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Hochschulporträt

Interdisziplinäre Gesundheitsforschung

19.04.2011  13:54 Uhr

Von Sven Siebenand / Die älteste Universität Deutschlands hat mehr zu bieten als lange Tradition. Auf dem riesigen Campus im Neuenheimer Feld ist der naturwissenschaftliche Teil der Heidelberger Uni untergebracht – das Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie (IPMB) mittendrin, statt nur dabei. Denn es arbeitet eng mit anderen Disziplinen zusammen und ist in der Forschung interdisziplinär und stark aufgestellt.

»Unsere Pharmaziestudenten schnuppern auch mal in andere Fächer hinein«, verweist Professor Dr. Ulrike Müller, Studiendekanin Pharmazie, auf eine Besonderheit im Pharmaziestudium an der Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg. Neben der Pharmazie wird als zweites Fach am Institut auch Molekulare Biotechnologie gelehrt. Zwischen den beiden Studiengängen bestehen, zum Beispiel durch gemeinsame Lehrveranstaltungen, eine Reihe von Verbindungen. »Die Grundlagen der Chemie und die Elemente des Periodensystems können durchaus fachübergreifend gelehrt werden«, sagt Professor Dr. Christian Klein. Dadurch habe er dann Ressourcen, um in einer Extra-Vorlesung für Pharmazeuten explizit auf anorganische Wirkstoffe und deren Eigenschaften einzugehen. »Wir dürfen uns eben nicht verzetteln«, sagt der Professor für Pharmazeutische und Medizinische Chemie.

Alleine die Tatsache, dass die Heidelberger Pharmazie mit 45 Erstsemesterplätzen zum Wintersemester im Vergleich zu anderen Standorten eher klein ist, gibt ihm recht. Müller und Klein sind sich einig, dass die geringe Größe einerseits den persönlichen Austausch zwischen Lehrpersonal und Studierenden fördert. Anderer­seits würden so auch die von der Approbationsordnung gege­benen Freiheiten genutzt, um ein fundiert wissenschaftliches Profil der Absolventen zu erreichen. Ausbildungsziel ist daher nicht primär der klassische Offizinapotheker, sondern Absolventen mit einem breiten naturwissenschaftlichen Qualifikationsprofil. »Durch das Lehrangebot des zweiten Fachs Molekulare Biotechnologie erhält das pharmazeutische Curriculum eine Prägung, die sich von anderen Studienorten deutlich unterscheidet«, sagt Müller. Sie ist sich sicher, dass Systembiologie und Bioinformatik langfristig auch für das Fach Pharmazie eine stärkere Bedeutung bekommen werden. Sie seien aus der Forschung und insbesondere der Gesundheitsforschung nicht mehr wegzudenken.

 

Schwerpunkt Biowissenschaft

 

»Die Rhein-Neckar-Wissenschaftsregion bietet eine in Europa einzigartige Dichte an renommierten Forschungseinrichtungen«, sagt Klein. Dies sind neben der Universität Heidelberg und der Universitätsklinik zum Beispiel das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) und das Europäische Labor für Molekularbiologie (EMBL). Die Pharmazeutischen Wissenschaften in Heidelberg sind mit diesen Institutionen teilweise eng vernetzt, was sich auch in der pharmazeutischen Lehre widerspiegelt. Als »lebendige Brücke« bezeichnet Müller ihren Kollegen Professor Dr. Roland Eils, der gemeinsam mit dem DKFZ an das IPMB berufen wurde und somit eine Doppelprofessur innehat.

 

Das IPMB beinhaltet neben den klassisch pharmazeutischen Fächern auch Professuren für Funktionelle Genomik, Bioinformatik und Bioanalytik. Das exzellente Forschungsprofil des Instituts wird – auch durch diese nicht Pharmazie-typischen, aber pharmazeutisch extrem relevanten Fächer – durch die sehr erfolgreichen Forschungsaktivitäten unterstrichen. Beispiele hierfür sind die von Müller (Professur für Funktionelle Genomik) initiierte DFG-Forschergruppe, die sich mit den »Physiologischen Funktionen der APP-Genfamilie im zentralen Nervensystem« beschäftigt, oder der BMBF-Spitzencluster Rhein-Neckar, an dem Professor Dr. Gert Fricker wesentlich beteiligt ist. »Es ist daher nicht überraschend, dass die Heidelberger Pharmazie im CHE-Forschungsranking einen Spitzenplatz einnimmt«, sagt Klein.

