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Arzneistoffdosierung

Pharmakokinetik bei Adipositas

14.05.2014  09:59 Uhr

Von Stefanie Paasch / Menschen mit Adipositas haben nicht nur einen höheren Körperfettanteil als Normalgewichtige, sondern auch ein größeres Blutvolumen. Das sollte bei der Dosierung von Arzneistoffen berücksichtigt werden, insbesondere wenn diese eine geringe therapeutische Breite haben. Pauschale Aussagen zur Dosisanpassung sind allerdings schwierig bis unmöglich.

Die zunehmende Körpermasse beruht bei Adipösen nicht nur auf einem höheren Anteil an Körperfett. Vielmehr spielen viele Einzelkomponenten zusammen, die insgesamt für die steigende Anzeige auf der Waage verantwortlich sind. Dennoch kommt der Fettmasse eine Schlüsselrolle zu, und sie wächst im Verhältnis stärker als die anderen Faktoren.

Aufgrund des größeren Körperfettanteils müssen Skelettmuskulatur und Knochengerüst bei Bewegung mehr Arbeit verrichten, ähnlich eines Krafttrainings. Um weiterhin die Last des Körpers zu tragen, wird vermehrt Muskelmasse gebildet. Zusätzlich wird die Bildung der Osteoblasten angeregt, wodurch der Aufbau der Knochenstruktur kompakter wird. Ebenso steigt das Blutvolumen an. Denn neben Muskeln und Organen muss auch das Fettgewebe durchblutet und mit Nährstoffen versorgt werden, wobei Fettgewebe im Vergleich zu anderen Geweben weniger gut durchblutet ist (1).

 

An die Zunahme des Blutvolumens passt sich der Herzmuskel an. Seine Masse nimmt zu, ebenso wie die anderer innerer Organe. Aufgrund der Neubildung und der Volumenzunahme von Zellen und der damit verbundenen größeren zu versorgenden Oberfläche ist auch das intra- und extrazelluläre Volumen erhöht.

 

Absorption nahezu unverändert

 

Die veränderten Körperverhältnisse eines adipösen Menschen lassen vermuten, dass sich die Absorption von Arzneistoffen gegenüber Menschen mit Normalgewicht unterscheidet. Es existieren jedoch Studien, die im Vergleich beider Kollektive zeigen, dass sich die orale Arzneistoffaufnahme der betrachteten Wirkstoffe nicht signifikant unterscheidet (2, 3).

 

Das Verteilungsvolumen eines Wirkstoffs wird maßgeblich durch seine physikochemischen Eigenschaften bestimmt. Daneben wirken sich Gewebegröße, -permeabilität und -affinität sowie Plasmaproteinbindung auf das Verteilungsgleichgewicht aus. Die Albuminkonzentrationen Adipöser und Normalgewichtiger unterscheiden sich nicht signifikant voneinander. In Bezug auf das saure α1-Glykoprotein, ein Marker der unspezifischen Immunabwehr, existieren abweichende Aussagen über einen erniedrigten, gleichen oder erhöhten Anteil (1, 2, 3, 4). Auf die Wirkstoffkonzentration hat dies jedoch in der Regel keinen signifikanten Einfluss.

 

Arzneistoffe, die überwiegend lipophile Eigenschaften haben, verteilen sich im Fettgewebe, wogegen hydrophile Wirkstoffe sich in wässrigen Kompartimenten anreichern. Die Gefahr für unzureichende Wirkstoff­dosierungen steigt folglich mit zunehmendem Ausmaß der Adipositas. Die verstärkte Verteilung lipophiler Arzneistoffe ins Fettgewebe bedingt eine niedrige Wirkstoffkonzentration im Blut bei verabreichter Standarddosis. Ebenso liegen die Blutkonzentrationen bei hydrophilen Wirkstoffen im subtherapeutischen Bereich, wenn Dosierungen Normalgewichtiger herangezogen werden. Die erhöhte Organ- und Muskelmasse sowie der höhere Körperwasseranteil sind hierfür verantwortlich. Im Vergleich zum Einfluss des Fettgewebes ist dieser zwar geringer, aber dennoch nicht zu vernachlässigen (2).

