Pharmazeutische Zeitung online
Apotheker in der Zwickmühle

Zur Reprofessionalisierung des Apothekers

27.09.2010  15:54 Uhr

Von Anna Henkel und Udo Puteanus / Spätestens seit ein Artikel der Pharmazeutischen Zeitung mit »Ethik und Monetik« titelte1, wird dieses Begriffspaar gerne wiederholt, wenn es um die Anforderungen an den Berufsstand Apotheker geht. Eine Problematik, die den Apothekerstand in Deutschland seit den 1970er-Jahren beschäftigt, scheint damit auf den Punkt gebracht: Der Apotheker als professioneller Berufsrollenvertreter stehe in einer langen Tradition ethischer Verantwortung für eine vertrauenswürdige Arzneimittelversorgung; doch zunehmend sei zu diskutieren, ob nicht zu viele Personen diese Verantwortung hinter wirtschaftliche Gewinn­motive zurückstellten.

Im Folgenden wird argumentiert, dass die Annahme einer Kontinuität des Apothekerberufs einen grundsätzlichen Strukturwandel übersieht. Der Apotheker heute ist grundsätzlich unterschieden vom Apotheker noch Mitte des 19. Jahrhunderts. Zentrale Weichenstellung war die Einführung des originalverpackten Fertigarzneimittels. Denn – lässt man zunächst den Informations- und Beratungsaspekt außen vor – mit seiner Einführung verliert die Apothekerrolle ihre gesellschaftliche Kernfunktion, nämlich die Identität und Qualität der Arzneimittel persönlich zu garantieren. Dieser Funktionsverlust bedeutet nicht nur eine Deprofessionalisierung des Apothekerberufs, sondern zudem hinsichtlich der Arzneimittel-Abgabe eine Ersetzbarkeit des freiberuflichen Apothekers durch angestellte Apotheker, durch nichtapprobiertes Personal oder gar durch Dispensier-Automaten. Doch zeitnah zur Einführung originalverpackter Fertigarzneimittel werden Arzneimittel in sich komplexer, die materia medica nimmt an Umfang extrem zu und die Abgrenzung zwischen Arzneimitteln und anderen »Mitteln« wird immer schwieriger. Pharmazeutische Beratung als unabhängige Komplexitätsreduktion des Arzneimittelbereichs kann angesichts dieser Entwicklung eine Voraussetzung für Arzneimittelanwendungssicherheit und zugleich gesundheitliche Gerechtigkeit sein. Dies setzt jedoch voraus, dass der Apotheker aus der strukturellen Doppelanforderung von Ethik und Monetik so weit wie möglich befreit wird.

PZ-Originalia

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Diese These wird in drei Abschnitten ausgeführt2. Den Ausgangspunkt bildet eine soziologische Perspektive auf das Pharmazeutische, vor deren Hintergrund die Funktion und der Funktionsverlust der Apothekerrolle deutlich wird. Der zweite Abschnitt zeigt, dass der Widerspruch zwischen Ethik und Monetik keineswegs im Gewinnstreben einzelner Apotheker begründet liegt, sondern in strukturell widersprüchlichen Anforderungen. Abschließend werden die potenziellen Ansatzpunkte pharmazeutischer Beratung sowie die Anforderung an eine pharmazeutische Reprofessionalisierung erörtert.

 

Deprofessionalisierung des Apothekers

 

Seit ihrer Entstehung in Arabien und ihrer Verbreitung in Europa seit dem 13. und vor allem 15. Jahrhundert ist die zentrale, existenzbegründende Aufgabe der Apothekerrolle, die Identität und Qualität von Pharmaka zu garantieren sowie die gesamte materia medica für den medizinischen Bedarfsfall bereitzuhalten. Kräuter gab es auch andernorts. Doch nur vom Apotheker konnte aufgrund von Apothekerordnung, Ausbildungsanforderungen und institutionalisierten Kontrollmechanismen normativ erwartet werden, dass erstens die von ihm verantworteten Arzneimittel die erforderliche Qualität aufwiesen und zweitens alle, auch wirtschaftlich unlukrative Mittel der materia medica vorrätig waren. Seit dem 17. Jahrhundert wurde diese Garantie- und Bereithaltungsfunktion mit den chemiatrischen Arzneimitteln um die Herstellungsfunktion erweitert, mit der eine Professionalisierung des bislang kaufmännisch und handwerklich orientierten Berufsstandes einherging.