Weitere Beispiele für interdisziplinäre Zusammenarbeit in Lehre und Forschung sind die Pharmakologie und die Klinische Pharmazie. Erstgenannte wird in der Lehre von der Medizinfakultät dargestellt, und die Lehre in der Klinischen Pharmazie findet in enger Kooperation mit der Inneren Medizin (Professor Dr. Walter E. Haefeli) sowie der Klinikapotheke (Dr. Torsten Hoppe-Tichy) statt. »In Heidelberg bemüht man sich, den Übergang zur Arbeit in der Apotheke so sanft wie möglich zu machen«, sagt die Heidelberger Pharmaziestudentin Eva Stecher. So finde in diesem Jahr zum Beispiel ein von der Fachschaft organisiertes Seminar unter dem Titel »Kundenorientierte Kommunikation und Beratung in der Apotheke« statt. Zudem werden im Rahmen der Klinischen Pharmazie Arzneimittel-Informations-Prozesse exemplarisch geübt.

 

Bauliche Situation verbessert

 

Die Studienbedingungen in Heidelberg bewertet Stecher – abgesehen von der Wohnsituation und der daraus resultierenden finanziellen Belastung – als erfreulich. Zu den positiven Faktoren zählt sie das persönliche, soziale Klima innerhalb des Instituts und den großen Zusammenhalt unter den Studierenden. Die Lehre sei häufig sehr aktuell. »Besonders schätze ich, dass die Atmosphäre in Lehrveranstaltungen ermutigt, Fragen zu stellen und so ein reger Austausch stattfindet«, so Stecher. Last but not least sollte man auch nicht den Charme Heidelbergs mit all seinen Möglichkeiten, das Studentenleben zu genießen, vergessen.

 

Auf Anregung der Studierenden wird an der Uni Heidelberg zudem eine freiwillige Zusatzveranstaltung, ein englischsprachiges Literaturseminar, angeboten. In diesem stellen die Studierenden in Kurzvorträgen aktuelle Originalarbeiten vor. Dies dient neben der fachspezifischen Vertiefung auch der Schulung von Präsentations- und Diskussionstechniken (»Soft Skills«) und wird trotz des dichten Studienprogramms stark nachgefragt.

Steckbrief: Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Die Ruprecht-Karls-Universität ist die älteste Universität Deutschlands. Im Oktober 1385 unterzeichnete Papst Urban VI. die Einrichtungsbulle, im Jahr darauf wurde der Lehrbetrieb aufgenommen. 625 Jahre später sind heute mehr als 28 000 Studierende eingeschrieben, über 160 Studienfächer stehen dabei zur Auswahl. Mit ihrem Bekenntnis zur Volluniversität gelang der Ruperto Carola der Sprung in die Gruppe jener neun Universitäten, die im Zuge der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern in der dritten Förderlinie mit ihrem Zukunftskonzept überzeugen konnten. Zwei Exzellenzcluster wurden der Universität im Zuge der Exzellenzinitiative bewilligt.

 

Hervorzuheben ist auch der Erfolg Heidelbergs bei der Nobelpreis-Vergabe: Seit Bestehen der Ehrung haben 55 Persönlichkeiten, deren Lebensläufe mit der Universität oder der Stadt Heidelberg verbunden sind, den Nobelpreis erhalten, zuletzt im Jahr 2008 der Krebsforscher Harald zur Hausen.

 

Die Naturwissenschaften der Universität sind überwiegend auf dem Campus Neuenheimer Feld versammelt. Die Pharmazie gehört zur Fakultät für Biowissenschaften. Etwa 200 Apotheker in spe werden dort in diesem Fach ausgebildet.

Stark nachgefragt: Das trifft auch auf die Arzneipflanzen-Exkursionen zu, die die Pharmazeutische Biologie anbietet. Einfach mal rauskommen, ist sicher gar nicht so schlecht. Denn läuft man über den Campus im Neuenheimer Feld, so stechen die Bausünden aus den 1960er- und 1970er-Jahren sehr ins Auge. Auch das Pharmazie-Hauptgebäude ist mittlerweile etwa 40 Jahre alt und wird keinen Schönheitswettbewerb gewinnen. Aber: Außen pfui, innen hui! Momentan wird das Gebäude in mehreren Etappen einer grundlegenden Renovierung unterzogen. Etwa ein Drittel der Räumlichkeiten konnten im vergangenen Jahr in einem topmodernen Zustand an die Nutzer übergeben werden. Für 2012 steht die Übergabe von komplett neuen Praktikumsräumen an.

