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Akupunktur

Placebo oder mehr?

27.08.2013  18:54 Uhr

Von Verena Arzbach / Eine beliebte alternative Heilmethode ist die Akupunktur. Lindert sie wirklich effektiv Schmerzen oder beruht der Erfolg der Nadeltherapie nur auf dem Placebo-Effekt? Eine Frage, über die Schul- und Komplementär-Mediziner schon lange streiten. Die Studienlage dazu ist nicht eindeutig.

Sie könnten dazu beitragen, Entwicklungsstörungen und Krankheiten zu untersuchen, und zwar zum Teil besser als dies mit tierischen Modellen möglich sei, schreiben die Forscher im Fachjournal »Nature« (doi: 10.1038/ nature12517).

Inzwischen haben auch Schulmediziner die Akupunktur für sich entdeckt und in ihr Behandlungsspektrum aufgenommen. Bei vielen Beschwerden, beispielsweise gegen Migräne oder chronische Gelenkschmerzen, ist die Methode der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) als Therapie anerkannt, oft in Kombination mit einer konventionellen Therapie. 

Die TCM-Lehre unterscheidet sich jedoch stark von dem naturwissenschaftlich geprägten Menschenbild der westlichen Welt: Zugrunde liegt die Annahme, dass die Lebensenergie, das sogenannte Qi, durch den Körper fließt. Laut Vorstellung geschieht dies auf definierten Längsbahnen, insgesamt zwölf paarig angelegten Meridianen. Beim gesunden Menschen fließt der Qi-Strom harmonisch, Disharmonien äußern sich als Krankheit oder Schmerzen.

 

Ziel aller TCM-Therapien ist es, den gestörten Energiefluss zu normalisieren. Dazu regt der Akupunkteur meist zwischen vier und zehn der mehr als 350 verschiedenen Akupunkturpunkte auf den Meridianen mit feinen Nadeln an und reguliert – so die Vorstellung – den aus dem Takt geratenen Energiestrom. Jeder Punkt steht dabei in Verbindung mit einem bestimmten Organ oder Organkreis und hat eine genau definierte Heilwirkung. Für die Akupunktur wählt der Arzt deshalb die Punkte an Körper, Händen, Füßen oder am Ohr des Patienten, die zu den Beschwerden passen.

 

Wissenschaftlich gesehen stehen die Meridiane und das Qi in keinem erkennbaren Zusammenhang zur Anatomie oder Physiologie des menschlichen Körpers. Streitpunkt von Gegnern und Befürwortern ist daher, ob es letztlich egal sei, wo der Akupunkteur die Nadeln einsticht. Auch eine Scheinakupunktur, bei der die Nadeln an falschen Stellen gestochen oder nur oberflächlich platziert werden, sei ebenfalls wirksam. Damit wäre die Akupunktur-Wirkung letztlich ein Placebo-Effekt.

 

Scheinakupunktur hilft auch

 

Die bundesweiten GERAC-Studien (German Acupuncture Trials), die bislang größten prospektiven und randomisierten Untersuchungen zur Akupunktur, haben genau das bestätigt. Die Studienleiter untersuchten von 2002 bis 2007 die Wirksamkeit der Akupunktur an 3500 Patienten mit chronischen Kopf- oder Rückenschmerzen sowie bei dauerhaften Arthroseschmerzen im Knie. Die Studien verglichen eine Akupunktur an den chinesischen Akupunkturpunkten (Verum) mit einer Akupunktur an anderen Punkten (Sham) und der Standardtherapie in der jeweiligen Indikation. Einen signifikanten Unterschied zwischen Verum- und Shamakupunktur fanden die Wissenschaftler nicht. Nichtsdestotrotz: Sowohl die echte als auch die falsche Akupunktur waren bei chronischen Rückenschmerzen der konventionellen Standardtherapie überlegen, ebenso bei Schmerzen im Kniegelenk. Auf dieser Grundlage entschied der Gemeinsame Bundesausschuss, die Akupunktur als Kassenleistung bei Rücken- und Knieschmerzen aufzunehmen.