Doch Ende des 19. Jahrhunderts entfiel die Kernfunktion der Garantieleistung schlagartig: Aufgrund der rechtlichen Innovation der Originalverpackung wurde es möglich, dass seitdem die Identität industriell hergestellter Arzneimittel über die Umverpackung als erkennbar gilt. Die Umverpackung indiziert apothekerunab­hängig die Identität des Produktes und ermöglicht, es auf einen sanktionsfähi­gen Hersteller zurückzubeziehen. Diese Innovation der Originalverpackung hat einschneidende Konsequenzen. War es technisch bereits seit der Wende zum 19. Jahrhundert möglich, Arzneimittel indus­triell herzustellen, so musste doch jedes einzelne dieser Arzneimittel durch einen Apotheker persönlich auf Identität und Qualität geprüft werden. Die indus­trielle Herstellung und Forschung bricht sich erst Bahn, als der Flaschenhals der persönlichen Prüfung durch die soziale Innovation der Originalverpackung obsolet wird.

 

Die Kehrseite jedoch ist eine schlagartige Deprofessionalisierung des Apothekerberufs. Mit der rapiden Verbreitung der originalverpackten Fertigarzneimittel ist der Apotheker zunehmend auf die Abgabe von Produkten reduziert, deren Identität und Qualität er persönlich nicht garantieren und heute vielfach aufgrund der Laborkapazitäten nicht einmal theoretisch überprüfen kann. Was bleibt, sind die Bereithaltung eines umfangreichen Pflichtsortiments und die Abgabe selbst. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts war den Zeitgenossen klar, dass dies keine Grundlage für eine dauerhafte gesellschaftliche Anerkennung des Berufsstandes ist.

 

Die Entstehung des Prinzips originalverpackter Fertigarzneimittel hat drei unmittelbare Konsequenzen: Erstens verliert die Apothekerrolle – wie oben beschrieben – ihre traditionelle Kernfunktion. Zweitens werden Arzneimittel als Fertigarzneimittel zunehmend als marktwirtschaftlich handelbare Industriegüter gesehen. Drittens schließlich zeigt sich die parallel laufende Entwicklung, dass die Komplexität der Arzneimittel sowie der materia medica insgesamt steigt. Aus dem zweiten Aspekt (der Handelbarkeit) ergibt sich das strukturelle Problem von Ethik und Monetik; aus dem dritten Aspekt (der Komplexitätssteigerung) ergibt sich der Bedarf nach pharmazeutischer Beratung.

 

Ethik und Monetik als strukturelles Dilemma

 

Über die markenzeichenrechtlich geschützte Umverpackung werden Arzneimittel unabhängig vom Apotheker. Arzneimittel sind als Fertigarzneimittel an sich ebenso handelbar wie andere Industrieprodukte. Zwar unterscheiden sich Arzneimittel von Stecknadeln oder Lebensmitteln durch die ihnen zugeschriebene Gefährlichkeit sowie die gesundheitliche Versorgungsverpflichtung des Staates – gleichwohl können sie als Produkt ähnlich gelagert und vertrieben werden.

