Pharmazeutische Zeitung online

Atropin bremst Kurzsichtigkeit effektiver als Linsen

Atropin-Augentropfen eignen sich zum Schutz vor zunehmender Kurzsichtigkeit besser als andere Maßnahmen. Auf dieses Ergebnis einer Metaanalyse macht die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) aufmerksam. Im Rahmen der Untersuchung wurden sechzehn randomisierte und kontrollierte Interventionsstudien mit überwiegend asiatischen Kindern ausgewertet. Demnach ergibt sich bei den verschiedenen Maßnahmen zum Schutz vor Myopie folgendes Ranking in der Wirksamkeit: Atropin-Tropfen hoch dosiert verhindern eine Myopie-Zunahme von 0,68 Dioptrien (D) pro Jahr, dicht gefolgt von niedrig dosierten Atropin-Tropfen mit 0,53 D. Es folgen Kontaktlinsen mit 0,21 D jährlich. Zwei Stunden Tageslicht täglich schützen vor einem Verlust von 0,14 D, gleichauf mit Gleitsichtbrillen.

 

«Dass Atropin Kurzsichtigkeit effektiver bremst als Kontaktlinsen oder Tageslicht, deckt sich mit unseren bisherigen Annahmen», sagt Professor Dr. Wolf Lagrèze von der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg. Dennoch werfe die Metaanalyse eine wichtige Frage auf. «Die Behandlungen könnten womöglich bei asiatischen Kindern besser anschlagen als bei europäischen», so der Mediziner. Daher müssten dringend Studien auch mit deutschen Kindern auf den Weg gebracht werden. Bis deren Ergebnisse vorliegen, seien Schulen und Eltern gefordert, bei Kindern auf eine ausreichende Versorgung mit Tageslicht zu achten.

 

Laut DOG verordnen Augenärzte in Deutschland bereits jetzt schon in vielen Fällen Atropin im Off-Label-Use. Auch Kinderophthalmologe Lagrèze berichtet von ermutigenden Erfahrungen. «Die ersten Rückmeldungen sind positiv, das Medikament ist in der geringen Konzentration gut verträglich», so Lagrèze. Er empfiehlt, Atropin in einer Konzentration von 0,01 Prozent über mehrere Jahre vor jedem Schlafengehen jeweils mit einem Tropfen in beide Augen zu geben.

 

Die Kurzsichtigkeit gehört zu den am stärksten zunehmenden Augenproblemen weltweit. In Europa sind derzeit schon 47 Prozent aller 25-Jährigen betroffen, in einigen asiatischen Ländern sogar bis zu 96 Prozent der 20-jährigen. Zu den Ursachen für das Anwachsen der Zahlen zählen Forscher neben genetischen Anlagen auch ein verändertes Freizeit-, Lern- und Arbeitsverhalten. «Verstärkte Naharbeit durch Lesen, Computernutzung oder Smartphone fördert Myopie», erläutert Lagrèze. Kurzsichtigkeit ist ein Hauptrisikofaktor für ernste Augenleiden wie Makuladegeneration, Netzhautablösung und Glaukom. «Es ist deshalb vordringlich, die Sehschwäche zu stoppen, wenn sie beginnt, also im Grundschulalter», betont Lagrèze. (ss)

 

15.09.2016 l PZ

Foto: Fotolia/Elenathewise