Pharmazeutische Zeitung online
Arzneimittelengpässe

Gefahr für die Patientensicherheit

27.06.2017  11:23 Uhr

Von der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) / Arzneimittelengpässe können die adäquate Versorgung von ­Patienten gefährden und sich negativ auf die Patientensicherheit auswirken. Dies geht aus der 41. Referenzapotheken-Umfrage der AMK hervor. Die Ergebnisse zeigen aber auch: Die Apotheker in Deutschland unternehmen große Anstrengungen, damit eine adäquate Arzneimittelversorgung der Patienten erhalten bleibt.

Im Oktober 2016 erfolgte die 41. Um­frage unter den Referenzapotheken der AMK zum Thema »Liefer- und Ver­sorgungsengpässe von Arzneimitteln« (1–3). Die beiden bundesweiten Re­ferenzapotheken-Netze der AMK ­umfassten zum Zeitpunkt der Um­fra­ge 865 öffentliche Apotheken und 54 Krankenhausapotheken.

Die Umfrage sollte beleuchten, welche aktuelle Bedeutung Liefer- und Versorgungsengpässe bei Arzneimitteln aus Sicht der Apotheken für die Sicherheit von ambulant und stationär versorgten Patienten haben (4, 5). Die Referenzapotheken wurden per E-Mail kontaktiert und um Beantwortung eines elektronisch hinterlegten Fragenkatalogs mit sechs Fragen gebeten. Teilgenommen haben 482 öffentliche Apotheken und 36 Krankenhausapotheken. Die Rücklaufquote betrug somit bei ­öffentlichen Apotheken 56 Prozent und bei Krankenhausapotheken 67 Prozent.

 

Arzneimittelengpässe im Apothekenalltag

 

Knapp 90 Prozent der befragten öffentlichen Apotheken und über 80 Prozent der Krankenhausapotheken bestätigten, dass innerhalb der letzten drei Monate mindestens einmal Arzneimittelengpässe in ihrer Apotheke aufgetreten sind, die gesundheitliche Folgen für die Patienten hatten oder gehabt haben könn(t)en. Mehr als 20 Prozent erklärten sogar, dass dies im besagten Zeitraum öfter als 15-mal vorkam.

 

Längst nicht jeder Arzneimittelengpass ist kritisch für die Versorgung des Patienten. Die Kollegen wurden daher zunächst nach den Folgen befragt, die ihrer Meinung nach in direktem Zusammenhang mit einem Arzneimittelengpass standen. Einige sicherheitsrelevante Beobachtungen wie Medikationsfehler oder Therapieabbrüche standen als Antwort zur Auswahl (Mehrfachnennungen möglich); aber auch individuelle Freitextantworten waren möglich.

 

Abhängig davon, ob der Liefer- und Versorgungsengpass in einer öffentlichen Apotheke oder Krankenhausapotheke auftrat, ergaben sich charakteristische Folgen für die Patienten. Die Mehrzahl der Apotheker gab an, infolge eines Engpasses einen Arzneistoff der zweiten Wahl oder eine weniger geeignete Darreichungsform abgegeben zu haben (mehr als 50 Prozent öffentliche Apotheken, mehr als 60 Prozent Krankenhausapotheken). Während die Häufigkeit von Medikationsfehlern durch fehlerhafte Anwendung des Alternativpräparats mit 20 und 21 Prozent für öffentliche Apotheken sowie Krankenhausapotheken nahezu identisch war, waren 39 Prozent der Apotheker im Krankenhaus der Meinung, dass der Arzneimittelengpass eine lebenswichtige Therapie für den Patienten nicht erlaubte oder zumindest verzögerte, gegenüber 15 Prozent aus öffentlichen Apotheken. Mit 26 Prozent meldeten öffentliche Apotheken hingegen weitaus häufiger ­einen Therapieabbruch, verglichen mit 6 Prozent der Krankenhausapotheken. Dass es unter dem Ersatzarzneimittel zu einer Beeinträchtigung der Therapietreue des Patienten kam, bestätigten etwa 60 Prozent der Apotheker aus öffentlichen Apotheken gegenüber 18 Prozent der Krankenhausapotheker.

