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Genussmittel und Arzneistoff |
22.01.2007 11:16 Uhr |
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Genussmittel und Arzneistoff
Von Karen Nieber, Sandra Felke und Anke Schmalz
Coffein, das 1820 von Runge erstmals isoliert wurde, ist ein Purin-Alkaloid, das in Kaffee, Tee, Cola, Mate, Guarana, Energy Drinks und Schokolade enthalten ist. Es ist weltweit die am häufigsten konsumierte pharmakologisch aktive Substanz. Seit einigen Jahren ist es Gegenstand intensiver Forschungen. Dabei zeigt sich, dass Coffein vielfältige Wirkungen hat.
»Ich brauche erst einmal eine Tasse Kaffee«, stellen viele Menschen allmorgendlich fest. Ohne den »Coffein-Schock« am Morgen fällt es ihnen schwer, in den Tag zu starten. Interessant, da Coffein doch ein Nervengift ist und sehr hohe Dosen beim Menschen tödlich wirken können. Die orale LD50 für eine Ratte liegt bei 381 mg/kg Körpergewicht. Bei Menschen liegt die letale Dosis bei ungefähr 10 g Coffein, was etwa 100 Tassen Kaffee entspricht (1).
Coffein regt in mäßiger Konzentration das Nervensystem an und beschleunigt Herztätigkeit, Stoffwechsel und Atmung. Blutdruck und Körpertemperatur steigen an. Die Blutgefäße im Gehirn verengen sich etwas, während sie sich in den Eingeweiden eher weiten. Dies führt in der Summe zu einem reduzierten Müdigkeits- und allgemeinen Wärmegefühl. Nach dem Genuss von Kaffee ist auch eine Stimulation des Harndrangs zu beobachten, jedoch ohne nennenswerten Anstieg der Tagesgesamt-Harnmenge (2). Bei fortgesetztem Konsum von mehr als acht Tassen täglich kann sich eine allmähliche Gewöhnung ergeben. Entzugserscheinungen in Form von Kopfschmerzen, Nervosität, Konzentrationsstörungen und Reizbarkeit sind dann möglich. Höhere Coffeindosen ab etwa 300 mg verursachen ein Zittern der Hände sowie erhöhte Nervosität, eventuell sogar verbunden mit leichten Herzbeschwerden.
Der Gehalt an natürlichem Coffein ist in den einzelnen Produkten sehr unterschiedlich (Tabelle 1). Eine Tasse Kaffee enthält ungefähr 50 bis 100 mg, eine kleine Tasse Espresso circa 40 mg Coffein. In einer Tasse Tee können je nach Zubereitungsart bis zu 50 mg enthalten sein. Das im Tee vorkommende Coffein nannte man früher Teein, chemisch ist es jedoch exakt derselbe Stoff wie im Kaffee. Guarana, eine aus dem Amazonasbecken stammende Lianenart, die zu den Seifenbaumgewächsen gehört, enthält 2300 bis 4000 mg pro 100 g. Die anregende Substanz wird jedoch im Gegensatz zu dem im Kaffee enthaltenen Coffein erst nach und nach freigesetzt; die Wirkung hält somit vier bis sechs Stunden an. Selbst Kakao hat mit ungefähr 6 mg pro Tasse ein wenig Coffein, aber hauptsächlich Theobromin, ein 3,7-Dimethylxanthin mit ähnlichen Eigenschaften wie Coffein. In der Schokolade findet sich neben Theobromin und anderen anregenden Substanzen ebenfalls Coffein. Sogenannten Wellness-Produkten wird häufig natürliches Coffein, gewonnen bei der Entcoffeinierung, als Guarana-Extrakt zugesetzt.
Lebensmittel | Durchschnitt (mg) | Streubereich |
---|---|---|
Kaffee (Tasse à 150 ml) | 100 | 50 bis 150 |
Tee (Tasse à 150 ml) | 50 | 25 bis 90 |
Kakao (Tasse à 150 ml) | 5 | 2 bis 20 |
Halbbitterschokolade (100 g) | 90 | 50 bis 110 |
Vollmilchschokolade (100 g) | 15 | 3 bis 35 |
Cola (333 ml) | 40 | 35 bis 55 |
Die Kaffeepflanze wurde erstmals 1558 in medizinischen und botanischen Werken Europas erwähnt. Angeregt durch den Kaffeeliebhaber Johann Wolfgang von Goethe untersuchte der Apotheker und Chemiker Friedlieb Ferdinand Runge Kaffeebohnen, um die wirksame Substanz zu finden. 1820 gelang es Runge, erstmals reines Coffein aus Kaffeebohnen zu isolieren. Unabhängig davon isolierten 1821 französische Gelehrte ebenfalls Coffein.
