Das Antiepileptikum Oxcarbazepin |
22.07.2002 00:00 Uhr |
von Thilo Bertsche und Martin Schulz, Eschborn*)
Oxcarbazepin (Timox®, Trileptal®) ist ein Derivat des Carbamazepins (Tegretal® u.a.), dem Goldstandard bei fokalen epileptischen Anfällen. Für dieses Indikationsgebiet ist auch Oxcarbazepin seit 1. März 2000 in Deutschland zugelassen. Im Gegensatz zu Carbamazepin soll Oxcarbazepin jedoch eine geringere Tendenz zu Interaktionen und Nebenwirkungen aufweisen. Damit ist es eine interessante Option besonders bei Patienten mit Add-on-Medikation oder bei intolerablen Nebenwirkungen.
*) unter Mitarbeit von Birgit Koch, Hartmut Morck, Rolf Thesen und Petra Zagermann-Muncke
Einer von 20 Menschen erleidet zumindest einmal im Leben einen epileptischen Anfall. Es kommt zu Störungen höherer Hirnfunktionen, Bewusstseinseinschränkungen, abnormen sensorischen oder psychischen Empfindungen, motorischen Symptomen und Krämpfen. Pathophysiologisch kann ein solcher Anfall als klinische Manifestation exzessiver, hypersynchroner Entladungen von Nervenzellen des cerebralen Cortex beschrieben werden. Ein solcher Anfall kann auch außerhalb einer epileptischen Erkrankung auftreten, ausgelöst zum Beispiel durch Schlafentzug, Fieber oder toxische Substanzen. Sich wiederholende, nicht provozierte epileptische Anfälle werden unter dem Begriff Epilepsie zusammengefasst.
Die medikamentöse Therapie spricht je nach diagnostischer Klassifizierung der epileptischen Erkrankung sehr unterschiedlich an. Die meisten Patienten werden durch die Behandlung allerdings anfallsfrei. Bei bis zu 20 Prozent jedoch kann keine befriedigende Anfallskontrolle erreicht werden. Zudem limitieren schwere Nebenwirkungen die therapeutischen Möglichkeiten.
Carbamazepin ist zurzeit Mittel der Wahl zur Behandlung fokaler Epilepsien. Es zeigt jedoch in erheblichem Ausmaß unerwünschte Nebenwirkungen, zahlreiche klinisch relevante Wechselwirkungen und nicht zuletzt durch die Autoinduktion eine komplizierte Dosiseinstellung, für die in der Regel eine Plasmaspiegelkontrolle notwendig ist. Außerdem wird Carbamazepin zu einem toxikologisch bedenklichen Epoxid metabolisiert. Oxcarbazepin soll bei gleicher Wirksamkeit in der klinischen Anwendung sicherer und nebenwirkungsärmer als Carbamazepin sein. Es ist in anderen europäischen Ländern bereits seit vielen Jahren auf dem Markt. (4, 5, 9, 12).
Pharmakotherapie der EpilepsieFokale Epilepsien
Mittel der ersten Wahl ist Carbamazepin (Tegretal®), das bis zur ausreichenden Wirksamkeit oder bis nicht tolerable Nebenwirkungen auftreten ausdosiert wird. Bei nicht zufrieden stellender Anfallskontrolle oder nicht tolerablen Nebenwirkungen wird in Stufe 2 auf eine Monotherapie mit einem anderen Antiepileptikum umgestellt. Hier bieten sich vor allem Valproinsäure (Ergenyl®, Orfiril®), Lamotrigin (Lamictal®) oder auch Phenytoin (Epanutin®) an. Auch Oxcarbazepin (Timox®, Trileptal®) kann in dieser Stufe als Monotherapie eingesetzt werden.
Bei wiederum nicht zufrieden stellender Anfallskontrolle oder nicht tolerablen Nebenwirkungen wird in Stufe 3 auf eine dritte Monotherapie mit einem der in Stufe 2 genannten Antiepileptika umgestellt oder bereits eine Polytherapie angesetzt. Kombiniert werden vor allem dar Carbamazepin und Valproinsäure, Carbamazepin oder Phenytoin oder Valproinsäure und Vigabatrin oder Lamotrigin oder Gabapentin (Neurontin®) oder Tiagabin (Gabitril®).