 

Alternatives Prüfungsverfahren

 

2012 also ein Neuanfang, 2013 dann das Ende in anderer Sache: »Wir bedauern sehr, dass das alternative Prüfungsverfahren zum Wintersemester 2013 auslaufen wird, da für eine dauerhafte Einführung eine Änderung der Approbationsordnung erforderlich wäre«, informiert Müller.

 

Als erste Hochschule in Deutschland hatte die Universität Heidelberg im Jahr 2001 das alternative Prüfungsverfahren eingeführt und damit das »klassische« Erste Staatsexamen mit zentraler Multiple-Choice-Prüfung ersetzt. Im alternativen Prüfungsverfahren werden die Prüfungsleistungen stattdessen kontinuierlich studienbegleitend erhoben. Nach jeder einzelnen Lehrveranstaltung müssen die Studierenden sich in der Regel schriftlichen Prüfungen unterziehen. Die Leistungen werden benotet und nach Credit Points gewichtet. Alle Prüfungsleistungen gehen gewichtet in die Gesamtnote des Ersten Staatsexamens nach vier Semestern ein. Dieses System der Leistungskontrolle im Grundstudium entspricht somit weitgehend den üblichen Prüfungsverfahren von Bachelorstudiengängen.

 

Die kürzlich erfolgte Auswertung der Studierendendaten zeigte sowohl hinsichtlich Studiendauer als auch Abschlussnote sehr deutliche Verbesserungen gegenüber dem klassischen Prüfungssystem. So hat sich (bei gleichbleibender Abbrecherquote) die Studiendauer bis zum ersten Abschnitt der Pharmazeutischen Prüfung im alternativen Prüfungsverfahren um 1,3 Semester von 5,36 auf nunmehr 4,08 Semester verkürzt. Diese fast punktgenaue Einhaltung der Regelstudienzeit von vier Semestern im Grundstudium setzt sich auch im Hauptstudium fort. So beträgt die durchschnittliche Studiendauer bis zum Zweiten Staatsexamen 8,1 Semester (Quelle: IMPP Statistik) bei acht Semestern Regelstudienzeit. »Damit ist die Universität Heidelberg bundesweit Spitzenreiter«, fasst Müller zusammen.

Deutlich hat sich auch die Durchschnittsnote im Ersten Staatsexamen um 0,5 Notenpunkte von 2,8 auf nunmehr 2,3 verbessert. So weit die Einschätzung der Lehrenden. Und die Meinung der Lernenden zum alternativen Prüfungsverfahren? »Mit ein paar wenigen Ausnahmen, sind die Studierenden zufrieden mit dem alternativen Prüfungsverfahren. Heidelberg wurde zudem vom ein oder anderen gerade wegen des alternativen Prüfungsverfahrens als Studienort gewählt«, sagt Stecher. Umso größer sei das Bedauern und Unverständnis gewesen, als die dauerhafte Zulassung eines solchen Verfahrens untersagt wurde.

 

Verwendung von Studiengebühren

 

An dieser Stelle war die Meinung der Studierenden also offensichtlich nicht gefragt. Innerhalb des Instituts sieht das aber ganz anders. Sowohl die Professoren als auch die Studentenseite weisen im Gespräch mit der PZ auf den angenehmen Dialog miteinander hin. Stecher: »Bei regelmäßigen Treffen zwischen Studierenden und Studiendekanen der Pharmazie und Molekularen Biotechnologie werden Belange des Studienalltags besprochen.« In der Kommission für Studiengebühren, dem wesentlichen Verteilungs- und Entscheidungsgremium für diese Gelder, haben die Studierenden sogar die Stimmenmehrheit.

Forschungsgebiete der Heidelberger Professoren

Themen der Arbeiten des Arbeitskreises von Professor Dr. Gert Fricker sind die Aufklärung von Mechanismen des Arzneimitteltransports durch die Blut-Hirn-Schranke und die Entwicklung peroraler Darreichungsformen für schwerlösliche neue Wirkstoffe sowie neue Trägersysteme für ein Drug-Targeting.

 

Die Arbeitsgruppe um Professor Dr. Andres Jäschke beschäftigt sich mit den katalytischen und regulatorischen Eigenschaften von Nukleinsäuren, insbesondere mit der Identifizierung von Ribonukleinsäuren als Arzneistofftargets.