Tabelle 1: Maßnahmen, die Apotheken bei einem Arzneimittelengpass in Zusammenarbeit mit Verordnern ergreifen können; Auswahl, angelehnt an (28)

Handlungsschritt Maßnahme
Erkennen und Kommunizieren Überprüfung der Details zum Lieferengpass (Dauer, Ursache) Prüfung alternativer Bezugsquellen, zum Beispiel Einzelimport Bestimmung vorhandener Vorräte und Reichweite Information und Abstimmung mit Verordner(n): Identifikation betroffener Patienten Ermittlung der medizinischen Notwendigkeit Kostenabschätzung Prüfung der rezeptur- oder defekturmäßigen Herstellung
Handeln und Informieren Identifikation der therapeutischen Alternative: Berücksichtigung gesetzlicher und vertraglicher Bestimmungen (z. B. §4 Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V) sowie pharmazeutischer ­Bedenken (§ 17 Abs. 5 ApBetrO) zugelassene Indikationen, Darreichungsform, Dosierregime und Lagerung Pharmakologie, inklusive Wirkmechanismus und Pharmakokinetik Gebrauch in besonderen Patientenpopulationen Anwendung während Schwangerschaft und Stillzeit Vergleich der Wirksamkeit Vergleich der Arzneimittelsicherheit Vergleich der Anwenderfreundlichkeit Ermittlung der Lieferkonditionen Information und Unterweisung der Anwender und Patienten über die therapeutische Alternative
Begleiten und Nachverfolgen Evaluation von Strategien zur Prävention von Medikationsfehlern durch Einsatz der therapeutischen Alternative Erarbeitung von (temporären) Maßnahmen zur Verbrauchssteuerung und Patientenpriorisierung, zum Beispiel Sonderanforderung, Kontigentierung Meldung von UAW aufgrund von Therapieverzögerungen oder -priorisierungen, Unverträglichkeiten oder Medikationsfehlern an die AMK

Unterschiede in der Häufigkeit von lebensbedrohlichen Versorgungsengpässen sowie in der Therapietreue des Patienten bei Anwendung von Alternativpräparaten erklären sich vermutlich aus den Besonderheiten des jeweiligen Umfelds. Stationär behandelte Patienten leiden meist unter schwereren ­Erkrankungen, verbunden mit einer ­höheren Wahrscheinlichkeit für Komplikationen. Eine Hospitalisierung ermöglicht aber auch die Anwendung von Ersatzarzneimitteln unter Aufsicht von medizinischem Fachpersonal.

 

Vereinzelt wurde ein höheres Risiko für Dokumentationsfehler angegeben sowie ein wesentlich gesteigerter Aufwand (Zeit, Kosten) bei der Beschaffung von Arzneimitteln. Auch bemängelten einige Apotheker eine erhöhte Verunsicherung des Patienten, die im Zuge eines Lieferausfalls entstand und trotz eines erhöhten Arbeits- und Beratungsaufwands für die Apotheker bis zu einem kompletten Vertrauensverlust gegenüber der versorgenden ­Apotheke führte. Nur insgesamt zehn Apotheken hatten keine direkten negativen Folgen beobachtet.

 

Die Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass sich Arzneimittelengpässe negativ auf die Patientensicherheit auswirken können. Medikationsfehler, verringerte Therapietreue oder sogar der Abbruch oder die Verzögerung einer lebenswichtigen Behandlung sind keine Ausnahme mehr.

 

Lieferengpass gleich ­Versorgungsengpass?

Ein Lieferengpass stellt nach der Definition des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine voraussichtlich über zwei Wochen hinausgehende Unterbrechung einer Auslieferung im üblichen Umfang dar oder eine deutlich vermehrte Nachfrage, der nicht angemessen nachgekommen werden kann (6). Jede zusätzliche Anpassung der Arzneimitteltherapie aufgrund von Lieferengpässen stellt insbesondere für Apotheker einen nicht unerheblichen zeitlichen und finanziellen Mehraufwand dar (7). Eine medikamentöse Substitution, meist durch ­Alternativpräparate eines anderen ­Herstellers, bedarf einer hohen fachlichen Expertise, interprofessionellen Zusammenarbeit und der intensiven Beratung des Patienten (Tabelle 1).