1832 bestimmten Pfaff und Liebig mithilfe von Verbrennungsdaten die Summenformel C8H10N4O2. Erst 1875 postulierte Medicus, dass es sich bei Coffein um 1,3,7-Trimethylxanthin handeln könnte. Die vorerst nur angenommene Struktur konnte Emil Fischer 1895 durch die erste Vollsynthese bestätigen.
Abbildung 1: Die Xanthinderivate Coffein, Theobromin und Theophyllin
Coffein ist ein Xanthinderivat (1,3,7-Trimethylxanthin), das strukturelle Ähnlichkeit mit Theophyllin und Theobromin hat (Abbildung 1). Die Grundstruktur ist ein in Position 2 und 6 oxidiertes und 3-fach N-methyliertes Purin. Es handelt es sich um ein geruchloses, weißes Kristallpulver oder farblose Kristalle (hexagonale Prismen) von bitterem Geschmack. Die Substanz löst sich in Wasser und Chloroform gut, in Alkoholen nur mäßig, in Ether praktisch nicht. Bemerkenswert ist die ausgezeichnete Löslichkeit in siedendem Wasser. Während 100 ml Wasser bei Raumtemperatur nur 2 g Coffein lösen, sind es am Siedepunkt etwa 70 g. Coffein bildet mit Säuren in Wasser leicht lösliche Salze. In wässriger Lösung reagiert es neutral bis schwach basisch.
Coffein wird nach oraler Aufnahme schnell und vollständig aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert und im gesamten Körper verteilt. Die Plasmahalbwertszeit liegt bei drei bis fünf Stunden, kann jedoch insbesondere zusammen mit Alkohol ansteigen. Coffein ist weltweit die am häufigsten konsumierte pharmakologisch aktive Substanz. Die Hauptwirkungen (Tabelle 2) sind:
Anregung des Zentralnervensystems,
Verstärkung der Herztätigkeit und Pulssteigerung,
Verbesserung der Organdurchblutung,
Bronchodilatation,
Anregung der Harnbildung und der Darmperistaltik.
Obwohl Coffein ein relativ breites Wirkungsspektrum besitzt, wird es hauptsächlich als Stimulans genutzt. In Dosierungen ab etwa 85 mg/60 kg Körpergewicht, wie sie typischerweise beim Genussmittelkonsum erreicht werden, wirkt es anregend auf die Psyche, steigert Antrieb und Konzentration und beseitigt Müdigkeit. In diesen niedrigen Dosen treten fast ausschließlich die zentral erregenden Wirkungen des Coffeins hervor, es werden vor allem psychische Grundfunktionen wie Antrieb und Stimmung beeinflusst. Durch höhere Dosen kommt es auch zu einer Anregung von Atemzentrum und Kreislauf. Ab 150 bis 200 mg/60 kg Körpergewicht treten deutlich erkennbare erregende Wirkungen auf.
Wirkung | Coffein | Theophyllin | Theobromin |
---|---|---|---|
zentrale Erregung | Effekt stark ausgeprägt | Effekt mittel ausgeprägt | |
Stimulation des Herzens | Effekt wenig ausgeprägt | Effekt stark ausgeprägt | Effekt mittel ausgeprägt |
Relaxation glatter Muskulatur | Effekt mittel ausgeprägt | Effekt stark ausgeprägt | Effekt stark ausgeprägt |
Stimulation der Skelettmuskulatur | Effekt stark ausgeprägt | Effekt mittel ausgeprägt | Effekt wenig ausgeprägt |
Steigerung der Diurese | Effekt wenig ausgeprägt | Effekt stark ausgeprägt | Effekt mittel ausgeprägt |
Während höhere Zufuhrmengen (300 mg/60 kg) auch die motorischen Zentren beeinflussen, wirkt Coffein in den angegebenen geringen Mengen (85 bis 100 mg/60 kg) hauptsächlich auf die sensorischen Teile der Hirnrinde. Aufmerksamkeit und Konzentrationsvermögen werden erhöht; mit der Beseitigung von Ermüdung verringert sich das Schlafbedürfnis. Die Stimmung kann sich bis zu leichter Euphorie steigern. Bei langfristiger Aufnahme von mehr als 500 mg/60 kg täglich können Angstgefühle, Schlafstörungen, Bluthochdruck sowie Magen-Darm-Beschwerden auftreten.
