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Neue Therapieoption bei Lungenkrebs

04.02.2015  09:40 Uhr

Von Sven Siebenand / Seit Anfang Januar ist der Wirkstoff Nintedanib (Vargatef® 100-/150 mg Weichkapseln, Boehringer Ingelheim) im deutschen Handel. Er wird in Kombination mit Docetaxel zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit lokal fortgeschrittenem, metastasiertem oder lokal rezidiviertem nicht kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) mit Adenokarzinom- Histologie nach Erstlinien-Chemotherapie angewendet.

Die Tumorangiogenese trägt wesentlich zum Tumorwachstum, zur Progression und Bildung von Metastasen bei. Nintedanib ist ein dreifach zielgerichteter Angiokinase-Inhibitor, der die vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor-Rezeptoren (Vascular Endothelial Growth Factor Receptor, VEGFR) 1 bis 3, die von Blutplättchen abgeleiteten Wachstumsfaktor-Rezeptoren (Platelet-Derived Growth Factor Receptors, PDGFR) α und β und die Kinaseaktivität der Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptoren (Fibroblast Growth Factor Receptor, FGFR) 1 bis 3 blockiert. Der Wirkstoff bindet kompetitiv an die Adenosintriphosphat (ATP)-Bindungstasche dieser Rezeptoren und blockiert die intrazelluläre Signalübertragung, die für die Proliferation und das Überleben von Endothelzellen sowie von perivaskulären Zellen entscheidend ist.

In der doppelblinden, randomisierten Phase-III-Studie LUME-Lung 1 wurden die Wirksamkeit und Sicherheit von Nintedanib plus Docetaxel bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem, metastasiertem und/oder rezidiviertem NSCLC nach Versagen einer Erstlinien-Chemotherapie gegenüber Placebo plus Docetaxel bei 1314 Patienten untersucht. Sie erhielten entweder zweimal täglich 200 mg peroral Nintedanib plus einmal alle drei Wochen Docetaxel 75mg/m2 intravenös (n = 655) oder Placebo plus Docetaxel (n = 659). Beim primären Endpunkt progressionsfreies Überleben führte die Kombination von Nintedanib und Docetaxel bei allen Patienten, unabhängig von der Tumorhistologie, zu einer signifikanten Verlängerung von 2,7 auf 3,4 Monate. Zudem verlängerte die Hinzunahme von Nintedanib zu Docetaxel – verglichen mit Docetaxel allein – bei der präspezifizierten Subgruppe der Patienten mit einem Adenokarzinom das Gesamtüberleben (sekundärer Endpunkt) im Median von 10,3 auf 12,6 Monate.

 

Die empfohlene Dosis beträgt 200 mg zweimal täglich, die im Abstand von etwa zwölf Stunden an den Tagen 2 bis 21 eines 21-tägigen Doce­taxel-Standard-Behandlungszyklus vorzugsweise zu einer Mahlzeit einzunehmen ist. An dem Tag, an dem der Pa­tient die Docetaxel-Chemotherapie erhält, muss er die Nintedanib-Einnahme unterbrechen. Als erste Maßnahme bei bestimmten Nebenwirkungen sollte der Arzt eine vorübergehende Unterbrechung der Nintedanib-Therapie anordnen. Später muss er entscheiden, ob und wann der Patient die Therapie mit einer reduzierten Dosis wiederaufnimmt, oder das Präparat schließlich ganz absetzt werden muss. Nicht empfohlen wird Nintedanib bei mittelschwerer und schwerer Leberfunktionsstörung. Wirksamkeit und Sicherheit des Wirkstoffs wurden auch bei schwerer Nierenfunktionsschwäche nicht untersucht.

