Worin sich unsere Psyche unterscheidet |
29.01.2013 18:07 Uhr |
Von Conny Becker, Berlin / Egal, ob man in ihren Körper blickt oder ihr Verhalten analysiert: Männer und Frauen lassen sich aus medizinischer Sicht nicht gleichsetzen. Das gilt auch für psychische Erkrankungen, die sich hinsichtlich Inzidenz und Therapie bei den beiden Geschlechtern unterscheiden.
Männerhirne wiegen im Durchschnitt 100 Gramm mehr als ihre weiblichen Pendants. Diese Erkenntnis führen seit etwa 100 Jahren gern diejenigen ins Feld, die Frauen eine geringere Intelligenz zusprechen wollen. »Hier liegt ein sexueller Dimorphismus vor, definiert als das Auftreten von zwei deutlich verschiedenen Erscheinungsformen des gleichen Merkmals in weiblichen und männlichen Individuen derselben Art«, sagte Professor Dr. Bettina Pfleiderer auf dem Symposium »Gendermedizin« an der Berliner Charité.
Männer und Frauen unterscheiden sich nicht nur in Aufbau und Funktion des Gehirns, sondern auch in der Neurochemie. So können Männer den Neurotransmitter Serotonin deutlich besser herstellen als Frauen.
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Vom Gewicht lässt sich aber keineswegs auf die kognitiven Fähigkeiten schließen, so die Hirnforscherin vom Institut für klinische Radiologie an der Universität Münster. Sie präsentierte Befunde, die durch zerebrale Bildgebung objektivierbar sind und Unterschiede zwischen dem weiblichen und männlichen Gehirn sowohl in Struktur, Funktion als auch in der Neurochemie erkennen lassen.
So sind bei Frauen Areale der linken Hemisphäre vergleichsweise größer, während bei Männern Gebiete der rechten Hemisphäre stärker ausgeprägt sind. Dieses Phänomen bezeichnet man auch als unterschiedliche Hemisphären-Lateralisierung. Im Detail betrifft dies laut Pfleiderer bei Frauen die Sprachareale Broca- und Wernickeareal, den für das Gedächtnis essentiellen Hippocampus sowie den Locus Coeruleus, der mit Panik und Stressentstehung in Verbindung gebracht wird. Bei Männern dagegen sind rechstlateral vor allem visuelle und visuospatiale Assoziationsareale stärker ausgeprägt, womit eine bessere räumliche Wahrnehmung und Orientierung verbunden ist.
Warum Männerhirne größer und schwerer sind, konnten Radiologen mit der sogenannten Diffusions-Tensor-Bildgebung (DTI) aufzeigen: Sie enthalten etwa 10 Prozent mehr weiße Substanz verglichen mit Gehirnen von Frauen, das heißt Nervenfasern/Axone, jedoch nicht mehr graue Substanz, also Nervenzellkörper. DTI-Untersuchungen ergaben auch, dass bei weiblichen Probanden linkslateral mehr Axone zu den Spracharealen führen, während bei Männern eine rechtsbetonte Faserdichte zu erkennen ist. Dass Frauen besser kommunizieren, aber schlechter einparken können, ist jedoch nicht unumstößlich. Schließlich weist unser Gehirn auch im Erwachsenenalter noch Plastizität auf, sodass man hier durch Üben und neue Synapsenbildungen aktiv Einfluss nehmen kann.
Frauen leichter reizbar
Unterschiede bestehen also in Struktur und Funktion des Gehirns, aber auch in seiner Neurochemie. So haben Frauen einen vergleichsweise höheren zerebralen Blutfluss sowie einen höheren Glucosebedarf in Ruhe. »Es wird diskutiert, dass dies einen Einfluss auf die Verteilung von Arzneimitteln hat und somit bei der Dosierung berücksichtigt werden sollte«, berichtete Pfleiderer. Männer- und Frauenhirne unterscheiden sich auch hinsichtlich eines zentralen Neurotransmitters, des Serotonins. Denn Männer können den Botenstoff besser herstellen als Frauen. Einer Studie zufolge lag die Syntheserate gar 52 Prozent höher, womit die doppelt so hohe Prävalenz von Depressionen bei Frauen ebenso zu erklären sein könnte wie die bessere Wirksamkeit von SSRI.