Zu den peripheren Effekten zählen die Zunahme der Diurese und die Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System. Durch Coffein wird die Niere besser durchblutet, da das Herzminutenvolumen erhöht und die Nierengefäße erweitert werden. Die Wirkungen auf den Kreislauf haben mehrere Ursachen. Coffein erweitert die Koronargefäße und stimuliert die Ganglien des Reizleitungssystems. Dadurch wird der Herzmuskel angeregt und steigert seine Pumparbeit. Kurzfristig verursacht dies eine stärkere Blutzirkulation und erhöht den Blutdruck. Aber dies stellt kein höheres Risiko für koronare Herzkrankheiten und Herzinfarkte dar, da für einen permanenten Blutdruckanstieg Coffein, wie bisher häufig angenommen, nicht verantwortlich ist.
Antagonist an Adenosin-Rezeptoren
Coffein greift auf molekularer Ebene in verschiedene Zellvorgänge ein; daraus resultiert das breite Wirkspektrum. Die größte Bedeutung hat die Interaktion mit Adenosin-Rezeptoren.
Der Neuromodulator Adenosin, ein Abbauprodukt von ATP, vermittelt vielfältige Wirkungen in zentralen und peripheren Geweben. Adenosin aktiviert vier Rezeptorsubtypen: A1-, A2A-, A2B- und A3-Rezeptoren. Sie gehören zur Superfamilie der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren und sind durch sieben hydrophobe transmembranäre Segmente gekennzeichnet. Die Signaltransduktion erfolgt über eine Aktivierung heterodimerer G-Proteine und nachfolgende Interaktionen mit verschiedenen Effektorsystemen (3). Weit verbreitet im Gehirn und in der Peripherie sind die inhibitorischen A1-Rezeptoren und die stimulierenden A2A-Rezeptoren.
Coffein ähnelt chemisch dem Adenosin und besetzt dieselben Rezeptoren. Als Antagonist induziert es jedoch selbst keine Wirkung, sondern verhindert den Zutritt von Adenosin zum Rezeptor und schwächt so dosisabhängig dessen Wirkungen ab oder hebt sie vollständig auf (Abbildung 2).
Abbildung 2: Hemmung der Adenosin-Rezeptoren im peripheren und zentralen Nervengewebe
Die meisten pharmakologischen Wirkungen von Coffein resultieren aus einer Blockade der Adenosin-Rezeptoren (4). Adenosin drosselt im Gehirn die Freisetzung von bestimmten Neurotransmittern, die in den Synapsen für die Weiterleitung eines Nervenreizes zuständig sind. Besondere Bedeutung hat die Hemmung der Freisetzung von Glutamat und Dopamin. Da Coffein einen Großteil der Adenosin-Rezeptoren besetzt, wird diese Hemmung teilweise aufgehoben. Es kommt zur vermehrten Ausschüttung der Transmitter, wodurch die Erregungsweiterleitung von Nervenimpulsen erleichtert wird. Vor allem auf dieser Wirkkomponente dürfte die zentral erregende Wirkung des Coffeins beruhen.
Phosphodiesterasen gehemmt
In höheren Dosen verhindert Coffein den enzymatischen Abbau von cyclischem Adenosin-3',5'-monophosphat (cAMP). Dieses spielt im menschlichen Organismus als Second Messenger eine wichtige Rolle bei der Regulation des Zellstoffwechsels und der Kontraktilität der Muskulatur.
Coffein hemmt Enzyme (spezifische Phosphodiesterasen), die für den Abbau von cyclischem zu acyclischem AMP verantwortlich sind. Die Einschränkung des cAMP-Abbaus lässt dessen Konzentration in den Zellen ansteigen, sodass die cAMP-verursachte Transmitterausschüttung länger anhält. Coffein verlängert so auch die Dauer der Adrenalinwirkung. Dies erklärt, warum die Wirkung von Coffein nicht durch α-Blocker gehemmt werden kann, und dass es zu überadditiven Wirkungen bei gemeinsamer Einnahme mit Katecholaminen kommt.