 

Aus dieser neuen Handelbarkeit der originalverpackten Fertigarzneimittel resultiert, dass der Apotheker zunehmend als Händler gesehen wird. Befand sich der Apotheker über Jahrhunderte zwischen der Beurteilung als »Handwerker vs. Wissenschaftler«, so tritt nun das Pärchen »Kaufmann vs. Heilberufler« an dessen Stelle. Dieses zunehmende Verständnis vom Apotheker als Händler hat praktische Auswirkungen auf die strukturellen Rahmenbedingungen der Ausübung des Apothekerberufs. In der Ära der Apotheker-Arzneimittel war der Apotheker nicht nur »ethisch« (und vor allem gesetzlich) auf heilberufliche Anforderungen verpflichtet, sondern ihm wurden zugleich die strukturellen Bedingungen für ein derart ethisches Verhalten gegeben. Die seit jeher bestehende politisch-rechtliche Preissetzung von Arzneimitteln diente zwar primär dem Patientenschutz, indem derart das Ausnutzen von Notlagen durch Wucherpreise verhindert wurde. Zugleich ermöglichte es aber auch die Mischfinanzierung, die notwendig war, wenn nicht nur einfach beschaffbare und häufig verwendete, sondern auch teure, seltene Arzneimittel vorrätig gehalten werden sollten. Wo diese Regelungen nicht ausreichten, politisch aber dennoch Interesse am Vorhandensein einer Apotheke bestand (was mit den Seuchenzügen zunehmend der Fall wurde), kamen Privilegien hinzu.

Parallel mit der Umstellung von Apotheker-Arzneimitteln auf originalverpackte Fertigarzneimittel wurden zunehmend wirtschaftlich-rationale Anforderungen an den Apotheker gestellt. Weil Fertigarzneimittel seitdem als Industriegüter gesehen werden können, liegt nun die – bezüglich der Apotheker-Arzneimittel unsinnige und deshalb über Jahrhunderte unterbundene – Vorstellung nahe, dass diese Industriegüter durch industriegütertypischen Wettbewerb billiger beziehungsweise wirtschaftlich effizienter verfügbar gemacht werden könnten. Diese Vorstellung ist der Hintergrund sowohl für die Legalisierung des Arzneimittelversandhandels als auch der Entlassung nicht verschreibungspflichtiger, apothekenpflichtiger Arzneimittel aus der Festpreisbindung.

 

Für den Apotheker führt dies in eine Double-bind-Situation (Zwickmühle): Einerseits ist er berufsethisch verpflichtet, bei gleichzeitiger Sortimentsbegrenzung eine Vielfalt von Produkten bereitzuhalten, bei deren Abgabe zu beraten, vergleichsweise hoch qualifiziertes Personal zu beschäftigen, eine ausgedehnte Pflicht-Lagerhaltung zu betreiben, Notdienstbereitschaft zu leisten und für all dies die pharmazeutische und wirtschaftliche Verantwortung persönlich zu übernehmen. Andererseits gehen seit den 1970er-Jahren die expliziten und impliziten Anreize dahin, möglichst hohe Umsätze im Arzneimittelbereich zu machen, über das Nebensortiment die pharmazeutischen Kernaufgaben zu finanzieren und zugleich »effizienter« zu werden – und all dies nicht zuletzt in Konkurrenz mit Versandhändlern und Drogeriemärkten, die allein aufgrund der proportional geringen Notdienstpflicht auch vergleichsweise geringere Fixkosten haben. Die Bemessung der Effizienz einer Apotheke an den abgegebenen Arzneimittelpackungen wird ökonomisch explizit als Kriterium verwendet. Diese Anforderungen der Heilberuflichkeit einerseits, der wirtschaftlichen Effizienz andererseits widersprechen sich jedoch offensichtlich.