 

Besonders problematisch wird es, wenn sich Lieferengpässe als Versorgungsengpässe darstellen. Das heißt, dass die adäquate Arzneimittelversorgung des Patienten aufgrund der Nichtverfügbarkeit von therapeutischen Alternativen gefährdet ist. Tatsächlich sieht die große Mehrheit der öffentlichen Apotheker (80 Prozent) und Krankenhausapotheker (90 Prozent) in bis zu 25 Prozent der Arzneimittelengpässe einen Versorgungsengpass für den Patienten. 15 Prozent der öffentlichen Apotheken und 6 Prozent der Krankenhausapotheken schätzten den Anteil an Versorgungsengpässen sogar noch höher ein. Nur 3 Prozent der befragten Apotheker erkannten bisher noch keine Gefahr für eine adäquate Arzneimittelversorgung.

 

Gegenmaßnahmen

 

Liefer- oder Versorgungsengpässe stellen Apotheker oft vor große Heraus­forderungen. Um die medikamentöse Versorgung des Patienten aufrechtzu- erhalten, versuchen sie, drohenden oder bestehenden Engpässen durch unterschiedliche Maßnahmen entgegenzuwirken. Dies wurde bei der AMK-Referenzapotheken-Umfrage deutlich. In der Umfrage standen logistische, galenische sowie medizinisch-pharmazeutische Lösungsansätze zur Auswahl, deren Anwendungshäufigkeit (nie, weniger als 5-mal, 5- bis 10-mal, 11- bis 15-mal, mehr als 15-mal) innerhalb der letzten drei Monate erfragt wurde (Mehrfachnennungen möglich).

 

Etwa die Hälfte der Referenzapotheken bestätigte, sich bis zu 10-mal innerhalb der letzten drei Monate im Fall von Engpässen bei anderen (Filial-)Apotheken nach der Verfügbarkeit von Arzneimitteln erkundigt zu haben. 60 Prozent der öffentlichen und 45 Prozent der Krankenhausapotheken substituierten innerhalb der letzten drei Monate mehr als 15-mal das verordnete (Rabattvertrags-)Arzneimittel, um einen Engpass zu umgehen. In gleichem Maße hielten 43 Prozent der öffent­lichen und Krankenhausapotheken Rücksprache mit dem verschreibenden Arzt zwecks einer Alternativverordnung. Zudem versuchten die versorgenden Apotheken, Lieferengpässen durch Anfertigung eines Rezepturarzneimittels entgegenzuwirken. 48 Prozent der Krankenhausapotheken, aber nur 17 Prozent der öffentlichen Apotheken gaben an, im genannten Zeitraum bis zu vier Rezepturen angefertigt zu haben.

Tabelle 2: Informationsquellen zu Arzneimittelengpässen (6, 8, 9)

Adresse Pfad
www.bfarm.de → Arzneimittel → Pharmakovigilanz → Risikoinformationen → Lieferengpässe
www.pei.de → Arzneimittel → Impfstoffe → Lieferengpässe
www.ema.europa.eu → Human regulatory → Post-authorisation → Medicine shortages

Für Apotheken spielen logistische Maßnahmen eine wesentliche Rolle. Nahezu alle öffentlichen Apotheken (98,5 Prozent) gaben an, Arzneimittel im Einzelfall anstatt vom beliefernden Großhandel vom pharmazeutischen Unternehmen direkt bezogen zu haben. Auch bestätigten alle Krankenhausapotheken den Direktbezug über ein anderes pharmazeutisches Unternehmen als das bisherige, um einen Engpass zu umgehen. Etwa 90 Pro­- zent der Krankenhausapotheken und 48 Prozent der öffentlichen Apotheken tätigten zudem mindestens einmal innerhalb der letzten drei Monate einen Arzneimittelimport nach § 73 (3) AMG. Nahezu alle öffentlichen Apotheken (95 Prozent) sowie 100 Prozent der Krankenhausapotheken bejahten die Frage, ob im genannten Zeitraum mindestens einmal eine erhöhte Bevorratung von relevanten Arzneimitteln zur Vorbeugung von Engpässen initiiert wurde.