Falls in der Stufe 3 noch keine Polytherapie erfolgt ist, wird diese, wie in Stufe 3 beschrieben, nun in Stufe 4 durchgeführt. Lassen sich auch in Stufe 4 die Anfälle nicht ausreichend kontrollieren, ist der Patient nach erneuter Überprüfung der Diagnose als therapierefraktär einzustufen und gegebenenfalls nach gesicherter Diagnose ein chirurgischer Eingriff zu erwägen.
Generalisierte Epilepsien
Mittel der ersten Wahl ist Valproinsäure, es hilft gegen alle Anfallstypen und zeigt eine hohe Responderrate.
Bei kindlichen Absence-Epilepsien kann statt Valproinsäure auch Ethosuximid eingesetzt werden, das aber keinen Schutz gegen tonisch-klonische Anfälle bietet. Bei juveniler Absence-Epilepsie kann bei fehlendem Ansprechen auf Valproinsäure dieses mit Lamotrigin kombiniert werden. Bei juveniler myoklonischer Epilepsie sind Primidon, Phenytoin oder Phenobarbital Mittel der zweiten Wahl. Bei therapieresistenten Myoklonien empfiehlt sich zusätzlich Clonazepam. Bei therapieresistenten Absencen Ethosuximid (Petnidan®, Suxinutin®). Valproinsäure.
Beim Aufwach-Grand-mal kann bei Therapieversagen von Valproinsäure zunächst Primidon in Kombination, dann auch als Monotherapie versucht werden. Clobazam kann bei weiterer Therapieresistenz additiv gegeben werden. Beim West-Syndrom stehen neben Valproinsäure eine ACTH-Behandlung, Benzodiazepine und Pyridoxin zur Verfügung. Erfolgversprechende Resultate liegen auch für Vigabatrin (Sabril®) und Lamotrigin vor.
Beim schwer behandelbaren Lennox-Gastaut-Syndrom sind nach Valproinsäure als Mittel der Wahl Benzodiazepine, vor allem Clobazam (Frisium®) wegen geringerer Sedierung anwendbar. Zur Kontrolle der tonischen und tonisch-klonischen Anfälle kann Phenytoin, Carbamazepin oder Phenobarbital (Luminal®) gegeben werden. In Ausnahmefällen kann das gut wirksame, aber mit schweren Nebenwirkungen (aplastische Anämie, Leberversagen) verbundene Felbamat (Taloxa®) gegeben werden.
Status epilepticus
Neben einer umfangreichen ärztlichen Behandlung zur Sicherung der Atemwege und Überwachung der Vitalparameter sollten insbesondere parenteral oder rektal Benzodiazepine und bei Sistieren der Anfallsaktivität Phenytoin intravenös gegeben werden (8).
Chemische Klassifikation
Oxcarbazepin ist ein Derivat des Carbamazepin, das im Gegensatz zu diesem eine 10-Oxo-Funktion an der 10,11-Dihydrobrücke besitzt. Die Bezeichnung nach IUPAC lautet: 10,11-Dihydro-10-oxo-5H-dibenz[b,f]azepin-5-carboxamid, die Summenformel ist C15H12N2O2 und das relative Molekulargewicht beträgt 252,26 (3).
Indikationen und Anwendung
Oxcarbazepin wird zur Behandlung von fokalen Anfällen mit oder ohne sekundär generalisierte tonisch-klonische Anfälle angewendet. Für diese Indikationen ist es zur Mono- oder Kombinationstherapie bei Erwachsenen und Kindern im Alter von sechs Jahren oder älter zugelassen. Daten zur Sicherheit der Anwendung liegen aber bereits für Kinder ab zwei Jahren vor.
Die erforderliche Dosis wird individuell ermittelt. Die Einstellung erfolgt mit zweimal täglich 300 mg (Kinder: 8 bis10 mg pro kg Körpergewicht pro Tag). In Abständen von einer Woche kann in Schritten von höchstens 600 mg täglich (Kinder: höchstens 10 mg pro kg Körpergewicht) bis zur gewünschten Wirkung auftitriert werden. Die Erhaltungsdosis liegt zwischen 600 und 2400 mg, bei Kinder höchstens bei 46 mg pro kg Körpergewicht. Wegen zentralnervöser Nebenwirkungen sind bei einer Kombinationstherapie von Oxcarbazepin in einer Dosierung von 2400 mg mit anderen Antiepileptika diese in ihrer Dosierung zu verringern. Bei eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance < 30 ml/min) muss die Anfangsdosis halbiert und die Therapie besonders sorgsam überwacht werden (1, 2).