 

Der Arbeitskreis von Professor Dr. Christian Klein entwirft und entwickelt neue Wirkstoffe gegen Tumore sowie Infektionskrankheiten wie Dengue-Fieber oder bakterielle Infektionen.

 

Das Team um Professor Dr. Ulrike Müller untersucht die molekularen Mechanismen synaptischer Transmissionsstörungen und die Pathogenese neurodegenerativer Erkrankungen, insbesondere der Alzheimerschen Krankheit. Ein Schwerpunkt der Analyse ist die Herstellung transgener Mausmodelle, um die physiologische und pathologische Funktion von Schlüsselproteinen der Alzheimerpathogenese in vivo aufzuklären.

 

Der Schwerpunkt der Forschung in der Arbeitsgruppe um Professor Dr. Michael Wink liegt auf Arznei- und Giftpflanzen (Phytochemie, Sekundärstoffwechsel, molekulare Pharmakologie, Biotechnologie) und Evolution (molekulare Phylogenie und Systematik).

 

Forschungsthemen in der Gruppe von Professor Dr. Stefan Wölfl sind die Entwicklung neuer Methoden für die Bioanalytik, wie Mikroarrays und zelluläre Biosensoren für die Wirkstoffprüfung, Diagnostik und Umweltanalytik, und die Rolle der Regulation der Genexpression für die Entstehung und den Verlauf von Krankheiten.

 

In der Kooperationseinheit Klinische Pharmazie haben sich die Abteilung Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie, die Apotheke des Klinikums und das IPMB vernetzt. Durch die klinischen Partner in dieser Einheit ergibt sich eine patientenorientierte Forschung, die zum Ziel hat, Arzneimitteltherapierisiken zu vermeiden und die Arzneimittelanwendung zu optimieren.

In Baden-Württemberg werden derzeit pro Semester 500 Euro Studiengebühren erhoben. Der Großteil dieser Gelder fließt direkt in die Fächer und wird dort in halbjährlichen Sitzungen der Studiengebührenkommission auf die Unterrichtseinheiten verteilt. Wesentliche Anteile gehen in Tutorien und Praktika, zusätzliche Ausbildungsangebote, Lehrbücher sowie die apparative Ausstattung. »Der Gerätepark ist ganz unglaublich hier«, schwärmt Klein. Auch Verbrauchsmaterialien, zum Beispiel Chemikalien, müssen die Studierenden nicht zusätzlich bezahlen. Der vom Rektorat verwaltete Anteil der Studiengebühren dient zum Beispiel zur Anschaffung größerer Geräte. Auch Angebote der Universitätsbibliothek und des Rechenzentrums werden damit ausgebaut. So ist zum Beispiel eine hervorragende Versorgung mit verschiedener Software und Lehrbüchern sichergestellt. Aus den Studiengebühren wird zudem eine Studienkoordinatorin finanziert. Nach dem aktuellen Regierungswechsel wird die Abschaffung der Studiengebühren und eine Kompensation aus Haushaltsmitteln des Landes erwartet.

»Ein Studium in Heidelberg hat zweifelsohne seinen Reiz und seine Vorteile. Ich persönlich würde mich vermutlich wieder so entscheiden, denke aber, dass es viele Städte in Deutschland, Europa und auf der Welt gibt, in denen es faszinierend ist, zu studieren«, sagt Stecher. Wen das Fernweh packt, der kann dieser Leidenschaft übrigens auch während des Pharmaziestudiums nachgehen.

 

Aktuell bestehen bilaterale Verträge mit acht Partneruniversitäten im europäischen Ausland. Die meisten Verträge wurden speziell für den Austausch von Studierenden des Studienganges Pharmazie geschlossen. Etwa 15 Studierende pro Jahr machen von der Gelegenheit Gebrauch, Auslandserfahrung zu sammeln. Die Austauschprogramme bieten für die Studierenden vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Besonders häufig wird dabei die Möglichkeit genutzt, an Forschungsprojekten der verschiedenen Arbeitsgruppen mitzuarbeiten. Bei den Heidelberger Pharmaziestudenten ist der Aufenthalt an den Universitäten in London, Cardiff, Montpellier, Lyon sowie Santiago de Compostela und Saragossa besonders beliebt. Andersrum nutzen viele Studierende der Partneruniversitäten die Chance, in Heidelberg zu studieren. Etwa 20 Prozent der Immatrikulierten kommen nach Angaben der Uni aus dem Ausland. Ein Beweis mehr, dass die Uni Heidelberg nicht nur hierzulande, sondern auch international einen hervorragenden Ruf genießt. / 

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