 

Apotheken informieren sich fortlaufend

 

Um Patienten umfassend zu beraten und adäquat zu versorgen, ist es für Apotheken essenziell, an aktuelle Informationen zur Verfügbarkeit von Arzneimitteln und deren Alternativen zu gelangen. Die hierfür relevanten Informationsquellen wurden erfragt (Mehrfachnennungen möglich).

 

Das BfArM veröffentlicht seit dem Jahr 2013 auf seiner Homepage eine Übersicht zu aktuellen Lieferengpässen für Humanarzneimittel in Deutschland (Tabelle 2) (6). Zum Zeitpunkt der Referenzapotheken-Umfrage basierte die Meldung jedoch nur auf freiwilligen Angaben der Zulassungsinhaber. Die Bundesoberbehörde hatte keine weitergehenden Informationen zum Lieferstatus der gelisteten Arzneimittel und konnte die Richtigkeit der eingestellten Daten nicht überprüfen. Dabei wurden zum damaligen Zeitpunkt nur Lieferengpässe von Arzneimitteln gelistet, bei denen ein besonderer Informationsbedarf der Fachöffentlichkeit vorausgesetzt wurde. Hierzu gehörten verschreibungspflichtige Arzneimittel, die vorwiegend zur Therapie schwerer bis lebensbedrohlicher Erkrankungen bestimmt sind und für die es keine ­Alternativpräparate gibt.

 

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bietet Übersichten zu Lieferengpässen von Human-Impfstoffen an (8). Alternativprodukte werden aufgeführt, wenn sie verfügbar sind, oder es werden Handlungsempfehlungen des Robert Koch-Instituts (RKI) und der Ständigen Impfkommission (STIKO) genannt.

 

Mehr als 60 Prozent der öffentlichen und der Krankenhausapotheken nutzen die Übersichten der Bundesoberbehörden BfArM und PEI. Weitaus weniger bekannt oder relevant scheint die Website der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zu sein (9). Nur etwa 5 Prozent der öffentlichen Apotheken und 15 Prozent der Krankenhausapotheken greifen hierauf zu, wenn sie Informationen zu Lieferengpässen von Arzneimitteln suchen. Die überwiegende Mehrheit der Apotheker in öffentlichen Apotheken greift auf ­Informationen des pharmazeutischen Großhandels (94 Prozent), der pharmazeutischen Unternehmen (85 Prozent) oder der Fachpresse (54 Prozent) zurück. Für Krankenhausapotheken spielen Informationen des Großhandels oder der pharmazeutischen Fachpresse mit 24 Prozent und 33 Prozent eine weniger prominente Rolle als das Informationsangebot der pharmazeutischen Unternehmer. Alle Krankenhausapotheken bestätigten, Informationen zu Arzneimittelengpässen direkt vom Hersteller zu beziehen.

 

Als weitere Informationsquellen wurden vereinzelt Kollegen aus anderen (Filial-)Apotheken genannt, ebenso Außendienstmitarbeiter der pharmazeutischen Hersteller, Einkaufsgemeinschaften und sogar soziale Medien.

 

Antiinfektiva oft von ­Engpässen betroffen

Diejenigen Apotheken, die das Auftreten eines Arzneimittelengpasses innerhalb der letzten drei Monate bestätigten, wurden gebeten, ein konkretes Beispiel für nicht lieferbare Arzneimittel zu nennen. 75 Prozent der öffentlichen Apotheken und 72 Prozent der Krankenhausapotheken äußerten sich hierzu (Grafik).

 

Bekanntlich gibt es Engpässe bei verschiedenen Arzneimittelklassen (10). Erwartungsgemäß unterschieden sich die Anwendungsgebiete (nach ATC-Code) der betroffenen Arzneistoffe in öffentlichen und in Krankenhausapotheken. Einzig systemisch wirkende Antiinfektiva machen in beiden Fällen einen wichtigen Teil der Arzneimittelengpässe aus (11). Dabei handelt es sich in öffentlichen Apotheken seltener um klassische Antibiotika, sondern zu 85 Prozent um ­Human-Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten.

