6 cm/s ist. Die Untersuchungen im ZL ergaben für die höchste Einzeldosis von Mirtazapin eine hohe Permeabilität mit einem Papp-Wert von 44,0 E-6 in apikaler-nach-basolateraler Richtung. Hierbei handelt es sich um einen aktiven Transportmechanismus wie die Konzentrations- und Temperaturabhängigkeit des Permeabilitätskoeffizienten belegen. Darüber hinaus deutet eine wesentlich höhere Permeabilität in umgekehrter Richtung (basolateral-nach-apikal) mit einem Papp-Wert von 89,3 E-6 auf einen extensiven Efflux-Mechanismus hin. Allerdings ist Mirtazapin kein Substrat des Effluxproteins p-Glycoprotein, denn die Zugabe von Verapamil (p-Glycoprotein Substrat) führte zu keiner wesentlichen Veränderung des Papp-Wertes, weder in apikaler-nach-basolateraler noch in basolateraler-nach-apikaler Richtung. Offensichtlich sind andere Transportproteine an dem Efflux von Mirtazapin beteiligt.

 

Die in vitro ermittelten Daten spiegeln sich auch in vivo nach oraler Einnahme von Mirtazapin wider, wie die pharmakokinetischen Eigenschaften von Mirtazapin bestätigen. So wird der antidepressive Wirkstoff rasch und vollständig vom gastrointestinalen Trakt absorbiert, um seine maximale Plasmakonzentration nach ein bis zwei Stunden zu erreichen. Die absolute Bioverfügbarkeit beträgt jedoch nur 50 Prozent aufgrund seines hohen Effluxes aus den Enterozyten und seinem hohen First-pass-Metabolismus in der Leber.

 

Im ZL wurden die Untersuchungen zur Löslichkeit von Mirtazapin an 45 mg (höchste therapeutische Tagesdosis) in 250 ml Flüssigkeit und verschiedenen Testmedien (pH-Bereich 1,0 bis 6,8) bei 37 °C durchgeführt. Hierbei konnte eine vollständige Löslichkeit über den gesamten pH-Bereich nachgewiesen werden. Zudem ist Mirtazapin in sauren und neutralen Lösungen, die für die physiologische Resorption vorwiegend relevant sind, über einen Zeitraum von drei Stunden stabil.

 

Auf der Basis der experimentellen Erkenntnisse im Rahmen des biopharmazeutischen Klassifizierungssystems ist Mirtazapin den Arzneistoffen der BCS-Klasse I zuzuordnen, die sowohl eine hohe Löslichkeit als auch eine hohe Permeabilität aufweisen. Es ist davon auszugehen, dass die Galenik die Wirkstoff-Freisetzung aus der Formulierung nicht beeinflusst.

 

Zusammenfassung

 

Alle untersuchten Mirtazapin-30-mg-Präparate erfüllen die Anforderungen der Arzneibücher. Die analytischen Ergebnisse weisen darauf hin, dass die 26 schnell freisetzenden Präparate eine hohe pharmazeutische Qualität aufweisen und vergleichbar sind. Die Untersuchungsergebnisse können im Hinblick auf die Aut-idem-Regelung in der Apothekenpraxis von Bedeutung sein.

 

Die Hersteller der geprüften Produkte wurden vor der Publikation und unter Vorgabe einer Widerspruchsfrist von den Ergebnissen unterrichtet. Es wurden keine Einsprüche erhoben.

 

Abschließende Bemerkung des ZL

 

Das ZL hat als unabhängige Instanz den satzungsgemäßen Auftrag, einen Beitrag zur Arzneimittelsicherheit in der Bundesrepublik Deutschland zu leisten. In unseren vergleichenden Untersuchungen richten wir uns nach den Vorgaben geltender Arzneibücher, da deren Methoden als valide zu betrachten sind.

 

Wir möchten an dieser Stelle aber hervorheben, dass die in den Pharmakopöen veröffentlichten Verfahrensweisen häufig von den herstellerspezifischen Methoden abweichen.

 

Eine Gehaltsbestimmung oder Freisetzungsuntersuchungen nach Arzneibuchmonographie für Darreichungsformen können (im Gegensatz zu Methoden für den reinen Wirkstoff) zu Ergebnissen führen, die von denen der Hersteller abweichen, weil normalerweise erst nach einer Validierung in Bezug auf die Produktmatrix aussagekräftige Ergebnisse erhalten werden. Wir bitten (auch die Hersteller) um Verständnis, wenn das ZL leider nicht für jedes einzelne Präparat Untersuchungen anstellen kann, die mit gerade den Methoden erfolgen, die speziell für die jeweilige Formulierung entwickelt und validiert wurden.

Literatur

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Timmer, CJ. et al. (2000): Clinical pharmacokinetics of mirtazapine. Clin Pharmacokinet. 38(6): 461-474

 

Für die Verfasser:

Dr. Astrid Kaunzinger

Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker e. V.

Carl-Mannich-Straße 20

65760 Eschborn

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