 

Beispielsweise sollte die Dosierung der hydrophilen Aminoglykoside bei Adipösen angepasst werden. Das dabei zu berücksichtigende erhöhte Verteilungsvolumen fließt bei der Dosis­berechnung mit einem spezifischen Korrekturfaktor ein. Wird dagegen das Idealgewicht der Berechnung zugrunde gelegt, ist die Dosierung zu niedrig. Bei Verwendung des aktuellen, totalen Körpergewichts (TBW) ist die Dosierung zu hoch und das Risiko für Nephro- und Ototoxizität steigt.

 

Heparin und andere niedermolekulare Heparine verteilen sich im Blut­volumen. Die Absorption nach sub­kutaner Gabe ist zwar bei Adipösen herabgesetzt, dieser Effekt wird aber bislang nicht als signifikant beschrieben. Lediglich das erhöhte Verteilungsvolumen muss durch eine Dosiserhöhung berücksichtigt werden. Enoxaparin beispielsweise sollte zur Prophylaxe zweimal täglich statt einmal täglich verabreicht werden (5, 6, 7). Bei nicht chirurgischen Patienten ist alternativ eine Gabe von einmal täglich 0,5 mg/kg TBW möglich (5).

Wenig Unterschiede beim Arzneistoffmetabolismus

 

Die in Phase I der Biotransformation stattfindenden Oxidations-, Reduktions- und Hydrolysereaktionen sind bei Adipösen und Normalgewichtigen ähnlich beziehungsweise bei höherem Körpergewicht leicht gesteigert, was aber für sich betrachtet kein Grund für eine Anpassung der Wirkstoffdosierung ist. Zur Gesamtbeurteilung unter Einfluss weiterer Faktoren sollte dies dennoch im Hinterkopf behalten werden. Ein Unterschied zeigt sich in Phase II der Biotransformation, vor allem bei der Glucuronidierung und Sulfatierung. Beide sind bei Adipösen erhöht, jedoch scheint lediglich der Anstieg der Glucuronidierung ein signifikantes Ausmaß zu haben (3).

 

Die Leberfunktion ist trotz einer Kumulation von Fett in dem Organ nicht eingeschränkt. So besteht auch bei einer Fettleber eine klare Korrelation zwischen Leberfunktionstests und der Kapazität des Wirkstoffmetabolismus. Teilweise zeigen CYP-Enzyme veränderte Aktivität. So weist das Enzym CYP2E1 bei adipösen Patienten einen gesteigerten Stoffumsatz auf, der bei einer Gewichtsreduktion abnimmt (1, 3, 4).

 

Zusätzlich muss die metabolische Aktivität anderer Gewebe berücksichtigt werden, insbesondere die des Fettgewebes. Die Glutathiontranshydro­genase des weißen Fettgewebes ist verantwortlich für die Spaltung von Insulin. Dies ist ein Ansatzpunkt, um die Hyperinsulinämie bei Adipösen zu erklären.

 

Eine allgemeine Aussage über die renale Clearance bei Adipösen gestaltet sich sehr schwierig. In mehreren Studien, die zur Berechnung die Krea­tinin-Clearance (CLcr) heranzogen, waren die Ergebnisse sehr verschieden. Diese Differenzen rühren nicht nur daher, dass verschiedene Formeln zum Einsatz kamen. Ein weiterer Grund ist, dass bei der Verwendung der Cockcroft-Gault-Formel das TBW herangezogen beziehungsweise das Ergebnis im Anschluss anhand des TBW oder des Magergewichts (LBW) normalisiert wurde. Das verändert die resultierenden Werte für die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) erheblich, wie Janmahasation et al. unter Verwendung der Cockcroft-Gault-Formel zeigten (8).

 

Demirovic et al. untersuchen sowohl den Einfluss verschiedener Berechnungsformeln (Cockcroft-Gault-, MDRD- und Salazar-Corcoran-Formel) als auch den Einsatz unterschiedlicher Gewichtsparameter auf die CLcr. Die berechneten Ergebnisse verglichen sie mit den experimentell ermittelten. Im Ergebnis zeigte sich, dass die Berechnung anhand von LBW und FFW mit der Cockcroft-Gault-Gleichung als einzige Methode nicht zu signifikanten Unterschieden in Bezug auf die experimentell bestimmte CLcr führte (9). Zu den gleichen Ergebnissen kommen weitere Studien (4, 10, 11), weshalb sich zusammenfassend sagen lässt, dass zur Berechnung der GFR bei Adipösen die Cockcroft-Gault-Formel unter Einsatz des LBW herangezogen werden sollte.

