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Qualitätssicherung

Herausforderungen der Globalisierung

09.10.2007  11:22 Uhr

Qualitätssicherung

Herausforderungen der Globalisierung

Von Mona Tawab, Peking

 

Die Globalisierung hat auch die Arzneimittelproduktion erfasst. Das birgt Risiken: Unzureichend geprüfte Wirkstoffe, unsachgemäß hergestellte Hilfsstoffe oder gar minderwertige Fertigarzneimittel aus Niedriglohnländern.

 

Zahlreiche Ausgangsstoffe, die in Europa bei der Herstellung von Arzneimitteln verarbeitet werden, stammen inzwischen aus Asien, berichtete Dr. Mona Tawab vom Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) auf dem diesjährigen Kongress der Fédération Internationale Pharmaceutique. Aber auch Fertigarzneimittel werden verstärkt in Niedriglohnländern produziert. Mit Sicherheit trägt die Internationalisierung der Produktion erheblich zur Kostensenkung bei. Doch ist sie mit Risiken verbunden, wie zahlreiche Zwischenfälle in den letzten zehn Jahren belegen. 1996 starben in Haiti 80 Kinder durch kontaminiertes Glycerin. 1998/1999 meldeten die USA allein 17 Todesfälle aufgrund von verunreinigtem Gentamicin aus China. Und 2006 kostete in Panama ein mit Diethylenglykol verunreinigter Hustensaft zahlreiche Menschenleben.

 

Lieferketten rund um den Globus

 

Obwohl die gute Herstellungspraxis für Arzneimittel (Good Manufacturing Practice, GMP) in Gesetzen, Richtlinien, Verordnungen und Leitfäden verankert ist, gestaltet sich deren Umsetzung im Zeitalter weltweiter Produktionsstätten und Vertriebswege schwierig. Die Lieferketten rund um den Globus sind kaum noch zu durchschauen. Nicht immer wird die Qualität der Ausgangsstoffe vor der Weiterverarbeitung zu Medikamenten ausreichend geprüft, wie der Fall von Haiti zeigt.  Zwar sind viele pharmazeutische Wirkstoffe in den Monografien des europäischen und amerikanischen Arzneibuchs beschrieben. Doch bildet die Erfüllung der dort genannten Spezifikationen nicht automatisch die Garantie für die Qualität eines Wirkstoffs. Denn die aus Asien bezogenen Wirkstoffe werden nicht immer gemäß der Herstellungsverfahren gefertigt, die in Europa beziehungsweise den USA üblich sind und auf denen die Testmethoden in den Arzneibüchern beruhen.

 

Deshalb können potenzielle Verunreinigungen unerkannt bleiben, wenn sie in einem abweichenden Herstellungsverfahren begründet sind. Geschehen ist dies im Falle des aus China in die USA eingeführten Gentamicin. Man kann Qualität und Sicherheit also nicht in Arzneimittel und in Ausgangsstoffe »hineinprüfen«, sondern nur bei der Herstellung der Ausgangsstoffe gewährleisten und auf dem Weg zur Produktion des Fer-tigarzneimittels erhalten. Demnach müssen bei der Herstellung von Ausgangsstoffen die gleichen Maßstäbe wie bei der Herstellung von Fertigarzneimitteln angelegt werden. Wirkstoffhersteller sind gesetzlich aufgefordert, die GMP-Grundsätze bereits bei der Herstellung von Wirkstoffen zu beachten.

 

Und pharmazeutische Unternehmer sind angehalten, die Qualität der von ihnen erworbenen Ausgangsstoffe genau zu kontrollieren. Dazu sollten sie nicht nur den Vertriebsweg lückenlos dokumentieren, sondern auch auf eine detaillierte Beschreibung des Herstellungsverfahrens achten. Besondere Aufmerksamkeit ist dabei den In-Prozess-, beziehungsweise Endkontrollen, der Validierung kritischer Herstellungsschritte, den durchgeführten Stress-Stabilitäten sowie dem Verunreinigungsprofil zu widmen. Letzteres sollte nicht nur die tatsächlich nachgewiesenen, sondern auch die potenziellen Verunreinigungen berücksichtigen, die in der Praxis besonders oft vernachlässigt werden.

 

Als kritisch erweisen sich auch die verwendeten analytischen Methoden. Sie sollten empfindlich genug sein, um die Reinheit zu bestimmen und potenzielle Verunreinigungen auszuschließen. Veränderungen in der Massenbilanz und/oder im Restlösungsmittelprofil könnten ein Hinweis auf Abweichungen im Herstellungsverfahren sein, die dem pharmazeutischen Unternehmer nicht bekannt gegeben wurden und denen er unbedingt nachgehen sollte.