 

Berufspolitisch wird aus dieser Lage mit Verweis auf die Freiberuflichkeit des Apothekers der Schluss gezogen, dass der einzelne Apotheker sich ethisch korrekt verhalten müsse. Entgegen aller Anreize sollen sich Apotheker heroisch an ihre Ethik halten. Diese Forderung ist unrealistisch, auch wenn man davon ausgehen kann, dass ein nicht geringer Anteil der Apothekerschaft jeden Tag mit hohem persönlichen Aufwand diesen Anforderungen versucht, gerecht zu werden. Allerdings muss das Plädoyer dahin gehen, möglichst allen Apothekern auch die Umsetzung der Priorisierung ethischer Handlungsweisen zu erleichtern, möchte man die flächendeckende und am Bedarf und den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte Arzneimittelversorgung sicherstellen. Die Aufgabe der Apotheken ist nicht, einen möglichst hohen Umsatz an Fertigarzneimitteln zu machen. Im Unterschied zum Einzelhandel allgemein geht mit einer Umsatzsteigerung immer jedenfalls die Möglichkeit der Missbrauchssteigerung einher. Zudem sind übliche Mechanismen der Umsatz- und Effizienzsteigerung wie mehr Selbstbedienung, weniger und geringer qualifiziertes Personal, Verringerung der Lagerhaltung oder Konzentration auf ein begrenztes Sortiment im Arzneimittelbereich im Interesse der Arzneimittelsicherheit untersagt. Umsatzorientierung muss deshalb zwangsläufig zu Abstrichen bei den heroischen Anforderungen führen – das gilt nicht nur für Einzelapotheker, sondern notwendig auch für etwaige Apothekenketten.

 

Anforderungen an eine Reprofessiona­lisierung durch Beratung

 

Doch aus der Entstehung des Prinzips originalverpackter Fertigarzneimittel ergibt sich nicht nur der Funktionsverlust der Apothekerrolle und die Beobachtung von Arzneimitteln als wirtschaftlich handelbare Industriewaren. Hinzu kommt außerdem eine neue Komplexität der Arzneimittel wie des Arzneischatzes insgesamt. Solange ein Apotheker persönlich die Identität und Qualität der von ihm abgegebenen Arzneimittel garantieren soll, muss er dazu auch faktisch in der Lage sein. Für die Apotheker-Arzneimittel bis Ende des 19. Jahrhunderts war diese Anforderung gegeben. Mit dem Prinzip des originalverpackten Fertigarzneimittels entfällt diese Bindung an die persönliche Überprüfbarkeit durch den Apotheker – Herstellung und Kontrolle sind nunmehr formalen Organisationen und ihren ineinandergreifenden Handlungsprogrammen überantwortet. Aufgrund neuer Wirkstoffe, Wirkstoffkombinationen, Arzneiformen und Herstellungsmöglichkeiten ist ein nicht unerheblicher Teil der Arzneimittel im üblichen Apothekenlabor nicht überprüfbar – ein Grund, weshalb die Apothekerschaft bereits in den 1950er-Jahren3 eine standeseigene Organisation zur jedenfalls stichprobenartigen Überprüfung von Fertigarzneimitteln ins Leben rief. Zugleich gewinnt die materia medica an Umfang. Denn nicht nur werden über neue Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen neue Arzneimittel geschaffen – auch über zunächst nicht-pharmazeutische Aspekte wie Packungsgröße, Hersteller oder schlicht der Preisgestaltung ergibt sich eine Vervielfältigung eigenständiger Fertigarzneimittel.

 

Hinzu kommt eine weitere Schwierigkeit: Die Unterscheidbarkeit von Arzneimitteln an sich wird durch mehrere Entwicklungen untergraben. Eine dieser Entwicklungen ist, dass zunehmend Produkte entstehen, die zwar keine Arzneimittel im engeren Sinne sind und diese Zuschreibung auch nicht für sich beanspruchen, die aber gleichwohl gesundheitsorientierte Zwecke zu erreichen versprechen. Dazu gehören einerseits Nahrungsergänzungsmittel und Functional Food, dazu gehört andererseits der diffuse Bereich der Lifestyle-Produkte mit arzneiähnlichen Implikationen. In diesen Fällen geht es nicht direkt um die Heilung einer Krankheit – wohl aber um Prävention oder das Ermöglichen besonderer Lebensstile.