Adjuvant als Analgetikum
Kopfschmerzen vom Spannungstyp und Migräne mit und ohne Aura sind weltweit sehr häufig. Fast jeder Betroffene nutzt Medikamente zur Schmerzbehandlung. Mehr als 80 Prozent der Patienten mit Kopfschmerzen vom Spannungstyp und etwa zwei Drittel der Migränepatienten konsultieren nicht den Arzt, sondern behandeln die Beschwerden mit apothekenpflichtigen Präparaten selbst. Sie nutzen unter anderem Acetylsalicylsäure (ASS), Ibuprofen oder andere nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR). Der Wirkmechanismus dieser nicht-opioiden Schmerzmittel beruht im Wesentlichen auf einer Hemmung der Cyclooxygenasen-1 und -2, die für die Bildung von Prostaglandinen zuständig sind. Die Prostaglandine spielen bei der Entstehung von Schmerzen, Fieber und entzündlichen Prozessen eine wichtige Rolle. Durch die Hemmung der Cyclooxygenasen (COX) kommt es zu einer verminderten Bildung von Prostaglandinen und damit zur schmerzlindernden, fiebersenkenden und entzündungshemmenden Wirkung.
Häufig werden auch fixe Kombinationen, zum Beispiel ASS und Paracetamol mit Coffein, bei Kopfschmerzen vom Spannungstyp und bei leichten bis mittelschweren Migräneattacken verwendet. Diese Kombination hat sich in klinischen Studien als besonders wirksam erwiesen.
Eine multizentrische klinische Studie in Deutschland mit 1743 Patienten zeigte, dass Migräne und Kopfschmerzen vom Spannungstyp wirksam und gut verträglich mit zwei Tabletten einer fixen Kombination aus 250 mg ASS, 200 mg Paracetamol und 50 mg Coffein behandelt werden können. Die Kombination war statistisch signifikant wirksamer als gleich große Mengen der Einzelsubstanzen oder die Zweierkombination aus Paracetamol und ASS (5). Eine in den USA durchgeführte Studie verglich die Wirkung der Kombination aus 250 mg ASS, 250 mg Paracetamol und 65 mg Coffein (zwei Tabletten) mit der von 400 mg Ibuprofen bei akuter Migräne. Auch hier war das Kombipräparat überlegen (6). Ebenso bestätigte eine Studie mit diesem Präparat versus 50 mg Sumatriptan die gute Wirksamkeit der Coffein-haltigen Kombination zur Behandlung der Migräne (7). Das Ergebnis ist besonders bedeutend für Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, da hier Triptane kontraindiziert sind.
In den drei zitierten Studien wurden Fertigarzneimittel mit ASS, Paracetamol und Coffein, aber unterschiedlichen Mengen von Coffein (und Paracetamol) verwendet. Bei der deutschen Studie wurden zwei Tabletten mit je 50 mg Coffein eingesetzt, während bei den beiden Studien in den USA zwei Tabletten mit je 65 mg Coffein verwendet wurden. Eine Betrachtung der pharmakokinetischen (Bioverfügbarkeit 100 Prozent, Verteilungsvolumen 0,7 l/kg) und pharmakodynamischen Werte (IC50-Werte (8)) zeigt, dass 50 mg Coffein ausreichen, um in vitro die COX zu hemmen (IC50 42,5 µM) und den Adenosin-A1-Rezeptor zu blockieren (IC50 107 µM).
Coffein ist ein adjuvantes Analgetikum (9). Daher beschäftigten sich verschiedene Arbeitsgruppen in den letzten Jahren mit dessen Wirkmechanismen im Schmerzgeschehen. Untersuchungen an Versuchstieren und Zellkulturen sprechen dafür, dass Coffein verschiedene biochemische Mechanismen beeinflusst, die eine analgetische Wirkung hervorrufen können. Diese multifaktorielle Wirkung ist bedeutungsvoll, da die Migräne heute als Erkrankung mit neurogenen und vaskulären Komponenten angesehen wird.