Als weiteren Grund, weshalb Frauen häufiger Depressionen haben als Männer, nannte Pfleiderer eine geringere Stresstoleranz. Bei gleichen äußeren Reizen zeigten Frauen eine vergleichsweise stärkere Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse, was letztlich zu einem erhöhten Cortison-Level bei chronischem Stress führen kann. Aktiviert wird diese Achse im Gehirn über die Ausschüttung des Corticotropin-Releasing Hormons (CRH), weshalb CRH-Rezeptor-Antagonisten seit den 1990er-Jahren in den Indikationen Angsterkrankungen und Depression erforscht werden. In jüngeren klinischen Studien konnten zwei Kandidaten bereits antidepressive Effekte in Patienten erzielen; bislang hat aber noch kein CRH-Rezeptor-Antagonist Marktreife erlangt. »Eventuell könnten Frauen stärker davon profitieren, da ihre Stress-Achse schneller anspringt und sie eine stärkere Antwort auf Stressoren zeigen«, vermutet die Medizinerin.
Geschlecht stärker berücksichtigen
»Es gibt eine sehr unterschiedliche Prävalenz bei verschiedenen psychischen Erkrankungen«, sagte Privatdozentin Dr. Katarina Stengler von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Leipzig. So haben Erhebungen gezeigt, dass Depressionen, Angst- und Essstörungen häufiger bei Frauen diagnostiziert werden. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Männer seltener psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Offenbar kommt es aber auch durch die diagnostizierenden Ärzte zu einer Verschiebung der entsprechenden Prävalenzzahlen: »Eine Münchner Untersuchung hat 2007 ergeben, dass bei gleicher Beschreibung psychischer Symptome Männer häufiger eine organische Diagnose, Frauen dagegen eine psychosomatische Verdachtsdiagnose zugeschrieben bekommen«, berichtete Stengler.
Offensichtlich müssen zum einen überholte Denkschemata wie »Herz-Kreislauf-Erkrankungen betreffen eher Männer, Depression ist eine Frauenkrankheit« auch bei Medizinern ausgemerzt werden. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass Männer und Frauen bei ein- und derselben Erkrankung unterschiedliche Symptome zeigen können. So äußert sich eine Depression bei Männern häufig atypisch durch Aggression, Wutanfälle oder Drogenmissbrauch; Frauen hingegen leiden bei einem akuten Herzinfarkt häufig unter Bauch-, Rücken-, Nackenschmerzen oder Kurzatmigkeit.
In eigenen Reviews zu geschlechtsspezifischen Publikationen in der Psychiatrie zeigte die Medizinerin, dass Gender in ihrem Fach generell noch zu wenig berücksichtigt wird. So wiesen nur 3 von 191 Originalarbeiten aus den Jahren 2009/10 eine geschlechtsspezifische Analyse auf. Frauenspezifische Fragestellungen wie postpartal auftretende psychische Erkrankungen fänden sich häufig; der Blick auf die Männer käme generell zu kurz, sei aber dringend nötig. Denn in einer weiteren literaturbasierten Untersuchung fanden sie und ihr Team, dass Frauen zwar häufigere und längere Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen aufweisen, Männer aber ein erhöhtes Risiko für Erwerbsunfähigkeit haben. Vergleichbare Beobachtungen gibt es bei der Depression: Während Frauen zwar häufiger Suizidversuche unternehmen, sterben Männer dagegen öfter an einem vollendeten Suizid.
Angesichts der mannigfaltigen Unterschiede zwischen Mann und Frau plädierte Stengler dafür, beide Geschlechter differenziert bei der Diagnostik und Therapie psychischer Störungen zu berücksichtigen. /