 

Eine weitere Entwicklung, die eine Unterscheidbarkeit von Arzneimitteln voraussetzungsvoller macht, geht von dem Prinzip der Umverpackung selbst aus. Waren Apotheker-Arzneimittel dadurch erkennbar, dass sie aus den Händen des Apothekers kamen, so sind Fertigarzneimittel an ihrer Umverpackung erkennbar – eben deshalb ist eine Differenzierung der Endvertriebswege (Versandhandel) überhaupt prinzipiell möglich. Erkennbarkeit über die Umverpackung ermöglicht jedoch, dass typische Elemente einer Arzneimittel-Umverpackung bis an die Grenze der Legalität für das Marketing von Produkten verwendet werden, die nicht als Arzneimittel zugelassen sind. Wie hieß es doch so schön? – der »Scheiß des Monats«.

 

Angesichts dieser neuen Komplexität der Arzneimittel und ihrer zunehmend vo­raussetzungsvollen Erkennbarkeit ist eine individuelle Orientierungshilfe im Sinne von Arzneimittelsicherheit aber auch gesundheitlicher Gerechtigkeit geboten. Um diese Funktion eines »Lotsen« im Fertigarzneimittel-Dschungel zu erfüllen, ist die Apothekerrolle geradezu prädestiniert. Es liegt hier das persönliche und institutionelle Fachwissen vor, um einer derartigen Aufgabe gerecht zu werden; Apothekendichte und Zugänglichkeit von Apotheken ermöglichen eine flächen- und bevölkerungsschicht-übergreifende Bereitstellung dieser Expertise. Mit den Konzepten rund um clinical pharmacy und pharmaceutical care liegen auch erste Bemühungen um eine Institutionalisierung Arzneimittel-bezogener Beratungsleistungen vor.

 

Der Erfolg einer solchen Aufgabenerweiterung beziehungsweise Aufgabenumstellung der Apothekerrolle setzt jedoch voraus, dass Apotheker aus dem strukturellen Dilemma von Ethik und Monetik so weit wie möglich befreit werden. An die Stelle der nicht nur ethisch, sondern auch versorgungspolitisch bedenklichen Ausrichtung auf Umsatz, müssen deshalb Anreizmechanismen treten, die pharmazeutischen Wettbewerb ermöglichen. Die erste erforderliche Umstrukturierung in diese Richtung wäre, das Apothekenverdienst zumindest weitgehend von der abgegebenen Arzneimittelstückzahl zu lösen. Wenn ein langes Beratungsgespräch Arzneimittelmissbrauch verhindert, ist dies nicht ineffizient, sondern muss belohnt werden.

 

Die zwei wesentlichen Orientierungspunkte, die statt einer primär stückzahlorientierten Entlohnung für den Anreiz pharmazeutischen Wettbewerbs zu wählen sind, richten sich auf die aktuellen Kernleistungen der Apotheken. Die erste dieser Kernleistungen ist die Bereithaltung des gesamten Arzneischatzes für den medizinischen Notfall. Das sinnvolle »Effizienzkriterium« hierfür ist der Umfang der Notdienstbereitschaft. Eine Landapotheke, die an zwei von drei Tagen Dienstbereitschaft hat, ist im Hinblick auf Arzneimittelversorgung effizienter als eine Großstadt-Fußgängerzonen-Apotheke mit einer Nacht-dienstbereitschaft im Monat. Die zweite Kernleistung ist die pharmazeutische Beratung. Nicht die Abgabe eines Präparates, sondern das Stattfinden eines auf Gesundheitsaspekte oder Arzneimittelverwendung geführten Gesprächs ist der Mehrwert der Apotheke. Wenn sich Patienten in der Apotheke beraten lassen, das Arzneimittel aber im Internet kaufen, zeigt gerade dies, wo die Kerntätigkeit des Apothekers liegt.

 

Es stellt sich schließlich die Frage nach der Bringschuld: Sind es die Apotheker, die nachweisen müssen, dass pharmazeutische Beratung einen quantitativ messbaren Mehrwert leistet? Oder müssen erst die Anreizmechanismen so verändert werden, dass Apotheker in der Breite überhaupt in die Lage versetzt werden, die Priorität auf Beratung zu setzen, ohne betriebswirtschaftlich Selbstmord zu begehen? Die Antwort liegt wohl wie so oft dazwischen.

 

Vonseiten der Apotheker muss die Sensibilität für Verschiebungen und Herausforderungen aus dem pharmazeutischen Alltag kommen. Davon ausgehend gilt es, eine ergebnisoffene, unabhängige wissenschaftliche Erforschung des Beratungsalltags in Apotheken durchzuführen. Nur auf dieser Basis kann der Mehrwert der pharmazeutischen Leistungen beziffert und vor allem die Grundlagen dafür erarbeitet werden, wie die für pharmazeutische Leistungen der Apotheken bereits verfügbaren finanziellen Ressourcen auf das Kriterium pharmazeutischer Effizienz umgeschichtet werden können: Von Bemessung der Effizienz einer Apotheke an den abgegebenen Arzneimittelpackungen hin zur Bemessung des Nutzens der Informations- und Beratungsleistungen.

 

Staatlicherseits müssen die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass es sich für die Apotheken lohnt, auf Information und Beratung zu setzen. Die in Kürze zu erwartende öffentliche Diskussion über eine neue Apothekenbetriebsordnung bietet dazu eine gute Gelegenheit. Hier ist zu klären, welche strukturellen Voraussetzungen für die heilberufliche Tätigkeit der Information und Beratung in Apotheken als unabdingbar gelten. Sachliche, räumliche und personelle Voraussetzungen sind dabei vorzugeben – und die flächendeckende Erfüllung dieser Anforderungen rigide durchzusetzen. Es kann nicht angehen, dass manche Apotheken viel in wissenschaftlich fundierte und kommunikativ trainierte Beratung investieren sowie dies in einem Raumangebot umsetzen, das auf eine vertrauliche Beratungsatmosphäre setzt, wenn dies nicht von allen verlangt wird. Der Staat muss sich festlegen, wie er die verkammerte Apothekerschaft durch staatliche Überwachung darin unterstützt, diese Rahmenbedingungen durchzusetzen. Nicht zuletzt haben staatliche Stellen über die Forschungsförderung im Bereich der Versorgungsforschung die Möglichkeit zu nutzen, Apothekerschaft und unabhängige gesundheitswissenschaftliche Einrichtungen in der Erarbeitung der notwendigen wissenschaftlichen Grundlagen für eine Veränderung der finanziellen Anreize für die Apotheken zu fördern.

 

Ein Weiter-So ohne Verlagerung des Schwerpunktes des Pharmazeutischen auf Information und Beratung wird – so ist zu befürchten – nicht ausreichen, um die Entwicklung in Richtung einer Zweiklassen-Pharmazie und zugleich der Deprofessionalisierung des Apothekerberufs ausreichend entgegenzuwirken. /

1) Wolfgang Hartmann-Besche/Stackelberg, Hans-Magnus von (1987): Ethik – Monetik. Zur Steuerungsfunktion der Arzneimittelpreisverordnung. In: Pharmazeutische Zeitung Nr. 40, S. 2404 ff.

2) siehe ausführlicher auch Henkel, Anna (2010): Strukturwandel der Pharmakon-Kommunikation. Dissertation an der Universität Witten/Herdecke.

3) www.dapi.de/Historie.76.0.html

Anschrift der Verfasser:

Dr. Diss. Anna Henkel

Postdoktorandin am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung

Universität Bielefeld

anna.henkel(at)uni-bielefeld.de

 

Dr. Udo Puteanus

Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit Nordrhein-Westfalen

Inspektionen, Sozialpharmazie

Udo.Puteanus(at)liga.nrw.de

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