 

Öffentliche Apotheken meldeten mit insgesamt 130 Nennungen am häufigsten Lieferengpässe von Betablockern (Metoprolol). Weiterhin gab es 35 Meldungen zu Engpässen von Metamizol, das damit das meistgenannte Analgetikum darstellt, und zusammen mit Fluspirilen und Quetiapin sowie Johanniskraut-Präparaten den Großteil der am Nervensystem angreifenden Wirkstoffe ausmachte. Auch 28 Fälle von Lieferengpässen von Antidiabetika, vor allem Liraglutid, Empa­gliflozin und Dapagliflozin, wurden aus öffentlichen Apotheken genannt. Sonstige Arzneistoffklassen umfassten Onkologika wie Melphalan, Schilddrüsenhormone (Levothyroxin), Antithrombotika wie Ticagrelor, Urologika (Solifenacin) oder Wirkstoffe gegen obstruktive Atemwegserkrankungen (Salmeterol/Fluticason, Salbutamol, Vilanterol).

 

Krankenhausapotheken meldeten neben systemisch wirkenden Antiinfektiva wie Piperacillin/Tazobactam vor ­allem Arzneimittelengpässe aus den Arzneistoffklassen der Elektrolytlösungen (Kaliumchlorid) und Hämolytika, zu Onkologika wie Melphalan oder Oxaliplatin und zu Schilddrüsenhormonen (Levothyroxin). Sonstige Arzneistoffklassen umfassten Gynäkologika, Muskelrelaxantien, Opioid-Anästhetika (Remi­fentanil), Antiparasitika (Metronidazol) und Antidota wie 4-Dimethyl-amino­phenol (4-DMAP) oder Calciumfolinat.

 

Ob es sich bei den genannten Beispielen zu Lieferausfällen um tatsächliche Lieferengpässe nach Definition des BfArM handelte, ist nicht gesichert. Von allen genannten Wirkstoffen finden sich derzeit nur sechs explizit in der Übersicht des BfArM zu aktuellen Lieferengpässen (Stand Mai 2017): 4-DMAP, Calciumfolinat, Levothyroxin, Melphalan, Piperacillin/Tazobactam und Remifentanil. Die erwähnten Impfstoffe sind hingegen umfassender (49 der 57 genannten Präparate) in den Übersichten des PEI zu bestehenden (April 2017) oder früheren Lieferengpässen gelistet.

 

Gemeinsam Lösungen ­entwickeln

 

Diese Referenzapotheken-Umfrage der AMK hat gezeigt, dass Medikationsfehler, Therapieabbrüche oder die Verzögerung von lebenswichtigen Behandlungen aufgrund von Liefer- oder Versorgungsengpässen keine Ausnahme sind. Somit bestätigen die Teilnehmer der Umfrage, dass sich Arznei­mit­telengpässe negativ auf die Pa­tien­ten­sicherheit auswirken können (12).

Umso wichtiger ist es, mögliche und tatsächliche Risiken für den Patienten der AMK zu melden. Die AMK erfasst und bearbeitet jeden Einzelfallbericht und leitet diesen an die zuständigen Behörden weiter, sodass frühzeitig Maßnahmen ergriffen werden können. Im ersten Quartal 2017 erhielt die AMK lediglich drei Fälle explizit aufgrund von Versorgungsengpässen. Angesichts der hier erfassten Häufigkeit von Anwendungs- und Medikationsfehlern bei Alternativpräparaten oder einer verringerten Therapietreue werden die konkreten negativen Folgen für den ­Patienten bezüglich der Arznei­mittel(therapie)sicherheit noch zu selten dokumentiert und der AMK gemeldet. Die AMK empfiehlt wegen des konkreten Patientenbezugs, hierfür den UAW-Meldebogen zu verwenden. Als Online-Formular kann dieser einfach und direkt an die AMK übermittelt werden (www.arzneimittelkommis­sion.de).

