Ein Relikt mittelalterlicher Zunftstrukturen? |
27.04.2015 10:55 Uhr |
André Byrla, Berlin / Seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum apothekenrechtlichen Fremdbesitzverbot im Jahr 20091 ist schon wieder einiges Wasser die Mühlen herunter ins Tal gelaufen – zumindest hat es den Anschein, käme man in Versuchung das Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen vom Juni 2014 zu lesen. Deren Empfehlung: Die Abschaffung des Fremdbesitzverbotes »als ein Relikt mittelalterlicher Zunftstrukturen«.2 Professorale Polemik aus dem Elfenbeinturm oder fundierte Feststellung?
Das sogenannte »Fremdbesitzverbot« oder zutreffender der Grundsatz, dass Eigentum und Betrieb einer Apotheke nur einem Apotheker vorbehalten sind, wie es sich aus § 2 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 7 und 8 ApoG ergibt, geht auf die Zeit des »Apothekenurteils»3 des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 1958 zurück.
Immer noch kritisieren Gesundheitsökonomen das Fremdbesitzverbot. Tatsächlich gibt es aber keinen nachvollziehbaren Grund, die Organisationsstruktur der Arzneimittelversorgung grundlegend zu verändern.
Foto: imago/Fishman
Nachdem das BVerfG eine objektive, an die Zahl der zu versorgenden Patienten anknüpfende Berufszulassungsbeschränkung für Apotheker als mit der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar erklärte hatte, entschloss sich der Gesetzgeber des ApoG vom 20.08.1960, das Apothekenwesen mittels eines Fremd- und Mehrbesitzverbotes zu regulieren.4 Der Gesetzgeber ließ sich dabei von der Grundanschauung des »Apothekers in seiner Apotheke« leiten und erlegte dem selbstständigen Apotheker die persönliche Leitungspflicht in eigener Verantwortung auf.5
Beim Fremdbesitzverbot handelt es sich jedoch um keine Absonderlichkeit des Apothekenrechts. Wesensgleiche Regelungen existieren unter anderem auch im Hinblick auf das Betreiben von Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien – in gleicher Weise immer wieder Angriffen ausgesetzt.
Diesen Beschränkungen durch berufsrechtliche Fremdbesitz- und Fremdbeteiligungsverbote liegt der einheitliche Gedanke des Schutzes des Berufsbildes und der Patienten beziehungsweise Mandanten zugrunde. Die Einzelunternehmen beziehungsweise Gesellschaften sollen ohne wesentlichen Einfluss berufsfremder Kapitalgeber oder Anteilseigner, die allein am wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmung interessiert sind, von den freien Berufsträgern geführt werden. Gerechtfertigt werden diese Regelungen damit durch schützenswerte Interessen des Gemeinwohls, die Grundlage des jeweiligen Berufsbildes und Berufsverständnisses sind.6
Das apothekenrechtliche Fremdbesitzverbot wird mit dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung, als zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gehörend, gerechtfertigt. Der Gesundheitsschutz umfasst dabei im Einzelnen auch die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen und sicheren Arzneimittelversorgung der Bevölkerung7, welche nach § 1 Abs. 1 ApoG den Apotheken als Aufgabe übertragen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Unterschied zu gewöhnlichen Waren bei Arzneimitteln ein hohes Risikopotenzial besteht. Dieses äußert sich nicht nur dadurch, dass im Krankheitsfall die gewünschte Wirkung eines Medikaments ausbleiben, sondern es zum Eintritt unerwünschter Arzneimittelwirkungen kommen kann. So ist im Fall des Fehlgebrauchs bestimmter Arzneimittel (beispielsweise durch Überdosierung) auch das Auftreten tödlicher oder schwer gesundheitsschädlicher Folgen möglich.8
Der Gesetzgeber des ApoG wollte ein Auseinanderfallen von Verantwortlichkeit für die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe und Eigentümerstellung vermeiden. Die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung der Bürger sei dann am besten gewährleistet, wenn die allseitige Verantwortung für den Betrieb der Apotheke in der Hand eines Apothekers liegt, wenn also dem ausgebildeten Apotheker, der für die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Aufgaben einzustehen hat, auch das Eigentum an der Apotheke zusteht.9
