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Typ-1-Diabetes

Was beim Sport zu beachten ist

28.06.2011  18:10 Uhr

Von Christina Hohmann-Jeddi / Sport ist auch für viele Menschen mit Typ-1-Diabetes ein wichtiger Teil des Lebens. Bei guter Stoffwechsel­einstellung sind sie genauso leistungsfähig wie Gesunde. Doch die körperliche Aktivität birgt auch Risiken: Gefürchtet sind Hypoglykämien während des Sports oder in der Nacht.

Während früher Typ-1-Diabetikern vom Sport eher abgeraten wurde, wird er heute explizit empfohlen. Er hat gerade für diese Patienten verschiedene gesundheitliche Vorteile: Zum einen senkt er Ruhepuls und systolischen Blutdruck und hilft bei der Gewichtskontrolle. Zum anderen erhöht er die Insulinsensitivität, senkt den täglichen Insulinbedarf und verbessert einigen Studien zufolge auch die Stoffwechselkontrolle.

Bei einer guten Einstellung können Typ-1-Diabetiker beim Sport auf allen Leistungsebenen mit Gesunden mithalten. Dies beweist zum Beispiel der britische Ruderer Steve Redgrave, der insgesamt fünf Olympia-Goldmedaillen gewann, eine davon nach seiner Diabetes-Diagnose. Begleitet wurde er beim Training von Professor Dr. Ian Gallen vom Buckinghamshire Hospital. Der Diabetologe war einer der ersten Wissenschaftler, der sich mit dem Thema Sport und Diabetes intensiv aus­einandersetzte. Bei einem Symposium auf der Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft Anfang Juni in Leipzig erklärte Gallen die physiologischen Einflüsse von körperlicher Aktivität auf den Zuckerstoffwechsel. Die Blutzuckerveränderung hinge dabei entscheidend von der Art und Intensität des Trainings ab, sagte Gallen.

 

Aerob ist nicht gleich anaerob

 

Bei Sport haben Muskeln einen erhöhten Energiebedarf. Dabei muss zwischen aerober und anaerober Aktivität unterschieden werden. Bei aerober Tätigkeit reicht die Sauerstoffversorgung des Muskels aus, um Glucose und Fette vollständig zu oxidieren, bei anaerober Tätigkeit dagegen nicht. Ausdauersportarten wie Schwimmen, Radfahren und Joggen sind typische aerobe Aktivitäten. Bei moderatem Sport im aeroben Bereich werden zuerst freie Glucose und die Glykogenspeicher im Muskel aufgebraucht. In der Folge sinkt der Blutzuckerspiegel leicht ab. Stoffwechselgesunde können dennoch ihren Blut­zuckerwert mehr oder weniger konstant halten, weil die Insulinsekretion reduziert wird. Dieser Abfall des Insulinspiegels zusammen mit einem Anstieg des Glucagonspiegels aktiviert die Glykogenolyse und die Neuproduktion von Glucose (Gluconeogenese) in der Leber. Die gebildete Glucose gelangt ins Blut und steht den Muskeln zur Verfügung.

 

Bei Typ-1-Diabetikern ist diese Regula­tion gestört, sagte Gallen. Der Insulinspiegel kann nicht absinken, weil einmal injiziertes Insulin nicht durch körperliche Aktivität verschwindet. Zudem kann Sport den Insulinspiegel sogar noch erhöhen, weil die verstärkte Durchblutung die Absorption des Hormons aus den subkutanen Depots steigert. Der überhöhte Insulinspiegel hemmt die hepatische Glucoseproduktion, was zu einem erhöhten Hypoglykämierisiko führt. Dieses tritt vor allem nach 20 bis 60 Minuten andauernder moderater Betätigung auf, wenn die Glykogenspeicher in den Muskeln erschöpft sind. Das Hypoglyk­ämierisiko wird noch dadurch verschärft, dass vermehrt Glucosetransporter vom Typ GLUT-4 gebildet werden, die den Energielieferanten in die Muskeln befördern. Zudem ist bei Diabetikern häufig die Freisetzung von gegenregulatorischen Hormonen wie Adrenalin oder Glucagon gestört.

 

Dies alles kann zu schweren Hypoglyk­ämien während und vor allem nach dem Sport führen. Das Hypoglykämierisiko kann noch Stunden nach der Aktivität und in der Nacht erhöht bleiben, da die Glucosetransporter weiterarbeiten, um die Glykogenspeicher in den Muskeln wieder aufzufüllen.

