Kaltes Plasma kann heilen |
23.08.2011 16:23 Uhr |
Von Christina Hohmann-Jeddi / Die erste Professur für Plasmamedizin weltweit wurde jetzt in Greifswald eingerichtet. Der frisch ernannte Lehrstuhlinhaber heißt Professor Dr. Thomas von Woedtke und ist Pharmazeut. Die PZ sprach mit ihm über das ungewöhnliche, junge Forschungsgebiet und dessen Perspektiven.
PZ: Herr Professor von Woedtke, die Plasmamedizin ist ein recht unbekanntes Forschungsgebiet. Was versteht man denn unter Plasma?
von Woedtke: Die drei Aggregatzustände fest, flüssig und gasförmig lassen sich durch Zufuhr oder Entzug von Energie ineinander umwandeln. Wenn man ein Gas weiter mit Energie versorgt, zum Beispiel durch Hitze oder Hochspannung, dann werden die im Gas enthaltenen Atome ionisiert. Elektronen werden aus den Atomhüllen herausgeschlagen. Es entsteht ein geladenes, leitfähiges Gas mit reaktiven Spezies wie freien Radikalen. Es enthält auch einen gewissen Anteil an Strahlung, etwa sichtbares Licht und UV-Strahlung. Zu welchem Anteil Strahlung entsteht, ist dabei steuerbar. Dieses aktivierte Gas nennt man Plasma.
Es sieht heiß aus, ist aber kalt: Mit kaltem Plasma, hier von einem Atmosphärendruck-Plasmajet erzeugt, lassen sich nicht nur Bakterien in Kultur abtöten, sondern auch zum Beispiel chronische Wunden behandeln.
Foto: Stephan Rudolph-Kramer
PZ: Wie kann man Plasma zu medizinischen Zwecken einsetzen?
von Woedtke: Da gibt es drei verschiedene Möglichkeiten. Eine ist die Behandlung von Oberflächen und Materialien, zum Beispiel von Implantaten, um sie biokompatibel zu machen. Eine zweite ist die Entkeimung von Medizinprodukten. Die Forschung an diesen indirekten Plasmaanwendungen ist schon etwas etablierter. Bereits seit 15 bis 20 Jahren wird daran gearbeitet. Neuer dagegen ist die direkte Anwendung von Plasma am menschlichen Körper und Gewebe zu therapeutischen Zwecken, was wir im engeren Sinne unter Plasmamedizin verstehen. Eine Grundvoraussetzung hierfür war die Entwicklung von kalten Plasmen. Denn Plasmen können Temperaturen von weit über 100 000 Grad Celsius erreichen. Die heute für medizinische Zwecke verwendeten Plasmen sind deutlich kühler als 100 Grad Celsius, sie liegen meist im Bereich der Körpertemperatur. Dieses Plasma sieht aus wie die Flamme eines Gasfeuerzeugs, aber es ist kalt.
PZ: Welche Anwendungsgebiete sind für dieses kalte Plasma denkbar?
von Woedtke: In erster Linie ist das auch hier die Inaktivierung von Mikroorganismen, die Antiseptik von Körperoberflächen. Das kann man sich etwa bei der Behandlung infektiöser Hauterkrankungen wie Haut- oder Nagelpilz, aber auch der Schuppenflechte zunutze machen. Viel Hoffnung geweckt hat die Therapie von nicht heilenden, chronischen Wunden mit Plasma. Auch hier spielen Mikroorganismen eine große Rolle. Plasma kann die Wunden mit relativ kurzen Behandlungszeiten desinfizieren, zusätzlich regt es die Regenerationsfähigkeit des Gewebes an, wie Studien gezeigt haben. Dies ergibt eine Kombination aus oberflächlicher Antiseptik und Stimulation der Wundheilung im Gewebe.
Ein weiteres intensiv beforschtes Gebiet ist die Anwendung von Plasma in der Zahnmedizin. Auch hier wird das Plasma zur Antiseptik eingesetzt. Es ist vor allem gegen Biofilme gerichtet, die sich auf Zähnen oder Implantaten bilden. Diese sehr resistenten Verbände von Bakterien können zu Entzündungen wie Periimplantitis führen, die schwierig zu behandeln sind. Hier besteht die Möglichkeit, mit Plasmaanwendung vor dem Einsetzen des Implantates das Einwachsen zu verbessern und auch nach dem Einsetzen noch eine Desinfektion durchzuführen. Dies sind die Hauptgebiete, die wir in Greifswald bearbeiten. Darüber hinaus sind noch eine ganze Reihe verschiedener Anwendungen denkbar. Ein Beispiel ist die Behandlung von Krebserkrankungen. Wir erforschen dieses Gebiet nicht so intensiv, aber andere Arbeitsgruppen setzen sich sehr erfolgreich mit ihm auseinander.
PZ: Gibt es bereits etablierte Verfahren in der Plasmamedizin?
»In einigen Jahren wird die Plasmamedizin genauso etabliert sein wie die Lasermedizin heute.«
von Woedtke: Etabliert ist die Anwendung von Plasma zur Oberflächenmodifikation von Implantaten. Diese geht über die reine Dekontamination heraus. Nehmen wir zum Beispiel ein künstliches Hüftgelenk aus Titan. Das kann man nicht einfach zusammenschweißen und einbauen. Das Material muss so gestaltet werden, dass der Körper es annimmt. Es muss zum Beispiel eine gewisse Zellanhaftung erreicht werden. Dies gilt auch für andere Medizinprodukte wie Stents oder Katheter. Die Biokompatibilität von Materialien erhöhen, das kann man geschickt mit Plasma machen.