Das BVerfG hat diese gesetzgeberische Intention in seinem Urteil zum Mehrbesitzverbot im Jahr 1964 als mit der Verfassung vereinbar erklärt und dazu Folgendes ausgeführt: »Die wachsende Zahl der Arzneimittelspezialitäten verlangt den wissenschaftlich gebildeten Apotheker. Nur er ist in der Lage, den Überblick über die Arzneimittel zu behalten; er kann auch dem Arzt beratend zur Seite stehen. Diese Eigenart des Berufes des selbstständigen Apothekers bringt es mit sich, daß [sic] bei ihm die Züge des freien Berufes überwiegen; es sind ihm Dienste höhere Art aufgetragen, hinter die das Streben nach Gewinn, wie es sonst der gewerblichen Wirtschaft eignet, zurücktritt. […] Wegen seiner öffentlichen Aufgaben ist die Verantwortlichkeit des selbstständigen Apothekers gegenüber dem Käufer, der selbst mangels Fachkunde die Güte und Richtigkeit der abgegeben Medikamente nicht prüfen kann, erheblich gesteigert. Ihn trifft die öffentlich-rechtliche Pflicht, daß [sic] die abgegebenen Waren der ärztlichen Verordnung entsprechen; zugleich hat er zur Gegenkontrolle des Arztes die Einhaltung der Vorschrift über die Maximaldosis zu überwachen. Das Betäubungsmittelrecht weist ihm eine wichtige Mitwirkung bei der Kontrolle des Verbrauchs von Betäubungsmitteln zu. Schließlich hat er im Rahmen des Möglichen durch geeignete Beratung des Kunden dem Arzneimittelmissbrauch [sic] entgegenzuwirken.»10
Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil »DocMorris II« die Entscheidung des Gesetzgebers, den Verkauf von Arzneimitteln grundsätzlich Apothekern vorzubehalten, bekräftigt und dies ebenfalls mit deren Befähigung und ihren Pflichten, insbesondere zur personenbezogenen Beratung, begründet. Nichtapotheker böten nicht die gleichen Garantien wie Apotheker, denn sie unterschieden sich – so der EuGH zutreffend – von Apothekern dadurch, »dass sie definitionsgemäß keine derjenigen der Apotheker entsprechende Ausbildung, Erfahrung und Verantwortung haben«. 11
Neben der fehlenden Befähigung von Nichtapothekern zur Ausübung der von den Apothekern übernommenen, verantwortungsvollen Aufgabe der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung, betont der EuGH die Gefahr, dass sich Nichtapotheker von einem ungezügelten Gewinnstreben zum Nachteil der zu versorgenden Patienten leiten ließen.12
Es lässt sich zwar nicht bestreiten, dass auch Apotheker – wie andere Personen – bestrebt sind, Gewinne zu erwirtschaften. Jedoch ist – in Übereinstimmung mit dem EuGH – davon auszugehen, dass dieses Gewinnerzielungsinteresse durch ihre Ausbildung, berufliche Erfahrung und die ihnen obliegende Verantwortung eingedämmt wird. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass Verstöße von Apothekern gegen Rechtsvorschriften oder berufliche Regelungen nicht nur den Wert ihrer Investition, sondern auch ihre eigene berufliche Existenz, die überwiegend an ihre Approbation geknüpft ist, gefährden.13
Vor dem Hintergrund der hier dargestellten historischen Entwicklung des Fremdbesitzverbotes und seiner verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, erweist sich der Appell des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (Sachverständigenrat) zur Abschaffung des Fremdbesitzverbotes als wenig nachvollziehbar. Die Auffassung, es handle sich um »ein Relikt mittelalterlicher Zunftstrukturen«, kann bestenfalls als ein Ausdruck beschränkter gutachterlicher Prüfung eines politischen Gremiums aus Medizinern und Ökonomen gewertet werden, welche die Befähigung zur gesamtgesellschaftlichen Analyse des Gesundheitswesens vermissen lässt.
Selbst aber unter allein wirtschaftlichen Aspekten kann das Gutachten des Sachverständigenrates angezweifelt werden.
