Risiko überschätzt |
26.07.2013 13:07 Uhr |
Von Iris Hinneburg / Das Risiko einer Reisethrombose wird in der Urlaubszeit immer wieder thematisiert. Tatsächlich relevant ist es jedoch in der Regel nur für wenige Risikopatienten.
Thailand, Australien, Brasilien – Fernreisen liegen im Trend. Exotische Urlaubsziele locken mit Traumstränden und neuen kulturellen Eindrücken. Doch vor der Erholung steht oft ein Langstreckenflug. Immer wieder zur Urlaubszeit rückt damit auch das mögliche Risiko einer Reisethrombose in den Fokus der Aufmerksamkeit.
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Eine wichtige Form der venösen Thromboembolien ist die tiefe Venenthrombose. Sie entsteht durch die Bildung eines Blutgerinnsels in den Beinvenen, das den Blutfluss beeinträchtigt. Der Patient bemerkt die Thrombose durch einseitige Schmerzen im Bein, das anschwillt und sich rötet. Diese Symptome können aber auch fehlen. Reißt sich das Blutgerinnsel los und gelangt in die Lungenarterien, kann sogar eine möglicherweise lebensbedrohliche Lungenembolie entstehen, die sich mit Brustschmerzen und Atemnot äußert.
Fernreisen begünstigen solche Probleme, weil das Blut beim langen Sitzen nicht wie sonst frei im Bein zirkulieren kann. Die Symptome können relativ kurz nach der Reise auftreten, aber auch bis zu vier Wochen danach. Das betrifft grundsätzlich alle Reisemittel, also auch Fahrten im Auto oder im Bus. Das Risiko ist aber vor allem bei längeren Flugreisen erhöht. Experten vermuten, dass neben der eingeschränkten Bewegungsfreiheit auch die speziellen Bedingungen in der Flugzeugkabine mit niedrigem Druck und geringerer Sauerstoffversorgung daran beteiligt sind.
Allerdings ist das absolute Risiko für eine Thrombose durch Fernreisen eher gering: Bei einer Reisedauer unter vier Stunden kommt es bei einem von zwei Millionen gesunden Reisenden zu einer venösen Thromboembolie. Damit ist ein Langstreckenflug an sich eher ein unbedeutendes Risiko. Ähnlich äußerte sich gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung der Angiologe Professor Dr. Sebastian Schellong, Chefarzt am Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt, der das Thema Reisethrombose für »ein völlig überschätztes Problem« hält.
Das sogenannte Economy-Class-Syndrom kann auch am Schreibtisch auftreten. Experten empfehlen deshalb, öfters mal während der Büroarbeit aufzustehen und sich zu bewegen.
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Wenn bei einem Patienten allerdings bereits andere Risikofaktoren für venöse Thromboembolien vorliegen, kann das Thema Reisethrombose relevant werden. Auch mit zunehmender Flugdauer steigt das Risiko. In einer Metaanalyse verschiedener Studien errechneten US-amerikanische Wissenschaftler, dass man insgesamt mit 27 symptomatischen venösen Thromboembolien pro eine Million Fernreisender rechnen muss, davon 0,5 Fälle von Lungenembolien. Je nach Art der Diagnosestellung fanden einzelne Studien aber auch deutlich höhere Werte.
Die British Thoracic Society klassifiziert für die Entstehung von Reisethrombosen auf Langstreckenflügen drei Risikogruppen (siehe Tabelle). Als wesentliche Risikofaktoren gelten vor allem vorangegangene Thromboembolien, kurz zurückliegende Operationen oder schwere Unfälle sowie Herz- und Tumorerkrankungen. Aber auch Schwangerschaft, Übergewicht oder angeborene Blutgerinnungsstörungen lassen das Risiko für eine Thrombose steigen. Die einzelnen Risikofaktoren können sich gegenseitig verstärken.
Zu Fragen der Prävention von Reisethrombosen gibt es nur wenige Studien, sodass die meisten Empfehlungen auf Experteneinschätzungen beruhen. Daraus resultieren international auch unterschiedliche Leitlinienempfehlungen. Während britische Fachleute neben allgemeinen Maßnahmen für eine ganze Reihe von Patienten wadenlange Kompressionsstrümpfe empfehlen, weist die deutsche Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich-medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) darauf hin, dass bei gesunden Personen wegen des geringen Risikos in der Regel außer den allgemeinen Vorsichtsmaßnahmen keine weiteren Vorkehrungen notwendig sind. Bei den meisten anderen Reisenden mit Risikofaktoren werden Kompressionsstrümpfe als ausreichend angesehen. Die US-amerikanische Leitlinie spricht sich explizit gegen den Einsatz von Antikoagulanzien zur Prävention einer Reisethrombose aus, während britische Experten bei Reisenden mit hohem Risiko nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung eine Einmalgabe von niedermolekularem Heparin empfehlen.
Risiko | Risikofaktoren |
---|---|
gering | keine der genannten Kriterien |
mittel | VTE mit bekannter Ursache oder in der Familie; Thrombophilien, Übergewicht (BMI > 30 kg/m 2 ), Körpergröße > 1,90 m oder < 1,60 m; schwerwiegende Erkrankungen innerhalb der letzten sechs Wochen; Herzerkrankungen, Immobilität, Schwangerschaft, Einnahme von Estrogenen (Kontrazeption oder Hormontherapie), bis zu zwei Wochen nach der Entbindung |
hoch | aktiver Tumor, idiopathische VTE in der Anamnese, bis zu sechs Wochen nach größerer Operation oder Trauma |
Keine Empfehlung für ASS
Auch wenn es in Internet-Foren immer wieder propagiert wird, sprechen sich die Leitlinien zur Thromboseprophylaxe explizit gegen die Einnahme von Acetylsalicylsäure (ASS) aus. Zwar hatte die im vergangenen Jahr veröffentlichte WARFASA-Studie zeigen können, dass niedrige ASS-Dosen auch das Wiederauftreten von venösen Thromboembolien verhindern können. Für den Thrombose-Experten Schellong ändert diese Studie jedoch nichts an den bisherigen Empfehlungen. Für Hochrisiko-Patienten empfiehlt er »nur niedermolekulares Heparin«, wenn die Prophylaxe mit Kompressionsstrümpfen nicht ausreicht. »Die Wirkung von ASS ist zwar vorhanden, aber ungleich schwächer«, so Schellong. Den Einsatz neuerer oraler Antikoagulantien wie Rivaroxaban hält er ebenfalls nicht für sinnvoll, da es keinen wissenschaftlichen Nachweis zur prophylaktischen Wirksamkeit bei Langstreckenflügen gebe. /