 

Die Ursachen für Arzneimittelengpässe sind vielfältig und beruhen in der Regel auf Herstellungsproblemen, Preisgestaltungen oder Marktrücknahmen sowie nachfragebedingten Ursachen (13, 14). Die Prozesse der Entwicklung, Zulassung und Herstellung bis hin zum Vertrieb und der Überwachung von Arzneimitteln bedarf hoher Qualitätsstandards. Engpässe resultieren oft aus Qualitätsmängeln oder auch (schweren) Betriebsunfällen in den Produktionsstätten. Sollten hierbei behördlich beauflagte Marktrücknahmen ins Spiel kommen, zum Beispiel aufgrund von Mängeln in den oben genannten Prozessen, bedarf es auch der Bewertung der potenziellen Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die ­Versorgung der Patienten. Sofern medikamentöse Alternativen fehlen und unmittelbar keine Risiken für Patienten erkennbar sind, ist im Einzelfall von ­einer sofortigen Marktrücknahme abzusehen, um Versorgungsengpässe zu vermeiden (15).

 

Arzneimittelengpässe machen sich insbesondere dann bemerkbar, wenn die weltweite Versorgung für die betroffenen Wirkstoffe nur einigen wenigen Herstellern obliegt (16). Dafür wird auch die Preisbildung neuer und alter Arzneimittel verantwortlich gemacht. Bei fehlendem Zusatznutzen im Zuge der frühen Nutzenbewertung haben die Zulassungsinhaber in einigen Fällen neue Arzneimittel vom deutschen Markt genommen. Ältere Wirkstoffe (ohne Patentschutz) unterliegen dagegen einem permanenten Preis- und ­Rabattdruck. Die Produktion und ein Vertrieb in Deutschland sind für den Hersteller dann nicht mehr attraktiv, wobei durch Lizenzverkauf weltweit neue Monopolsituationen entstehen können. Probleme bei Herstellern mit Monopolstellung betreffen dann schnell die adäquate Versorgung der Patienten in Deutschland.

 

Apotheken ist es zu verdanken, dass die häufig auftretenden Lieferengpässe selten relevante Auswirkung auf die Patientensicherheit haben. Maßnahmen wie Arzneimittelimporte, Direktbezug, Rücksprache mit dem Verordner, Rezepturherstellung oder eine ­größere Bevorratung können die Versorgung patientenindividuell sichern, sind jedoch mit einem erheblichen zusätzlichen Zeit- und Beratungsbedarf verbunden (17). Auch ein erhöhter ­finanzieller Aufwand, zum Beispiel für Einzelimporte oder Alternativpräpa­rate, ist zu berücksichtigen.

Nötig sind daher nachhaltige Lösungen, um insbesondere die Apotheken zu entlasten. Zur Vermeidung von Arzneimittelengpässen und zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung in Deutschland müssen die bestehenden Maßnahmen ausgebaut und weiter abgestimmt sowie neue Kontrollen in die Prozesse der Arzneimittelversorgung integriert werden. Dies bedarf der Zusammenarbeit aller im Versorgungssystem beteiligten Heilberufe, Institutionen, Organisationen und Behörden auf nationaler und internationaler Ebene (18).

 

Im Pharmadialog der Bundesregierung wurde daher vereinbart, einen Jour Fixe zum Thema Liefer- und Versorgungsengpässe unter Beteiligung der Bundesoberbehörden und Fachkreise einzurichten, an dem auch die AMK für die Apothekerschaft beteiligt ist (19). Dieser beobachtet und bewertet die Versorgungslage in Deutschland seit dem dritten Quartal 2016.

 

Eine Liste versorgungsrelevanter und potenziell engpassgefährdeter Wirkstoffe soll dabei helfen, zukünftig die Versorgung gezielt sicherzustellen. Zu diesen gehören verschreibungspflichtige Wirkstoffe oder -kombina­tionen ohne therapeutische Alternativen und mit Versorgungsrelevanz für die Gesamtbevölkerung (in der Regel keine ­Orphan Drugs) sowie Wirkstoffe mit ­erhöhtem Versorgungsrisiko. Letztere sind versorgungsrelevante Arzneistoffe, bei denen entweder nur ein Zulassungsinhaber, nur ein endfreigebender Hersteller oder nur ein Wirkstoffhersteller verfügbar ist (20). Arzneimittel mit erhöhtem Versorgungsrisiko unterliegen zukünftig einer besonders engmaschigen behördlichen Überwachung.