Zellbiologische Untersuchungen an Microglia erbrachten den Nachweis, dass Coffein wie ASS die Prostaglandin-Synthese blockiert, allerdings nicht durch Hemmung der Aktivität der Cyclooxygenasen, sondern durch Hemmung der Neusynthese der COX-2 (8). Es handelt sich also um einen anderen Angriffsort in der Schmerzkaskade.
Wie bereits beschrieben, ist Coffein ein Antagonist an den Adenosin-Rezeptoren. Dadurch könnte es die schmerzstimulierende Wirkung von Adenosin durch Aktivierung der Adenosin-A2A-Rezeptoren auf spinaler Ebene unterbinden. Allerdings konnte nach lokaler Applikation kein antinozizeptiver Effekt nachgewiesen werden, da Coffein gleichermaßen die schmerzstimulierenden A2A- und die schmerzhemmenden A1-Rezeptoren blockiert (10). Eine antinozizeptive Wirkung wird jedoch supraspinal durch Blockade von präsynaptischen Adenosin-Rezeptoren erreicht (siehe Abbildung 2).
Ein weiterer Mechanismus, der möglicherweise zur Wirksamkeit von Coffein beiträgt, ist die Modulation des dopaminergen/adrenergen Systems. Coffein verstärkt den Turnover von Noradrenalin in verschiedenen Hirnregionen. Diese Wirkung kann durch Blockade hemmender nervaler Einflüsse an Neuronen im Locus coeruleus hervorgerufen werden oder auf der Blockade der Adenosin-A1-Rezeptoren an noradrenergen Neuronen beruhen. Die Beteiligung dieses Mechanismus an der schmerzhemmenden Wirkung wurde kürzlich in vitro gezeigt. Die Kombination aus ASS, Paracetamol und Coffein hemmte die Dopaminfreisetzung an Striatumschnitten der Ratte, während gleichzeitig die Noradrenalinfreisetzung verstärkt wurde. Die Modulation des katecholaminergen Systems im Striatum könnte zur verstärkten analgetischen Wirkung der Kombination aus ASS, Paracetamol und Coffein beitragen (11).
Veränderungen des zerebralen Blutflusses können direkt durch die Xenon-Clearance oder indirekt durch Messung der mittleren arteriellen Fließgeschwindigkeit mit der transcranealen Doppler-Technik erfasst werden. Vergleichende Untersuchungen hinsichtlich Coffein-induzierter Veränderungen des zerebralen Blutflusses und der mittleren zerebralen Fließgeschwindigkeit zeigten, dass Coffein den Durchmesser zerebraler Gefäße und dadurch den zerebralen Blutfluss und die Fließgeschwindigkeit vermindert (12). Seine analgetische Wirkung bei vasomotorisch bedingten Kopfschmerzen wird zum Teil darauf zurückgeführt.
Unabhängig von den zellbiologisch-pharmakodynamischen Wirkmechanismen gibt es Hinweise, dass Coffein die Resorptionsgeschwindigkeit von Paracetamol (13) und die Bioverfügbarkeit von ASS (14) nach oraler Einnahme erhöht.
Die in Zellkulturmodellen und tierexperimentellen Untersuchungen erhobenen Befunde können als experimentelle Basis zum Verständnis der in klinischen Studien gezeigten verbesserten Wirkung der Kombination nicht-opioider Schmerzmittel mit Coffein gegenüber den Monosubstanzen ASS und Paracetamol (5) oder Ibuprofen (6) herangezogen werden. Inwieweit diese oder weitere Wirkmechanismen des Coffeins in der Schmerzlinderung beim Menschen eine Rolle spielen, muss noch geklärt werden.
Coffein ist kein Suchtmittel
Viele Menschen nehmen regelmäßig Coffein in Getränken zu sich. Dabei kann sich eine Toleranz ausbilden. Daher wurde diskutiert, ob Coffein ein Suchtmittel ist oder nicht. Eine amerikanische Expertengruppe zeigte, dass das Abhängigkeitspotenzial so gering ist, dass es bei der Einnahme der in Lebensmitteln üblichen Dosen keine Rolle spielt (15). Darüber hinaus hat Coffein nicht die charakteristischen Eigenschaften von Abhängigkeit induzierenden Substanzen. So führt es in verschiedenen Dosen nicht zur Stimulation des dopaminergen Stoffwechsels im Belohnungssystem, was ein typisches Charakteristikum suchterzeugender Stoffe ist (Abbildung 3). Nur sehr hohe Konzentrationen bewirkten eine Zunahme der Aktivität in Hirnbereichen, die an Fortbewegung, Stimmung und Schlaf beteiligt sind. Auch bei diesen Mengen wurde keine messbare zusätzliche Aktivität im Belohnungssystem nachgewiesen. Die Ergebnisse sprechen klar gegen die Annahme, Coffein würde zur Abhängigkeit führen (16).