Im Bereich der Dekontamination gibt es bislang noch kein Plasmaverfahren, das industriell angewendet wird. Dies gilt auch für die direkte therapeutische Anwendung von Plasma am Körper. Hier gibt es experimentelle Ergebnisse und erste klinische Studien, vor allem zur Wundheilung, sowie Einzeluntersuchungen zu Indikationen im dermatologischen Bereich. Aber es gibt noch keine zugelassenen Plasmageräte für die geschilderten Zwecke, die zur Therapie eingesetzt werden können.
PZ: Wie muss man sich Plasmageräte vorstellen?
von Woedtke: Das kommt auf das Anwendungsgebiet an. Für die Zahnmedizin benötigt man sehr schmale, dünne Plasmen. Das Gerät kann man sich vorstellen wie einen Stift mit kleiner Flamme. Für die Behandlung von Hauterkrankungen ist dagegen ein großflächiges Plasma notwendig. Um kaltes Plasma zu erzeugen, werden prinzipiell eine Hochspannungsversorgung, eine Gasquelle und Steuereinheiten benötigt, die Gasfluss und Energieversorgung regulieren. Das Ziel ist, mobile und handliche Geräte mit diesen Elementen zu entwickeln, die in Zukunft auch im ambulanten Bereich eingesetzt werden können.
PZ: Zurück zu Ihrer Professur. Wie kommt Greifswald zu der ersten Professur für Plasmamedizin weltweit?
von Woedtke: Greifswald hat eine lange Tradition auf dem Gebiet der Plasmaforschung. Sehr frühe Vertreter der Plasmaphysik gab es hier schon vor 100 Jahren. Nach 1990 hat sich hier das Institut für Plasmaforschung und Technologie, das INP, etabliert, an dem ich tätig bin, und das diese Professur finanziert. Das Institut ging hervor aus einem Forschungsinstitut der ehemaligen DDR, das sich vor allem mit Niedertemperatur-Plasmen und deren industrieller Anwendung beschäftigte. Anfang des 21. Jahrhunderts suchte der Institutsdirektor Professor Klaus-Dieter Weltmann nach neuen Anwendungsfeldern und erkannte die Anwendung von Plasma bei lebendem Gewebe als lohnenswertes strategisches Gebiet. Daraufhin wurde ein Konzept erstellt, wie Plasmaforschung hier in Greifswald zusammen mit der Universität realisiert werden kann, und hierfür Fördergelder beantragt. Mit großzügiger Förderung durch das Bundesministerium für Forschung und Technologie konnte in Greifswald eine umfangreiche Arbeitsgruppe aufgebaut werden, die zu den fünf führenden Zentren für Plasmamedizin weltweit gehört. International sind wir gut etabliert. Um dieser Entwicklung eine Kontinuität zu geben, haben wir nun an der medizinischen Fakultät in Kooperation mit dem INP diese Professur realisiert, als erste weltweit. Das wird auch international mit großer Aufmerksamkeit verfolgt.
PZ: Wie kommen Sie als Pharmazeut zur Plasmamedizin?
von Woedtke: Ich habe hier in Greifswald in den Achtziger Jahren Pharmazie studiert, in einer damals existierenden Sonderrichtung, nämlich der experimentellen Pharmakologie und Toxikologie, bei der der Schwerpunkt eher auf Forschung als auf der Arbeit in der Apotheke lag. Zudem ist die Pharmazie eine sehr interdisziplinäre Wissenschaft. Da ich im Fachgebiet Pharmazeutische Technologie promoviert und habilitiert habe, war mir die Physik nicht fremd. Früh habe ich mich schon mit Sterilisations- und Dekontaminationsprozessen beschäftigt, weshalb ich bereits in den Neunziger Jahren mit dem INP in Kontakt kam. Seit 2005 war ich am Institut als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt und konnte dann auch die Arbeitsgruppe zu Plasmamedizin mit aufbauen. Daraus hat es sich ergeben, dass ich mich als Vertreter dieses Faches hier etablieren konnte.
PZ: Was haben Sie sich für die Zukunft vorgenommen?
von Woedtke: Vorgenommen habe ich mir, die Forschung in diesem Fach voranzutreiben, die Anbindung unseres Leibniz-Institutes an die Universität zu verstärken und auch Vorlesungen zu halten. Geplant ist erst einmal, die bisher nur für Physiker angebotene Vorlesung »Einführung in die Plasmamedizin« vor allem für Mediziner, aber auch für Studierende anderer Fächer, für Pharmazeuten und Biologen, zu etablieren. Wir sind davon überzeugt, dass die Plasmamedizin in einigen Jahren genauso etabliert sein wird wie die Lasermedizin heute. Vor 50 Jahren wurden Laser erstmals in der Medizin angewendet – damals waren Laser so neu und ungewöhnlich und teilweise auch umstritten wie das Plasma heute. Wenn wir das Thema frühzeitig in der Lehre unter anderem für Ärzte anbieten, können wir das Gebiet besser bekannt machen. Wir können vermitteln, dass diese Verfahren noch nicht existieren, aber intensiv beforscht werden und unserer Ansicht nach in einigen Jahren Teil der medizinischen Therapie sein werden. So hoffen wir, und so haben wir unsere Arbeit ausgerichtet. /