 

Die Liste aktuell versorgungsrelevanter Wirkstoffe und solcher mit einem erhöhten Versorgungsrisiko findet sich seit Anfang Mai 2017 auf der Homepage des BfArM. Damit wurden erstmals Empfehlungen des Jour Fixe zum Thema Liefer- und Versorgungsengpässe umgesetzt (21). Die Liste wird von der Bundesoberbehörde bezüglich der Versorgungslage in Deutschland monitoriert, regelmäßig aktualisiert und weiterentwickelt. Für aktuell sehr niedrigpreisige Arzneimittel, insbesondere Antibiotika, soll in Verhandlungen zur Preisbindung eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Lieferfähigkeit berücksichtigt werden, wobei derzeit noch entsprechende Kriterien erarbeitet werden (22).

 

Neue Meldepflichten

 

Vor allem das bestehende System der freiwilligen Meldung von Lieferengpässen durch die Pharmaindustrie hat nicht nur nach Meinung der AMK versagt und muss durch festgelegte Meldepflichten ergänzt werden. Die Ergebnisse dieser Umfrage bestätigen diese Forderung. Im Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (AMVSG) erhalten die beiden Bundesoberbehörden zukünftig die Möglichkeit, Informationen zu Absatzmengen und Verschreibungsvolumen der Arzneimittel direkt von pharmazeutischen Herstellern anzufordern (23). Krankenhausapotheken können Importarzneimittel in angemessenem Umfang auf Vorrat bestellen, um die Akutbehandlung von Patienten zu verbessern. Pharmaunternehmen werden verpflichtet, Krankenhäuser umgehend zu informieren, sobald ihnen Kenntnisse über Lieferengpässe bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zur stationären Versorgung vorliegen (Selbstverpflichtung zur Meldung gemäß § 52b Nr. 3a AMG).

Unabhängig von der Meldeverpflichtung an Krankenhäuser hat das BfArM auf Empfehlung des Jour Fixe seit Anfang Mai 2017 Zulassungsinhaber zur Meldung von Lieferengpässen verpflichtet, wenn Wirkstoffe betroffen sind, für die in der Vergangenheit bereits ein Versorgungsengpass eingetreten war. Für versorgungsrelevante Wirkstoffe, für die im Arzneimittel­informationssystem des Bundes drei oder weniger Zulassungsinhaber, endfreigebende Hersteller oder Wirkstoffhersteller hinterlegt sind, gilt die Verpflichtung gleichermaßen. Zulassungsinhaber nicht gelisteter Wirkstoffe werden ab einem Marktanteil von 25 Prozent darum gebeten, Lieferengpässe an das BfArM zu melden (24).

 

Inwiefern die neuen Meldepflichten dazu führen, zukünftig Liefer- und Versorgungsengpässe frühzeitig zu kommunizieren oder bestenfalls sogar zu verhindern, wird sich zeigen. Die AMK begrüßt die Verpflichtung zur Meldung, fordert aber weiterhin, dass insbesondere öffentliche Apotheken frühzeitig, umfassend und transparent über absehbare kurz- und längerfristige Lieferengpässe informiert werden (25). Bereits jetzt informiert die AMK in den Rubriken »Informationen der Institutionen und Behörden« und »Informationen der Hersteller« im Bedarfsfall über Entwicklungen und behördliche Maßnahmen zu ausgewählten Arzneimittelengpässen. Diese Informationen können Apotheken mittels RSS-Feed-Abonnement direkt per E-Mail erhalten (26, 27).