Abbildung 3: Das Belohnungssystem im ZNS ist maßgeblich beteiligt an Freude und positiver Verstärkung, aber auch an der Entstehung von Sucht; Coffein hat hier keinen Einfluss.
Unumstritten ist, dass nach plötzlichem und vollständigem Absetzen, insbesondere nach vorangegangenem starken und lang andauerndem regelmäßigen Coffeinkonsum Symptome wie Kopfschmerzen, zittrige Hände und Blutdruckschwankungen auftreten können. Diese treten mit einer Verzögerung von etwa 24 bis 48 Stunden auf, sind kurzzeitig und vermutlich durch eine Wirkung an den Adenosin-Rezeptoren zu erklären.
Ein mögliches Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial von Coffein wurde von einer internationalen Expertengruppe im Rahmen der Vorbereitungen auf das medizinische Standardwerk DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 4th edition) und die 10. Auflage des internationalen Diagnoseschlüssels ICD (International Classification of Diseases, 10th edition) analysiert. Die Experten bezogen alle zur Verfügung stehenden Daten mit ein, fanden aber keine Notwendigkeit, im DSM-IV oder ICD-10 vor einem »Coffein-Missbrauch« oder einer »Coffein-Abhängigkeit« zu warnen (17).
Intensiv wurde auch untersucht, ob Coffein-haltige Analgetikakombinationen zu einem Medikamentenübergebrauch führen. Im Jahr 2000 kam eine international besetzte Expertengruppe auf der Grundlage umfangreicher publizierter Daten zu dem Schluss, dass Coffein in Analgetika keinen vermehrten oder missbräuchlichen Schmerzmittelkonsum verursacht oder unterhält. Es fanden sich keine Hinweise, dass Coffein-haltige Schmerzmittel häufiger zu medikamentenbedingten Kopfschmerzen führen als Monopräparate (3). Auch die Aufbereitungskommission B3 Neurologie/Psychiatrie vertritt in ihren Monografien zur Kombination ASS und Paracetamol mit Coffein die Auffassung, dass es keine Evidenz für ein erhöhtes Abhängigkeitspotenzial durch Coffein in Analgetika gibt (18, 19).
Neue Forschungen
Neue Forschungen eröffnen möglicherweise künftig weitere Einsatzgebiete für Coffein. Interessant erscheint die zelluläre Interaktion von Coffein als Antagonist am Adenosin-A2A- und am Dopaminrezeptor.
Das dopaminerge System spielt bei der Ausbildung der Schizophrenie und des Morbus Parkinson eine entscheidende Rolle. Tierexperimentelle Untersuchungen weisen darauf hin, dass Coffein als Antagonist am Adenosin-A2A-Rezeptor die therapeutische Wirkung von Neuroleptika und Antiparkinsonmitteln beeinflussen kann. Amerikanische Wissenschaftler zeigten in epidemiologischen Studien, dass Kaffeegenuss bei männlichen Personen mit einem verminderten Risiko für Morbus Parkinson einhergeht. Dies beruhe nicht auf einer Interaktion mit dem dopaminergen System, sondern stehe in Zusammenhang mit der Adenosin-A2A-antagonistischen Wirkung, vermuten die Forscher.
Coffein und vor allem selektive Antagonisten am Adenosin-A2A-Rezeptor wirken neuroprotektiv und verhindern die Degeneration von dopaminergen Neuronen (20). Substanzen aus der Gruppe der A2A-Antagonisten, zum Beispiel Istradefyllin (Kyowa Pharmaceuticals), befinden sich als Kandidaten einer neuen Wirkstoffklasse zur Behandlung des Morbus Parkinson in klinischer Entwicklung.