 

Als weitere pharmakokinetische Größe darf auch die Eliminationshalbwertszeit nicht unberücksichtigt bleiben. Sie hängt sowohl vom Verteilungsvolumen als auch von der renalen Clearance ab. Entsprechend der zuvor beschriebenen Veränderungen ist diese bei Adipösen im Vergleich zu Normalgewichtigen erhöht oder erniedrigt.

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Wirkstoffdosierungen bei Adipösen genau zu hinterfragen sind und eine Dosisanpassung individuell zu prüfen ist. Dies betrifft vor allem Wirkstoffe mit geringer therapeutischer Breite, Immunsuppressiva, Antibiotika, Chemotherapeutika, Antikoagulanzien beziehungsweise Arzneistoffe, deren pharmakologischer Effekt nicht direkt messbar oder beurteilbar ist. Zu Beginn einer solchen Therapie ist es deshalb ratsam, nach Möglichkeit ein therapeutisches Drug-Monitoring durchzuführen, um Unter- und Überdosierungen zu vermeiden, die Arzneimitteltherapiesicherheit zu erhöhen und den Therapieerfolg zu verbessern. /

Literatur

  1. Cheymol G. Effects of Obesity on Pharmacokinetics. Clin Pharmacokinet 2000; 39 (3): 215-231.
  2. Lee JB, PharmD; P. Winstead S, PharmD; Cook AM, UK Health Care, Department of Pharmacy, University of Kentucky Pharmacokinetic Alterations in Obesity Orthopedics 2006; 29(11): 984.
  3. Blouin RA, Warren GW. Pharmacokinetic Considerations in Obesity. Journal of Pharmaceutical Science 1999; 88: 1-7.
  4. Hanley MJ, Abernethy DR, Greenblatt DJ. Effect of Obesity on the Pharmacokinetics of Drugs in Humans. Clin Pharmacokinet 2010; 49 (2): 71-87.
  5. Rondina MT, Wheeler M, Rodgers GM, Draper L, Pendleton RC. Weight-based dosing of Enoxaparin for VTE prophylaxis in morbidly obese, medically-III patients. Thrombosis Research 2010; 125: 220-223.
  6. Rowan BO, Kuhl DA, Lee MD, Tichansky DS, Madan AK. Anti-Xa Levels in Bariatric Surgery Patients Receiving Prophylactic Enoxaparin. Obesity Surgery 2008; 18: 162-166.
  7. Simone EP, Madan AK, Tichansky DS, Kuhl DA, Lee MD. Comparison of two low-molecular-weight heparin dosing regimes for patients undergoing laparoscopic bariatric surgery. Surg Endosc 2008; 22: 2392-2395.
  8. Janmahasatian S , Duffull SB, Chagnac A, Kirkpatrick CMJ, Green B. Lean body mass normalizes the effect of obesity on renal function. Br J Clin Pharmacol 2008; 65 (6): 964–965.
  9. Demirovic J, Pai AB, Pai MP. Estimation of creatinine clearance in morbidly obese patients. Am J Health-Syst Pharm 2009; 66: 642-648.
  10. Duffull SB, Dooley MJ, Green B, Poole SG, Kirkpatrick CMJ. A Standard Weight Descriptor for Dose Adjustment in the Obese Patient. Clin Pharmacokinet 2004; 43 (15): 1167-1178.
  11. Han PY, Duffull SB, Kirkpatrik CM. Dosing in obesity: a simple solution to big problem, Clin Pharmacol Ther 2007; 82: 505-508 in Hanley et al, 2010, S. 77.
  12. Janmahasatian S, Duffull SB, Ash S, Ward LC, Byrne NM, Green B. Quantification of Lean Bodyweight. Clin Pharmacokinet 2005; 44 (10): 1051-1065.

Anschrift

Diplom Pharmazeutin Stefanie Paasch, Apotheke Universitätsklinikum Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 672, 69120 Heidelberg, E-Mail: stefanie.paasch(at)med.uni-heidelberg.de

 

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