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Rezepturen

Schwerpunkt des Problemspektrums im pharmakologischen Bereich

18.03.2011  09:58 Uhr

Von Detlef Klauck / Im Frühjahr 2008 führte die Apothekerkammer Sachsen-Anhalt eine Umfrage in den Apotheken des Landes durch. Ziel war es, einen Überblick über Art und Umfang der Individualrezeptur in Sachsen-Anhalt zu gewinnen, um im Nachgang Möglichkeiten und Wege zur Behebung von Problemen bei der Prüfung und Herstellung von Rezepturen in Apotheken aufzeigen zu können.

Im Zeitalter der evidenzbasierten Medizin wäre zu erwarten, dass die Bedeutung der Individualrezeptur zugunsten validierter und preiswerter Fertigarzneimittel nachlässt. Entgegen diesem Trend steigt die Anzahl der Konsultationen zu Rezepturproblemen in den hierfür verfügbaren Infostellen kontinuierlich an.

PZ-Originalia

In der Rubrik Originalia werden wissen­schaftliche Untersuchungen und Studien veröffentlicht. Eingereichte Beiträge sollten in der Regel den Umfang von zwei Druckseiten nicht überschreiten und per E-Mail geschickt werden. Die PZ behält sich vor, eingereichte Manuskripte abzulehnen. Die veröffentlichten Beiträge geben nicht grundsätzlich die Meinung der Redaktion wieder.

Ausgehend von der Annahme, dass die Rezepturen aus den Rezeptursammlungen des Neuen Rezeptur-Formulariums® (NRF) und der Standardrezepturen der SR wegen der schon erfolgten Validierung problemlos herzustellen, zu lagern und anzuwenden sind, beschränkte sich die oben genannte Umfrage auf die in den Apotheken angeforderten nicht standardisierten Rezepturen. Um ein repräsentatives Ergebnis zu erreichen, wurde ein Zeitraum von zwei Monaten für die Sammlung der Verordnungen ausgewählt.

 

Obwohl die Teilnahme an der Umfrage freiwillig war und finanziell nicht honoriert wurde, beteiligten sich mehr als 8 Prozent der öffentlichen Apotheken an der Erfassung. Dabei gingen Meldungen zu über 1700 Einzelverordnungen ein, die in einer Datenbank erfasst wurden.

Eine erste Auswertung erfolgte bereits im Sommer des Jahres 2008. Hierbei wurden häufig verwendete Wirkstoffe ausgewählt und Fehlermöglichkeiten identifiziert. Gemeinsam mit dem Institutsbereich Pharmazeutische Technologie und Biophar­mazie der Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg, und der Pharmazeutisches Kontroll- und Herstellungslabor GmbH wurden weitere Untersuchungen hierzu angestoßen. Diese Arbeiten sind zurzeit noch nicht abgeschlossen.

 

Im Rahmen einer Arbeit im Wahlpflichtfach begannen Studenten des dritten Studien­jahres parallel dazu mit einer systemati­schen Auswertung der erfassten Daten, um eine Übersicht über Schwerpunkte der auftretenden Probleme zu erhalten und diese zu klassifizieren.

 

Die Ergebnisse dieser Auswertung der Fehlerverteilung sollen im Folgenden vorgestellt werden. Eine Veröffentlichung der Arbeit ist in der Digitalen Bibliothek des Sondersammelgebietes Pharmazie der Universität Braunschweig erfolgt. (1)

 

Repräsentativität der Daten

 

Die meldenden Apotheken verteilen sich weitgehend gleichmäßig über die unterschiedlichen Regionen des Bundeslandes, wobei eine durchschnittliche Beteiligung von etwa 8 Prozent der Apotheken erreicht wurde. Die Anzahl der gemeldeten Rezepturen je Apotheke schwankte dagegen sehr stark von zwei Rezepturen (in diesem Falle wurden nicht alle auftretenden Rezepturen, sondern nur die problembehafteten gemeldet) bis zu über 200 Verordnungen.

 

1 Prozent der Verordnungen wurden wegen Lesbarkeitsproblemen, 1,4 Prozent weil sie standardisierte Rezepturen darstellen, nicht erfasst. In der Arbeit wurde knapp die Hälfte der gemeldeten Rezepturen ausgewertet.

 

Umfang der Daten

 

In der Umfrage wurden sowohl Angaben zur Rezeptur als auch zur Verordnung erhoben. Erfasst wurden dabei für jede Verordnung

 

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Zusammensetzung

verordnete Menge

Häufigkeit im Bezugszeitraum

Fachgruppe des verordnenden Arztes

 

Die Angaben zur Zusammensetzung wurden bei der Erfassung einheitlich auf 100 g beziehungsweise 10 g (Augen- und Nasentropfen) bezogen, um Mehrfachverordnungen besser erkennen zu können. Rezepturbestandteile wurden, wo sinnvoll, unabhängig von der Verordnung einheitlich in deutscher Sprache erfasst (zum Beispiel Urea  Harnstoff; Carbamid  Harnstoff). Die Reihenfolge der Komponenten wurde in allen Fällen dahingehend korrigiert, dass der Hauptwirkstoff (zum Beispiel das Corticoid) an erster Stelle und das Vehikel an letzter Position auftauchen.