Auch hinsichtlich einer protektiven Wirkung bei Leberschäden könnte Coffein als Antagonist am Adenosin-A2A-Rezeptor an Bedeutung gewinnen. Besonders gefährdet für Leberschäden sind Alkoholiker, Patienten mit Hepatitis B und C, Übergewichtige sowie Menschen mit Diabetes oder erhöhten Leberwerten. Je höher der Kaffeekonsum, desto besser ist die Leber vor Schadeffekten geschützt, ergab eine amerikanische Studie mit 9849 Personen. Konsumierten Patienten mit erhöhtem Risiko für Leberschäden täglich mehr als zwei Tassen Kaffee, verminderte sich das Risiko für eine Leberschädigung im Vergleich zu Patienten, die keinen Kaffee tranken (21). Wie dieser schützende Effekt zustande kommt, kann bisher nur vermutet werden. Aktuelle Forschungen zeigten, dass Coffein sowie ein selektiver Antagonist am Adenosin-A2A-Rezeptor das Ausmaß der hepatischen Fibrose bei Mäusen verminderten. Die Autoren diskutieren die protektive Wirkung von Coffein und die hepatischen Adenosin-A2A-Rezeptoren als neues therapeutisches Zielmolekül für die Behandlung oder Prävention der Leberzirrhose (22).
Fazit
Coffein ist ein adjuvantes Analgetikum. Die Kombination mit ASS und Paracetamol lindert Schmerzen bei Migräne und Kopfschmerzen vom Spannungstyp schneller und stärker als die Einzelsubstanzen. Die Wirkung des Coffeins kann durch einen synergistischen Effekt zu ASS bei der Hemmung der COX bedingt sein. Ein weiterer Wirkungsmechanismus von Coffein ist der Antagonismus an den Adenosin-Rezeptoren. Dieser kann ebenfalls zu der schmerzlindernden Wirkung beitragen.
Tierexperimentelle Untersuchungen liefern keinen Hinweis, dass Coffein in therapeutischen Dosen das Belohnungssystem stimuliert, eine Voraussetzung für die Induktion einer Abhängigkeit. Zukünftig wird Coffein nicht nur in der Schmerztherapie Bedeutung haben. Es gibt eine Vielzahl von experimentellen Befunden, die ein therapeutisches Potenzial bei anderen Erkrankungen zeigen.
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Karen Nieber studierte an der Technischen Hochschule in Magdeburg. Nach dem Diplom arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Themenleiterin am Institut für Wirkstoffforschung der Akademie der Wissenschaften und am Forschungsinstitut für Lungenkrankheiten und Tuberkulose in Berlin (Ost). 1981 wurde sie zum Dr. rer. nat. promoviert und erhielt 1990 die Promotion B zum Dr. sc. nat. für das Fachgebiet „Experimentelle Biomedizin”. Von 1991 bis 1995 war sie wissenschaftliche Angestellte am Pharmakologischen Institut der Universität Freiburg. Sie habilitierte sich 1994 im Fach Pharmakologie und Toxikologie und wurde zur Privatdozentin ernannt. 1995 folgte sie einem Ruf auf den Lehrstuhl Pharmakologie für Naturwissenschaftler am Institut für Pharmazie der Universität Leipzig. Sie ist seit 2002 geschäftsführende Direktorin des Instituts für Pharmazie. Zu ihren Arbeitsgebieten zählen Untersuchungen zur protektiven Rolle von Adenosin im ZNS und im Gastrointestinalsystem.
Sandra Felke studierte nach ihrer Ausbildung als Pharmazeutisch-kaufmännische Assistentin (PKA) Pharmazie am Institut für Pharmazie der Universität Leipzig. Sie absolvierte das Wahlpflichtfach am Lehrstuhl Pharmakologie für Naturwissenschaftler und fertigte eine Belegarbeit zur Wirkungen des Coffeins an.
Anke Schmalz studierte nach ihrer Ausbildung als Pharmazeutisch-technische Assistentin (PTA) Pharmazie am Institut für Pharmazie der Universität Leipzig. Sie absolvierte das Wahlpflichtfach am Lehrstuhl Pharmakologie für Naturwissenschaftler und fertigte eine Belegarbeit zur Wirkungen des Coffeins an.
Für die Verfasserinnen:
Professor Dr. Karen Nieber
Universität Leipzig
Institut für Pharmazie, Pharmakologie für Naturwissenschaftler
Talstraße 33
04103 Leipzig
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