Spitze mit Spritze

Dass Diabetiker auch im Leistungssport sehr erfolgreich sein können, zeigt das Beispiel des deutschen Sprinters Daniel Schnelting. Der 25-jährige amtierende deutsche Meister über die Strecke von 200 Meter erhielt vor 20 Jahren die Diagnose Typ-1-Diabetes. Seinen Blutzucker habe er gut im Griff, berichtete Schnelting auf dem Symposium »Sport und Diabetes« bei der DDG-Jahrestagung. Der HbA1c-Wert habe schon in seiner Kindheit und Jugend immer zwischen 6 und 7 gelegen. »Ich hatte einen Deal mit dem Arzt«, erklärte der Sportler. »Wenn der Wert unter 7 lag, musste ich kein Tagebuch führen.«

 

Die regelmäßigen Trainingseinheiten sind für ihn gut planbar. Die Insulindosis wird vor der Belastung angepasst. Direkt vor dem Training kontrolliert er noch einmal den Blutzuckerwert und muss gegebenenfalls nachsteuern. »Ich habe immer ein Notfallpaket aus Bananen, Malzbier, Traubenzucker und Schokoriegel dabei und natürlich ganz viel Wasser.« Seine Trainingspartner und Zimmergenossen im Trainingscamp kläre er immer über die Erkrankung und die Symptome einer Hypoglykämie auf, sagte Schnelting. »Sie müssen im Notfall eingreifen können.« Bisher sei dies aber nicht nötig gewesen.

 

Sein nächstes Ziel sind die Olympischen Spiele 2012 in London. »Da komme ich nur hin, wenn ich gesund bin.« Eine gute Stoffwechsel-Einstellung ist für ihn daher wichtig. »Ich kontrolliere mehr als neunmal täglich meinen Blutzuckerspiegel«, so Schnelting. Bei Wettkämpfen misst er noch häufiger. Er versucht, die Wettkämpfe mit einem Wert von 140 mg/dl zu laufen. »Das ist mir bislang immer exakt gelungen.«

 

Doch diesen Wert zu erreichen, ist zum Teil schwierig, denn bei Wettkämpfen kommt ein schlecht zu kalkulierender Faktor hinzu: das Adrenalin. Der Stress kann die Blutzuckerwerte stark in die Höhe treiben. Als Beispiel zeigte Schnelting dem Auditorium einen Blutzuckerverlauf von einem Wettkampftag. Obwohl er sich so verhalten hatte wie bei anderen Wettkämpfen auch, lagen die Blutzuckerwerte stressbedingt deutlich über 200 mg/dl. »Ich war wohl aufgeregter, als ich dachte«, so der Sprinter. Er musste den hohen Blutzuckerwert massiv »runterspritzen«, eine Methode, die anwesende Diabetologen im Auditorium riskant fanden. »Ich habe das Rennen gewonnen«, entgegnete Schnelting grinsend. »Außerdem kann man nach dem Wettkampf ja auch wieder essen.«

Bei intensiver körperlicher Aktivität im anaeroben Bereich sieht die Situation anders aus: Hier werden Katecholamine wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol freigesetzt und übernehmen die Kontrolle über die hepatische Glucoseproduktion. Stoffwechselgesunde kompensieren den starken Blutzuckeranstieg mit einer vermehrten Insulinsekretion. Da Diabetiker hierzu nicht in der Lage sind, haben sie ein hohes Risiko für Hyperglykämien nach ex­trem intensivem Training. Die Blutzuckerspiegel-erhöhende Stressreaktion ist allerdings schwierig zu kalkulieren, da sie von einer Reihe verschiedener Faktoren beeinflusst wird, sagte Gallen. Hierzu zählen zum Beispiel Wettkampfstress, große Hitze und Luftfeuchtigkeit. Andererseits erhöhen andere Faktoren das Risiko für eine Hypoglykämie, darunter Kälte, Training in großen Höhen und vorangegangene Hypo­glykämie-Episoden.

 

Hypoglykämien vermeiden

 

»Um Unterzuckerungen zu vermeiden, gibt es unterschiedliche Strategien, die verschiedene Vor- und Nachteile haben«, sagte Gallen. Man kann die Insulinmenge reduzieren oder zusätzliche Kohlenhydrate vor und während des Sports zu sich nehmen. Dabei gibt es keine generell gültigen Empfehlungen, so der Mediziner. Denn die Veränderung des Blutzuckerspiegels während des Sports hängt von verschiedenen Faktoren wie Dauer, Intensität und Art der Aktivität sowie von Alter, Geschlecht und Trainingszustand des Sportlers ab. Daher muss jeder Diabetiker für sich selbst he­rausfinden, welche Maßnahmen für sein Training geeignet sind. Wichtig ist vor allem eine genaue Kontrolle des Blutzuckerspiegels. Vor Beginn des Trainings sollte der Wert einmal gemessen werden: Er sollte zwischen 120 und 210 mg/dl betragen. Liegt er darunter, sollte der Diabetiker zusätzliche Kohlenhydrate konsumieren. Bei höheren Werten sollte der Urin auf Ketone untersucht werden. Ist der Test positiv, darf kein Sport ausgeübt werden, bis sich der Stoffwechsel wieder normalisiert hat.