 

Die am häufigsten berichteten unerwünschten Arzneimittelwirkungen unter Nintedanib waren Diarrhö, erhöhte Leberenzymwerte und Erbrechen. Sehr häufig kam es unter anderem auch zu Übelkeit und Abdominalschmerzen, Blutungen sowie Neutropenien. In der Fachinformation wird dem Arzt geraten, die Leberwerte und das Blutbild bei Patienten unter Nintedanib regelmäßig zu kontrollieren. Patienten, die Antikoagulan­zien wie Phenprocoumon oder Warfarin einnehmen, sollte er auf das Auftreten von Blutungen überwachen. Ebenso sollten Patienten auf thromboembolische Ereignisse eng­maschig überwacht werden. Zudem kann es Komplikationen bei der Wundheilung geben.

Bei Durchfall sollte mit ausreichend Flüssigkeits­zufuhr und Antidiarrhoika wie Loperamid behandelt werden und eine Unterbrechung, Dosisreduktion oder Absetzen der Nintedanib-Therapie in Erwä­gung gezogen werden. Auch bei Übelkeit und Erbrechen muss der Arzt die Behandlung überden­ken. Eine unterstützende Maßnahme gegen Übelkeit und Erbrechen können neben ausreichen­der Flüssigkeitszufuhr antiemetische Arzneimittel wie Glucocorticoide, Antihistaminika oder 5-HT3-Antagonisten, die sogenannten Setrone, sein.

In Sachen Wechselwirkungen ist zu bedenken, dass starke Inhibitoren des P-Glykoproteins (P-gp) wie Ketoconazol und Erythromycin die Plasma­spiegel von Nintedanib erhöhen können. Starke Induktoren von P-gp wie Rifampicin, Carbama­zepin, Phenytoin und Johanniskraut können die Spiegel des neuen Wirkstoffs dagegen verringern.

 

Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung und mindestens drei Monate nach der letzten Dosis von Nintedanib angemessen verhüten, um eine Schwangerschaft zu vermeiden. Da Nintedanib beim Menschen fetale Schäden verursachen kann, darf der Wirkstoff bei Schwangeren nicht zum Einsatz kommen, es sei denn, eine Behandlung damit ist aufgrund des klinischen Zustandes der Frau erforderlich. Das Stillen sollten Frauen unter Nintedanib-Therapie unterbrechen.

 

Gut möglich, dass Nintedanib zukünftig auch bei anderen Erkrankungen zum Einsatz kommen kann. Unter dem Handelsnamen Ofev® ist der Wirkstoff in den USA bereits zur Therapie der idiopathischen Lungenfibrose zugelassen. Der Ausschuss für Human­arzneimittel der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hat im November 2014 eine Zulassungsempfehlung in dieser Indikation ausgesprochen. Zudem wird Nintedanib derzeit bei verschiedenen Tumoren geprüft. So laufen zum Beispiel Phase-III-Studien beim therapierefraktären kolorektalen Karzinom und beim Ovarialkarzinom. /

 

--> vorläufige Bewertung: Schrittinnovation

Kommentar

Zu Jahresbeginn eine Schrittinnovation

Für die sekundäre Therapie des lokal fortgeschrittenen, metastasierten oder lokal rezidivierten nicht kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) steht seit Januar mit Nintedanib ein neuer Tyrosinkinase-Inhibitor zur Verfügung, der gleichzeitig drei Klassen von Rezeptor-Tyrosinkinasen inhibiert, die an der Neoangiogenese beteiligt sind. Mit dieser neuen Substanz, die laut Zulassung nur in Kombination mit Docetaxel gegeben werden darf, ist die Hoffnung verknüpft, das Wachstum und die Metastasierung solider Tumoren weitgehend zu unterdrücken. Leider liegen keine Vergleiche mit dem 2012 eingeführten Crizotinib und dem seit 2013 verfügbaren Afatinib vor, die eine ähnliche Indikation haben. Trotzdem kann Nintedanib als Schrittinnovation bewertet werden, weil es das Therapiespektrum für NSCLC erweitert und auch für andere Tumoren einsetzbar ist.

 

Professor Dr. Hartmut Morck

Universtität Marburg

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