 

Unterschiedliche Verordnungsmengen der gleichen Rezeptur wurden, wie auch Verordnungen der gleichen Rezeptur von verschiedenen Fachärzten, getrennt dokumentiert, um später auch eine diesbezügliche Auswertung durchführen zu können.

 

Von den Facharztgruppen wurden nur die vier häufigsten einzeln erfasst: Hautärzte, HNO-Ärzte, Kinderärzte und Allgemeinmediziner, alle anderen Gruppen wurden unter »Sonstige« zusammengefasst.

 

Bei der Übertragung der Daten in die Datenbank wurden die gemeldeten Daten durch folgende Angaben ergänzt

 

Stichworte und Synonyme (lateinisch, deutsch)

offensichtliche Probleme (galenisch, pharmakologisch)

nach Herkunftsregion (Landkreis).

 

Einteilung/Systematik möglicher Risiken in Gruppen

 

Eine systematische, eindeutige und vollständige Kategorisierung für in der Praxis auftretende Rezepturprobleme ist in der zu dieser Thematik ohnehin nicht besonders umfangreichen Fachliteratur leider nicht zu finden. In den veröffentlichten Untersuchungen sind neben rein galenischen Betrachtungen auch Einteilungen nach Mechanismus (Komplexbildung), Stör­einfluss (pH, Licht) und galenischer Systematik (Grundlagen, Emulgatoren) zu finden. Einige Probleme können damit je nach betrachteter Eigenschaft mehrfach erfasst, andere (zum Beispiel pharmakologische Aspekte) nicht abgebildet werden.

 

Die bestehenden Einteilungen waren damit für die gewünschte vollständige Auswertung der erkennbaren Probleme nicht nutzbar, weshalb ein eigenes System der Einordnung erarbeitet wurde.

 

Im ersten Schritt war das Spektrum vorhandener Probleme zu identifizieren und in Gruppen einzuteilen. Diese Einteilung sollte zu einer praxisnahen, das heißt überschaubaren und nicht zu komplizierten Strukturierung der Probleme führen.

 

Nach Einarbeitung in die Thematik erstellten die Studenten eine Gliederung, mit deren Hilfe eine zielführende Einordnung der Probleme in den Rezepturen in Gruppen möglich ist. Die ermittelten Gruppen decken die in der Umfrage, das heißt die zum Zeitpunkt der Entgegennahme des Rezepturwunsches in der Apotheke erkennbaren Probleme ab. Die Einteilung erlaubt eine eindeutige Zuordnung der Probleme, ohne dass die Zahl der Kategorien die Übersichtlichkeit einschränkt. Eine Zuordnung zu Ursachen und die Ableitung von Maßnahmen erscheinen damit leicht möglich.

Die grundsätzliche Aufteilung in pharmakologische und galenische Probleme (Abbildung 1) erlaubt eine einfache Zuordnung im Hinblick auf notwendige Korrekturmaßnahmen. Um eine durchgängige Zweistufigkeit des Systems und die Miterfassung von Anwendungsproblemen zu gewährleisten, wurde die endgültige Struktur gegenüber der in der Arbeit der Studenten (1) vorgeschlagenen Variante geringfügig geändert.

 

Bei den pharmakologischen Problemen wurde eine weitere Untergliederung hinsichtlich solcher Faktoren vorgenommen, die klar zu identifizieren und einer gezielten Beeinflussung zugänglich sind.

 

Die Unterteilung der galenischen Probleme in wirkstoffzerstörend und nicht-wirkstoffzerstörend erfasst alle mit einem Wirkungsverlust einhergehenden Probleme. Diese, eine Therapie grundlegend beeinflussenden Mängel bilden auch die Dringlichkeit des Handlungsbedarfs ab.

 

Die vorgeschlagene Einteilung wurde als Grundlage für die folgenden Auswertungen der Umfrageergebnisse in die Datenbank übernommen. Bei der technischen Umsetzung muss beachtet werden, dass in einer Rezeptur auch mehrere dieser Probleme gleichzeitig enthalten sein können.

 

Ergebnisse und Auswertung

 

Die Analyse der Problemgruppen wurde nicht nur in qualitativer Hinsicht durchgeführt. Um die praktische Bedeutung einzelner erkannter Probleme einzuschätzen, wurde auch deren Häufigkeit bewertet, die sich aus dem Datenbestand problemlos isolieren ließ.

 

44 Prozent aller erfassten Rezepturen wurden als fehlerhaft oder kritisch bewertet und deshalb in diese Untersuchung einbezogen. Von den problembehafteten Verordnungen wurden 75 Prozent als rein pharmakologische Probleme und nur 11 Prozent als ausschließlich galenischer Natur eingestuft. Ein solch hoher Anteil von Problemen, die nicht reine Stoffeigenschaften betreffen, war nicht erwartet worden.