Der Sachverständigenrat sieht in der Abschaffung von Fremd- und Mehrbesitzverbot ein großes Einsparpotenzial im Hinblick auf die Kosten für das öffentliche Gesundheitswesen. Dieses Einsparpotenzial entstehe, weil sich durch die Öffnung des Marktes für Nichtapotheker aufgrund wettbewerblicher Konzentrationsprozesse aufseiten der Arzneimittelversorger oligopolähnliche Strukturen herausbildeten. Diese überschaubare Anzahl von Unternehmen, die überall in Deutschland Apotheken unterhielten (Apothekenketten), wären sodann aufgrund ihrer Marktmacht in der Lage, mit den Arzneimittelherstellern bessere Bezugspreise unter Umgehung des Großhandels auszuhandeln. 14
Weitere (positive) Kosteneffekte seien durch eine Zentralisierung bestimmter Aufgaben, beispielsweise Laboruntersuchungen und Chargenstichproben, sowie durch eine Änderung der Personalstruktur zu erwarten. Im Gutachten heißt es dazu wörtlich: »Schließlich eröffnen Apothekenketten ein breiteres Betätigungsfeld für Apotheker, die entsprechend ihrer Lebensplanung beziehungsweise ihrer Arbeit-Freizeit-Präferenz teilweise lieber als Angestellte beziehungsweise in Teilzeit arbeiten möchten.« 15
Einen Nachweis für die oben genannten Effekte bleibt der Sachverständigenrat jedoch schuldig. Gegner der These, dass Apothekenketten zu niedrigeren Arzneimittelpreisen führen, können sich dagegen auf Untersuchungen in den USA berufen. Eine Studie aus dem Jahr 200916 kam dort zu dem Ergebnis, dass in North Dakota, dem einzigen Bundesstaat in dem ein Fremdbesitzverbot in den Vereinigten Staaten existiert, die Durchschnittspreise für verschreibungspflichtige Arzneimittel zu den Niedrigsten des Landes gehören.17
Der Sachverständigenrat berücksichtigt zudem gesamtwirtschaftliche Folgen nicht, die bei der geforderten Deregulierung des Zutritts zum Arzneimittelversorgungsmarkt zu erwarten sind. Durch den Konzentrationsprozess aufseiten der Anbieter kann mit einem erheblichen Rückgang der Apothekenzahlen gerechnet werden. Dies dürfte insbesondere in ländlichen Regionen zu einer größeren Unterversorgung führen, die den Gesamtaufwand für den Bezug von Arzneimitteln aufseiten der Verbraucher (beispielsweise durch zusätzliche Fahrtkosten) beträchtlich erhöhen könnte.
Keine Beachtung durch den Sachverständigenrat finden ferner die wirtschaftlichen Folgen ungehemmten Gewinnstrebens, welches aus einer Deregulierung entstünde und eine Gefahr für die Beeinträchtigung der Gesundheit der Bevölkerung mit sich brächte. Der Ersatz körperlicher Schäden durch fehlerhafte Arzneimittelversorgung wäre nur insoweit von den Unternehmen zu tragen, als diese die Schadensersatzforderungen anerkennen oder sie von den Konsumenten in gerichtlichen Verfahren bewiesen werden. Aufwendungen für alle übrigen körperlichen Schäden verblieben bei der Sozialgemeinschaft mit der Folge einer Verteuerung des öffentlichen Gesundheitswesens insgesamt. Ungeachtet dessen, verbleiben zudem die erforderlichen Kosten gescheiterter Rechtsverfolgung bei den Verbrauchern.
Unberücksichtigt gelassen wurde auch der immaterielle Wert der Vertrauensbeziehung zwischen Verbraucher und den Apothekern in einer inhabergeführten Apotheke. Zuzugeben ist allerdings, dass eine Bezifferung dieses wirtschaftlichen Wertes äußerst komplex ist.
Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass der Erkenntnis des Sachverständigenrates nur eine mangelhafte Analyse der Kosten, Nutzen und Risiken zugrunde gelegen haben kann. Die daraus resultierenden Zweifel an der wirtschaftlichen Kompetenz des Sachverständigenrates wiegen schwer. Unabhängig davon, bleibt der Sachverständigenrat eine Erklärung schuldig, warum in dessen hier dargestellten, deregulierten Arzneimitteldistributionsmodell die Risiken von Gesetzesverstößen und der Bruch von Berufsregelungen ganz überwiegend von abhängig beschäftigten Apothekern mit ihrer Approbation und damit mit ihrer beruflichen Existenz getragen werden sollen und nicht von denen, die mit dem Betreiben großer Apothekenketten maßgeblich an ihrem Gewinn partizipieren.
Richtig ist, dass der Gesetzgeber in seiner Entscheidung zur Abschaffung des Fremd- und beschränkten Mehrbesitzverbotes frei ist. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zu dieser Form der Regulierung der Arzneimittelversorgung besteht nicht, wie dies auch der Sachverständigenrat zutreffend feststellt.18 Richtig ist aber auch, dass aus den Grundrechten unseres Grundgesetzes gesetzgeberische Pflichten zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung erwachsen können. Der Gesetzgeber ist daher aufgefordert, bei der Frage der Ausgestaltung der Gesundheitsversorgung – anders als der Sachverständigenrat – mit größerem Sachverstand gesamtgesellschaftliche Erwägungen anzustellen. /
Anschrift des Verfassers
André Byrla, Rechtsanwalt in der Sozietät Northon Rechtsanwälte, Berlin, Promotionsstudent an der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam