Pestwurz zur Migräneprophylaxe |
29.08.2005 00:00 Uhr |
von Hans-Christoph Diener, Essen
Meldungen über potenziell leberschädigende Wirkungen der Pestwurz führten zur Verunsicherung bei den Anwendern. Eine Nutzen-Risiko-Analyse dieses Präparats anhand zwei aktueller Studien mit Erwachsenen und einer offenen Studie mit Kindern kommt zu einer positiven Bewertung.
Leberschäden können durch zahlreiche Arzneimittel wie Analgetika (zum Beispiel Acetylsalicylsäure, Paracetamol), Antiarrhythmika, Antibiotika und eine Reihe anderer Substanzen hervorgerufen werden. Aber auch Verbindungen aus dem Pflanzenreich können dafür verantwortlich sein. Dazu zählen unter anderem die Pyrrolizidinalkaloide, die vor allem in Korbblütlern (Asteraceae) vorkommen.
Die traditionsreiche Heilpflanze Pestwurz (Petasites hybridus) gehört zu den Asteraceae und enthält diese Alkaloide. Daher führten zurückliegende Berichte über Hepatitisverdachtsfälle im Zusammenhang mit der Einnahme des Pestwurz-Spezialextrakts (Petadolex®) zu Verunsicherungen bei den Anwendern. Angesichts dieser Tatsache und zwei kürzlich veröffentlichten randomisierten Therapiestudien bei Erwachsenen sowie einer offenen Studie bei Kindern zur Migräneprophylaxe ist eine kurze Nutzen-Risiko-Analyse dieses Präparats angebracht.
Kein hepatotoxisches Risiko
Petadolex ist ein speziell patentierter Extrakt, der unter hohem Druck mittels CO2 aus dem Rhizom der Pestwurz gewonnen wird. Die im Extrakt enthaltenen Sesquiterpene vom Petasintyp werden für die pharmakologische Wirkung verantwortlich gemacht. Neben den Sesquiterpenen kommen in der Pflanze auch Pyrrolizidinalkaloide vor, die jedoch durch das Herstellungsverfahren so abgereichert werden, dass sie im Spezialextrakt nicht mehr nachweisbar sind. Ein Risiko durch Pyrrolizidinalkaloide ist folglich ausgeschlossen.
Petadolex wurde in Studien sehr gut vertragen. Im Vergleich zu Placebo klagte die Verumgruppe nur über signifikant häufigeres Aufstoßen. Unabhängig von Studien sind bis heute sechs Hepatitis-Verdachtsfälle im Zusammenhang mit der Einnahme gemeldet worden, darunter ein Fall einer schweren Leberschädigung mit Lebertransplantation. Bei insgesamt etwa 763.000 Anwendern (Stand 30. Juli 2004: Periodical Safety Update Report) ergeben diese sechs Fälle eine Inzidenz für Petadolex von 0,8 pro 100.000. Sie wurden von unabhängigen, ausgewiesenen Experten der Hepatologie und Histopathologie bewertet. Lediglich in zwei reversiblen Fällen stellten die Experten einen Zusammenhang mit der Petadolex-Einnahme als wahrscheinlich fest. Der Kausalzusammenhang der Leberschädigung/Transplantation mit der Einnahme ist zwar nicht auszuschließen, wurde aber von den Experten als eher unwahrscheinlich gewertet. Die ab April 2002 in der Gebrauchs- und Fachinformation empfohlene Transaminasenkontrolle führte zu keiner erhöhten Inzidenz von Meldungen über erhöhte Transaminasenwerte, sodass es sich bei den Hepatitisverdachtsfällen um plötzlich auftretende Ereignisse unbekannter Genese handelt.
Pharmakologisch wirkt Petadolex über die Hemmung der Lipoxygenase und Cyclooxygenase entzündungshemmend. Zum Vergleich weisen nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen oder Diclofenac und Paracetamol höhere Inzidenzraten an schwer wiegenden Hepatitis-Fällen auf. Laut Teschke (1) liegt die Inzidenz einer Hepatitis bei der Einnahme von Ibuprofen bei 1,6 pro 100.000 und von Diclofenac bei 3,8 pro 100.000. Eine Untersuchung an 625 307 Anwendern in England und Wales fand eine Inzidenz einer Hepatitis bei der Einnahme von NSAIDs von 3,7 pro 100.000 (2). In der kanadischen Provinz Saskatchewan mit 228.392 Anwendern wurde eine Inzidenz von 7,0 pro 100.000 dokumentiert (3).
Petadolex wurde als Migräneprophylaktikum in die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und in die im September erscheinende neue Version der Leitlinie der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) aufgenommen. Auch die Aufnahme in die Leitlinien der Europäischen Neurologischen Fachgesellschaft ist verabschiedet.
Wirksam und sicher
Zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von Petadolex bei der Migräneprophylaxe liegen zwei randomisierte placebokontrollierte Studien mit über 300 Erwachsenen sowie eine offene Studie mit mehr als 100 Kindern vor (4, 5, 6). In einer randomisierten, placebokontrollierten monozentrischen Doppelblindstudie wurden 60 Migränepatienten mit oder ohne Aura im Alter zwischen 18 und 60 Jahren über zwölf Wochen mit zweimal täglich 50 mg Petadolex oder Placebo behandelt (4). Die Anzahl von Migräneattacken konnte maximal um 52 Prozent gesenkt werden. Nach zweimonatiger Behandlung reduzierte sich bei zwei Drittel der Patienten (66 Prozent) in der Verumgruppe versus 22 Prozent in der Placebogruppe die Anzahl der Migräneattacken um mindestens die Hälfte. Darüber hinaus konnte die Anzahl der Patienten, die zusätzlich Akutmittel einnahmen, unter Petadolex um mehr als die Hälfte gesenkt werden (von 44 Prozent auf 18 Prozent).
Eine doppelblinde randomisierte placebokontrollierte multizentrische dreiarmige Parallelgruppenstudie wurde in Deutschland und den USA mit 245 Patienten im Alter von 18 bis 65 Jahren durchgeführt (5). Die Behandlung der Patienten erfolgte über vier Monate mit entweder zweimal täglich 50 mg oder 75 mg CO2-Spezialextrakt oder Placebo. Der maximale Behandlungserfolg zeigte sich im dritten Monat bei der Gabe von zweimal täglich 75 mg Pestwurz-Extrakt mit einer Reduktion der Migräneanfälle von 58 Prozent. Dieser Wert ist gegenüber Placebo (28 Prozent) statistisch signifikant. Ebenfalls nach drei Monaten betrug die Zahl der Therapieresponder (Migräneanfälle um mindestens 50 Prozent reduziert) in der zweimal 75 mg Gruppe 71 Prozent und am Ende der Behandlung 68 Prozent.
29 Kinder im Alter zwischen sechs und neun Jahren und 79 Jugendliche zwischen zehn und 17 Jahren mit schwerer Migräne nahmen an einer viermonatigen prospektiven, offenen Studie in 13 Arztpraxen und fünf Kinderkliniken teil (6). Die Dosierung erfolgte je nach Alter und lag zwischen täglich zweimal 25 mg oder dreimal 50 mg Petadolex. Nach der viermonatigen Behandlung mit dem Pestwurz-Spezialextrakt sank die Anfallshäufigkeit von 9,4 Prozent (6- bis 9-Jährige) beziehungsweise 9,7 Prozent (10- bis 17-Jährige) auf 4,0 Prozent (6- bis 9-Jährige) beziehungsweise 5,8 Prozent (10- bis 17-Jährige). Insgesamt war bei 85,7 Prozent der 6- bis 9-Jährigen und bei 74,1 Prozent der 10- bis 17-Jährigen die Zahl der monatlichen Migräneattacken um mindestens 50 Prozent reduziert.
Fazit Die Wirksamkeit, belegt in zwei randomisierten und kontrollierten Studien und einer offenen Studie, und die gute Verträglichkeit sowie die geringe Inzidenz der Hepatitisverdachtsfälle ergeben eine positive Nutzen-Risiko-Bewertung für den Pestwurz-Spezialextrakt Petadolex®.
Eine Analyse verschiedener publizierter Studien zeigt, dass die Wirksamkeit des Pestwurz-Spezialextrakts vergleichbar mit der anderer synthetischer Migräneprophylaktika ist (7, 8, 9). In sehr seltenen Fällen kann es zu einer Erhöhung der Leberwerte kommen, die wahrscheinlich auch durch regelmäßige Kontrollen der Laborwerte nicht antizipiert werden kann. Ein hepatotoxisches Risiko durch Pyrrolizidinalkaloide ist durch das Herstellungsverfahren ausgeschlossen.
Literatur
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. Hans-Christoph Diener
Universitätsklinik für Neurologie
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