 

Gallen empfiehlt auch, den Blutzuckerspiegel alle 30 Minuten während des Sports und direkt nach dem Training zu messen. Dies ist nicht bei allen Sportarten möglich und auch nicht immer notwendig, wenn der Patient seinen Stoffwechsel gut im Griff hat.

 

Eine Strategie um Unterzuckerungen zu vermeiden ist, die Insulindosis in Abhängigkeit von der Dauer und der Intensität des Trainings zu reduzieren. Bei moderatem Ausdauersport gilt, dass bei der letzten Mahlzeit, möglichst ein bis drei Stunden vor dem Sport, die Dosis des prandialen Insulins um etwa 30 bis 50 Prozent reduziert werden sollte. Beginnt der Sport erst drei Stunden nach der letzten Mahlzeit, ist keine Anpassung nötig. Dies gilt auch für extrem intensive körperliche Aktivität, da hier eher die Gefahr einer Hyperglykämie besteht.

 

Bei sehr langem moderatem Training (etwa zwei bis drei Stunden) kann es nötig sein, auch die Basalinsulindosis um 30 bis 70 Prozent zu reduzieren, sagte Gallen. Beide Maßnahmen haben den Nachteil, dass sie eine genaue Planung des Trainings vo­raussetzen. Für Spitzensportler ist dies kein Problem, für berufstätige Freizeitsportler unter Umständen schon. Für spontane Entschlüsse, joggen oder schwimmen zu gehen, sind diese Maßnahmen nicht hilfreich. Hier ist es dagegen sinnvoller, zusätzlich schnelle Kohlenhydrate zu konsumieren. »Dann muss man den Mund als Leber benutzen«, sagte Gallen. Er empfiehlt, nicht mehr als 60 g Kohlenhydrate pro Stunde zu sich zu nehmen, zum Beispiel in Form von Traubenzucker oder Sportgetränken. Am besten sollte diese Menge in drei Dosen von 20 g über das Training verteilt verzehrt werden. Ist dies nicht möglich, sollte die gesamte Menge vor Beginn der körperlichen Aktivität konsumiert werden. Diese Methode sei geeignet für ungeplante und länger andauernde Trainingseinheiten, allerdings hat sie den Nachteil, dass die Sportler zusätzliche Kalorien zu sich nehmen. Dies ist kontraproduktiv, wenn der Sport ein Element der Gewichtskon­trolle sein soll.

 

Bei ungeplantem Training ist laut Gallen auch ein anderer Tipp hilfreich, nämlich kurze Sprints vor und nach dem Training einzulegen. Kurze intensive Belastungen, etwa 10 Sekunden mit Höchstgeschwindigkeit sprinten oder eine Minute lang auf der Stelle springen, führen zu der genannten Stressreaktion, bei der gegenregulatorische Hormone ausgeschüttet werden. Dies hilft, den Blutzuckerspiegel konstant zu halten, und senkt das Risiko für Hypoglykämien nach dem Sport.

 

Um gefährliche Unterzuckerungen in der Nacht zu verhindern, kann es nötig sein, die Dosis des Basalinsulins nach dem Training zu senken. Jeder Typ-1-Diabetiker müsste für sich einen geeigneten Weg suchen, sagte Gallen. Insgesamt sei es aber in Hinblick auf das Körpergewicht sinnvoller, die Insulindosis zu reduzieren oder kurze Sprints einzulegen, als zusätzliche Kohlenhydrate zu verzehren. Für ein sicheres Training sei es außerdem wichtig, regelmäßig den Blutzucker zu kontrollieren. Spitzensportler messen ihren Wert etwa sieben- bis achtmal täglich, zu Wettkampfzeiten sogar noch häufiger. / 

 

Quellen:

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Website von Ian Gallen: www.runsweet.com

Bachmann, S., Zumsteg, U., Diabetes und Sport, Pädiatrie (1) 2009, Seite 15 – 18.

 

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