 

Limitationen der Umfrage

 

Die Ergebnisse der 41. Referenzapotheken-Umfrage der AMK geben einen wichtigen Einblick in den Umgang der Apotheken mit Arzneimittelengpässen in Deutschland zum Zeitpunkt der ­Umfrage. Der Rücklauf von 56 sowie 67 Prozent erhöht jedoch die Gefahr ­eines möglichen Bias, hier: Überschätzung der Relevanz von Arzneimittel­engpässen für die Patientensicherheit. Einige Antworten, beispielsweise zur geschätzten Anzahl an Lieferausfällen, unterliegen dem Risiko der Verzerrung, da sie zumeist auf subjektiven Eindrücken beruhen. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist daher wissenschaft­liche Zurückhaltung geboten.

 

Das Referenzapotheken-Netzwerk der AMK umfasst eine große Zahl von Apotheken verschiedener Größe (Personal und Umsatz) und Lagen (Stadt-, Land-, Rand- sowie Grenzregionen). Hinzu kommt, dass – verglichen mit anderen Umfragen dieser Art – die Rücklaufquote sowie die Anzahl teilnehmender Apotheken (482 öffentliche Apotheken, 36 Krankenhausapotheken) hoch ist (12).

 

Fazit

 

Mit dieser Untersuchung liegen erstmalig belastbare und umfassende Zahlen zu den Auswirkungen von potenziellen Lieferengpässen aus deutschen Apotheken vor. Diese Referenzapotheken-Umfrage der AMK hat gezeigt, dass sich die Apotheker ihrer Verantwortung bewusst sind und mit hohem Zeit- und Beratungseinsatz dafür sorgen, die adäquate Arzneimittelversorgung in Deutschland sicherzustellen und damit die Patientensicherheit zu wahren. /

Für die AMK:

Ralf Goebel, Matthias Ganso, Petra Zagermann-Muncke, André Said und Martin Schulz, AMK, Unter den Linden 19–23, 10117 Berlin, E-Mail: amk@arzneimittelkommission.de

Literatur

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  8. Paul-Ehrlich-Institut (PEI), Lieferengpässe von Human-Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten. www.pei.de/DE/arzneimittel/impfstoff-impfstoffe-fuer-den-menschen/lieferengpaesse/informationen-lieferengpaesse-impfstoffe-node.html.
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  20. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Listen der als versorgungsrelevant beziehungsweise mit einem akut erhöhten Versorgungsrisiko eingestuften Wirkstoffe. www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/zul/amInformationen/Lieferengpaesse/versorgungsrisiko.html.
  21. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Pressemitteilung Nr. 8/17: BfArM erweitert Informationsangebot im Zusammenhang mit Lieferengpässen. 2017.
  22. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Kurzinformation zum 3. Jour Fixe zum Thema »Liefer- und Versorgungsengpässe« am 31. 3. 2017. www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/zul/amInformationen/Lieferengpaesse/jourfixe/protokolle/Kurzinfo_3.html.
  23. Bundesministerium für Gesundheit (BMG), Pressemitteilung: Gröhe: »Arzneimittelversorgung wird zum Nutzen der Patienten weiterentwickelt«: Bundestag verabschiedet Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung. 2017.
  24. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Liste der Wirkstoffe, für welche die Selbstverpflichtung zur Meldung von Lieferengpässen gilt. www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/zul/amInformationen/Lieferengpaesse/selbstverpflichtung_zur_meldung.html.
  25. ABDA–Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V., Pressemitteilung: AMK: Arzneimittellieferengpässe transparent kommunizieren. 2013.
  26. Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK), Informationen der Institutionen und Behörden: BMG/BfArM: Versorgungsmangel mit Piperacillin-haltigen Arzneimitteln. Pharm. Ztg. 162 (1):95.
  27. Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK), Informationen der Institutionen und Behörden: Hexavalenter Impfstoff zur Grundimmunisierung: Wegen Produktionsausfall ist befristet ein nicht in Deutschland zugelassener Impfstoff ohne Einzelimport beziehbar. Pharm. Ztg. 161 (27):99.
  28. Fox, E. R., et al., ASHP Guidelines on Managing Drug Product Shortages in Hospitals and Health Systems. Am. J. Health Syst. Pharm. 2009; 66 (15):1399–406.

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