 

Von den vier vorgeschlagenen pharmakologischen Problemgruppen nach Abbildung 1 konnten drei untersucht werden. Die Auswertung patientenbezogener Probleme war nicht primär Ziel der Arbeit und hätte einer gesonderten Datenerhebung (Datenschutz) bedurft.

 

Als bedeutendste Gruppe mit etwa 80 Prozent der Einzelfälle wurden die Wechselwirkungen sowohl zwischen den einzelnen eingesetzten Wirkstoffen, als auch zwischen Arzneistoffen und den verwendeten Grundlagen (Abbildung 2) identifiziert. Indikations- und Dosisprobleme spielten mit 12 Prozent beziehungsweise 8 Prozent eine eher untergeordnete Rolle.

Bei den galenischen Problemen traten in etwas mehr als der Hälfte der Fälle potenziell wirkstoffzerstörende Effekte auf. Bei den verbleibenden 43 Prozent ergab sich der Wirkungsverlust durch andere, das heißt nicht in allen Fällen mit Komplikationen verbundene Effekte (zum Beispiel Komplexbildung).

 

Diskussion

 

Sollten sich diese Daten, wie anzunehmen ist, bei der abschließenden Auswertung bestätigen, würde dies zeigen, dass mit der dem Apotheker erlaubten eigenständigen Behebung galenischer Probleme nur in begrenztem Umfang eine Verbesserung der Gesamtsituation erreichbar ist. Viel wichtiger sind der Dialog mit den Ärzten und das darauf basierende Korrigieren von pharmakologischen Problemen.

 

Wechselwirkungen als häufigste pharmakologische Probleme können vom Apotheker anhand seiner Fachkenntnisse (Stoff­eigenschaften) im Gespräch mit dem Arzt (Therapieentscheidung) in praktisch allen Fällen gelöst werden.

 

Der große Anteil derartiger Probleme zeigt, dass die Kommunikation zwischen beiden Berufsgruppen noch verbesserungsbedürftig ist. Dies ist besonders wichtig, weil die Auswirkungen in Form bedenklicher Rezepturen letztlich zulasten des Patienten gehen.

 

Neben diesen durch Schulung und bessere Kommunikation zu beseitigenden Ursachen sollte der Einfluss von störenden, möglicherweise nicht kurzfristig beeinflussbaren Umgebungsbedingungen (zum Beispiel verfügbarer Zeitrahmen im Praxis­alltag, Erstattungsfähigkeit, ökonomische Vorgaben) aber nicht unterschätzt werden. Hier könnten weitere Auswertungen möglicherweise Ansatzpunkte zur Behebung von Rezepturproblemen aufzeigen.

 

Schulungen und Weiterbildungen zur Rezepturproblematik bei Ärzten und Apothekern sollten deshalb neben galenischen Problemen immer auch die pharmakologischen Aspekte mit berücksichtigen.

 

Zusammenfassung

 

Ein übersichtliches Schema zur Einordnung von Problemgruppen wurde aus den bereits in elektronischer Form vorliegenden Daten erarbeitet. Dieses soll zur Bearbeitung und Auswertung der gesammelten Rezepturdaten genutzt werden. Das in der Datenbank erfasste Rezepturspektrum erlaubt zudem eine Gewichtung dieser Problemarten hinsichtlich der Häufigkeit im Rezepturalltag der öffentlichen Apotheke.

 

Die Tatsache, dass fast die Hälfte der in den Apotheken eingegangenen, nicht standardisierten Verordnungen mit Problemen verbunden waren, verdeutlicht die Notwendigkeit einer kompetenten Prüfung und Beratung bereits zum Zeitpunkt der Entgegennahme der Verordnung.

 

Der erkennbare Schwerpunkt des Problemspektrums im pharmakologischen Bereich zeigt, dass die fachkundige Wertung durch den Apotheker und das direkte Gespräch mit dem verordnenden Arzt die optimale Lösungsmöglichkeit darstellen.

 

Mit dem Ziel der Optimierung der Rezepturen besteht sowohl hinsichtlich der Zusammenarbeit der Berufsgruppen, als auch bei der Gestaltung sinnvoller Umgebungsbedingungen für diese Zusammenarbeit ausreichend Handlungsbedarf.

 

Parallel zur Vorbereitung der vollständigen Datenauswertung wurde die praktische Bearbeitung erster erkannter galenischer Probleme eingeleitet. Hier liegen Teilergebnisse vor.

 

Die Erfassung der Umfragedaten wird fortgesetzt und an noch offenen Punkten durch weitere Daten-Erhebungen ergänzt. Die Arbeit der Studenten Dominique Fritzsche und Philipp Rudolph zur Einteilung der Problemgruppen wurde im Mai 2010 von der Dr.-Hellmuth-Häussermann-Stiftung prämiert. /

 

 

Literatur

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www.digibib.tu-bs.de/?docid=00031329

 

Anschrift des Verfassers:

 

Dr. Detlef Klauck

Apothekerkammer Sachsen-Anhalt

Dr.-Eisenbart-Ring 2

30120 Magdeburg

kammer(at)ak-sa.de

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