Eine Meta-Analyse im Fachjournal »Archives of Internal Medicine« (doi: 10.1001/archinternmed.2012.3654) kam im vergangenen Jahr hingegen zu dem Ergebnis, dass die Akupunktur doch eine Wirkung habe, die über den Placebo-Effekt hinausgeht. Für die besagte Analyse werteten Andrew Vickers vom Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York und seine Kollegen 29 randomisierte Studien mit Daten von fast 18 000 Patienten aus, die unter chronischen Schmerzen am Rücken, an der Schulter, im Kniegelenk oder unter chronischen Kopfschmerzen litten. Ein Teil der Studien verglich die echte Akupunktur mit einer Scheinakupunktur, ein weiterer Teil mit einer Kontrollgruppe, die keine Akupunktur erhielt, beziehungsweise mit beidem.

 

Laut Auswertung der Wissenschaftler war die echte Akupunktur sowohl einer Scheinbehandlung als auch einer Nichtbehandlung leicht überlegen. Die Ergebnisse geben die Autoren als statistische Standardabweichungen (SD) an; dies ist zwar wenig anschaulich für den Leser, bei Meta-Analysen aber üblich, um die Stärke eines Effekts zu beurteilen. Demnach errechneten die Forscher für Patienten mit Rücken- oder Nackenschmerzen, die eine Verumakupunktur erhielten, eine um 0,23 SD geringere Schmerzstärke als nach einer Scheinakupunktur. Bei den Knieschmerzen betrug der Vorteil 0,16 SD und für chronische Kopfschmerzen 0,15 SD, was ein geringer Effekt ist. Besser schnitt die Akupunktur im Vergleich zur Nichtbehandlung ab: Hier geben die Autoren eine Verbesserung von 0,55 SD für Rücken- oder Nackenschmerzen, von 0,57 SD für die Kniegelenkschmerzen und von 0,42 SD für chronische Kopfschmerzen an.

 

Die Daten zeigten zwar, dass Akupunktur mehr als ein reiner Placebo-Effekt sei, dennoch blieben die Unterschiede zwischen echter und Scheinakupunktur gering, schreiben die Autoren. Für Mit-Autor Professor Dr. Klaus Linde vom Klinikum rechts der Isar der TU München stellt sich angesichts der Ergebnisse die Frage, ob in der Theorie die Relevanz der genauen Punktwahl überbetont werde. Auch eine Scheinakupunktur sei offenbar mit messbaren Effekten verbunden und daher nicht als einfaches Placebo zu interpretieren. In der Praxis stehe der Akupunkteur allerdings nicht vor der Entscheidung, ob er an den richtigen oder falschen Punkten behandeln soll, so Linde.

 

Stich setzt Analgetikum frei

 

Warum und wie die Akupunktur nun gegen Schmerz wirken soll, liegt aber weiter im Dunkeln. Ein Forscherteam um Maiken Nedergaard von der US-amerikanischen University of Rochester im Bundesstaat New York vermutet hinter der schmerzlindernden Wirkung das Molekül Adenosin. Für ihre Studie akupunktierten die Wissenschaftler Mäuse an Stellen, die typischen Akupunkturpunkten des Menschen entsprechen. Demnach verursachen die Nadeln eine minimale Gewebeschädigung in der Haut, die zur Produktion des schmerzhemmenden Moleküls führt, wie die Forscher in »Nature Neuroscience« berichteten (doi: 10.1038/nn.2562). Das Purinnukleosid Adenosin wirkt als Analgetikum, indem es an A1-Adenosin-Rezeptoren auf Nervenfasern bindet. Sollten sich diese Ergebnisse in weiteren Untersuchungen auch für den Menschen bestätigen, würde sich die Frage nach der richtigen Wahl der Punkte erübrigen. /

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