 

Riskante Hilfsstoffe

 

Seit Mitte der 90er-Jahre rückt auch die Bedeutung von pharmazeutischen Hilfsstoffen für die Arzneimittelqualität und -sicherheit zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses. Diese werden selten allein für pharmazeutische Zwecke produziert, sondern in erster Linie für die Lebensmittel- und Kosmetikindustrie. Dabei ist die Einhaltung der GMP-Grundsätze nicht zwingend erforderlich. Nichtsdestotrotz machen Hilfsstoffe den überwiegenden Teil eines Arzneimittels aus und nehmen oftmals starken Einfluss auf seine Wirksamkeit. Deshalb ist ihre hochwertige Qualität unerlässlich. Doch ist die Umsetzung der GMP-Grundsätze mit einem großen Kostendruck und Aufwand verbunden. Die zwingende Verpflichtung zur Einhaltung würde deshalb vermutlich viele Hilfsstoffhersteller dazu bringen, die Pharmabranche nicht mehr zu beliefern. In der Praxis verlassen sich daher pharmazeutische Unternehmen in der Regel auf die Hilfsstoffhersteller, Substanzen mit reproduzierbaren chemischen und physikalischen Eigenschaften zu liefern.

 

Weltweiter Qualitätsstandard

 

Das International Pharmaceutical Excipient Council (IPEC, ein Zusammenschluss von Hilfsstoffherstellern und Pharmaunternehmen in Europa, USA und Japan) veröffentlichte 2006 zusammen mit der Pharmaceutical Quality Group (PQG) einen gemeinsamen Leitfaden für die GMP-gerechte Herstellung von Hilfsstoffen. Dieser setzt einen an Hilfsstoffe angepassten und von allen Beteiligten (Behörden, Industrie und Lieferanten) akzeptierten Qualitätsstandard. Erstmals berücksichtigt er auch kritische Aspekte der Hilfsstoffherstellung wie Validierung, Stabilitätsprüfung und Verunreinigungsprofile.

 

Auf der Basis dieses IPEC-GMP-Leitfadens wird zurzeit eine EU-Direktive zur GMP-Herstellung von Hilfsstoffen vorbereitet. Sie schreibt für einige auserwählte Hilfsstoffe eine GMP-Herstellung bindend vor.  Im Fokus stehen Substanzen, die in der Vergangenheit zu erheblichen Zwischenfällen bei Fertigarzneimitteln geführt haben. Dazu zählen zum Beispiel Propylenglykol und Glycerin, aber auch  solche mit TSE (Transmissible Spongiform Encephalopathy)-Risiko, die möglicherweise Prionen übertragen und Gehirnerkrankungen verursachen können. Darüber hinaus sollen auch sterile Hilfsstoffe (ohne nachfolgende Sterilisation) oder solche mit einem erhöhten Risiko einer Endotoxin-/Pyrogen-Kontamination über die EU-Direktive geregelt werden. 

 

Über Qualität, Reinheit und Gehalt hinaus sind für die Verwendbarkeit von Hilfsstoffen sogenannte funktionelle Parameter von Bedeutung. Dazu zählen beispielsweise Partikelgröße oder polymorphe Formen. Doch sind diese von den Arzneibuchmonografien nicht abgedeckt. Das ist auch schlecht möglich ­ schließlich wird ein und derselbe Hilfsstoff in vielfältigen, unterschiedlichen Darreichungsformen eingesetzt. Der pharmazeutische Hersteller ist daher angehalten, im Vorfeld mit seinem Lieferanten die Spezifikationen des bezogenen Hilfsstoffs so festzulegen, dass der Hilfsstoff seine Funktion in der Formulierung optimal erfüllen kann.  

 

Abweichungen vorprogrammiert

 

Beispiele aus der täglichen Praxis des ZL zeigen: Trotz der heutigen Implementierung eines umfassenden Qualitätsmanagementsystems sind pharmazeutische Hersteller nie vor unerwarteten Abweichungen im Herstellungsverfahren oder Verpackungs- beziehungsweise Etikettierungsfehlern seitens ihrer Lieferanten geschützt. Es gilt daher, geringste Abweichungen vom standardisierten Verfahren möglichst früh zu erkennen, ihre Ursache herauszufinden, korrigierende sowie präventive Maßnahmen zu ergreifen und diese anschließend zu evaluieren.

 

Zudem müssen auch pharmazeutische Unternehmen im heutigen Zeitalter der Globalisierung mehr denn je die geforderten GMP-Grundsätze mit einer ständigen Minimierung der Kosten vereinen. Dies kann nur durch ein konsequent angewandtes Risikomanagement gelingen. Dabei sollte auch die GMP-Umsetzung risikobasiert erfolgen und nicht, wie bisher gefordert, nach dem Prinzip der 100-prozentigen Sicherheit. Dazu sind zunächst für jeden Produktionsschritt spezifische Risikoanalysen erforderlich.

 

Mit einer derartigen wissenschaftsbasierten Herangehensweise an das Thema Qualität ist ein besseres Prozessverständnis gekoppelt, das wiederum personelle, zeitliche und finanzielle Ressourcen erheblich schonen kann. Nur so lässt sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts erfolgreich begegnen. Von größter Wichtigkeit ist dabei die konsequente Einhaltung der Qualitätsstandards in jeder Phase des Medikamentenzyklus, angefangen mit der Herstellung über die Produktion bis hin zur Distribution, um global Leben zu retten und Arzneimittelfälschungen entgegenzuwirken.

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