Bei der Umstellung von Carbamazepin auf Oxcarbazepin sollte ein Faktor von 1,5 berücksichtigt werden; das heißt, es muss 50 Prozent mehr Oxcarbazepin als Carbamazepin verabreicht werden. Bei der Umstellung von Carbamazepin auf Oxcarbazepin und einer gleichzeitigen Kombinationstherapie vor allem mit anderen Antikonvulsiva ist die fehlende Induktion der Leberenzyme zu bedenken (8).
Glossar
Absence Form eines epiletischen Anfalls mit plötzlich einsetzender und abrupt endender Bewusstseinsstörung und nachfolgender Amnesie.Ataxie Störung der Koordination von Bewegungsabläufen.
fokale Epilepsie Neuronenentladungen gehen nur von abgrenzbaren Bereichen aus und bleiben auch auf diese beschränkt.
Grand-mal Primär- oder sekundär generalisierter Anfall mit tonisch-klonischen Krämpfen bei Epilepsie.
Lennox-Gastaut-Syndrom Kombination von Sturzanfällen, nächtlichen tonischen Anfällen und Myoklonien, Erstmanifestation im 2.-7. Lebensjahr.
manische Episode Form der affektiven Psychose mit inadäquater gehobener Stimmung im Rahmen einer manisch-depressiven Erkrankung, im Verlauf einer schizoaffektiven Psychose oder als einzelne manische Episode. Therapie der ersten Wahl: Neuroleptika in Kombination mit Lithium.
Myoklonie Kurze ruckartige Zuckungen einzelner Muskeln ohne oder mit nur geringem Bewegungseffekt.
primär generalisierte Epilepsie Neuronenentladungen gehen vom Beginn des Anfalls an von weiten Gebieten beider Hemisphären aus.
sekundär generalisierte Anfälle Neuronenentladungen gehen zunächst von abgrenzbaren Bereichen aus dehnen sich aber über die gesamte Hirnrinde aus.
Status epilepticus Schnelle Folge von Anfällen ohne zwischenzeitliche Restitution. Letalität: auch bei optimaler Therapie 10 Prozent.
West-Syndrom Form der Epilepsie im Säuglings- und Kleinkindalter, die durch generalisierte kleine Anfälle fokaler und multifokaler Genese gekennzeichnet ist (Synonym: Blitz-Nick-Salaam-Krämpfe).
Wirkungen und Wirkmechanismus
Die Wirkung von Oxcarbazepin beruht hauptsächlich auf seinem Metaboliten 10-Hydroxycarbazepin und kommt durch eine Hemmung der konvulsatorischen Entladungen und eine Hemmung synaptischer Reizübertragungen zu Stande. Für die Inhibition der Erregungsleitung spielt wahrscheinlich ein Angriff an spannungsabhängigen Natriumkanälen die entscheidende Rolle. Dies führt zu einer Stabilisierung übererregter Nervenmembranen, einer Hemmung hochfrequenter neuronaler Aktivität und einer Verminderung der Ausbreitung von postsynaptischen Impulsen. Eine erhöhte Durchlässigkeit der Membranen für Kalium sowie eine Modulation spannungsabhängiger Calciumkanäle scheint an der Wirkung beteiligt zu sein. Signifikante Wechselwirkungen mit zerebralen Rezeptoren wurden nicht beobachtet. Oxcarbazepin ähnelt zwar im chemischen nicht aber im pharmakologischen Profil den tricyclischen Antidepressiva(1, 2, 8).
Unerwünschte Wirkungen
Einen Überblick über bisher bekannte Nebenwirkungen gibt die Tabelle (pdf-Datei).
Arzneimittelprofil Oxcarbazepin ist der wirksame Bestandteil des Arzneimittels Timox® 150 mg, 300 mg und 600 mg Filmtabletten und Timox® 150 mg Suspension 60 mg/ml der Firma Desitin Arzneimittel GmbH, Weg beim Jäger 214, 22335 Hamburg und des Arzneimittels Trileptal® 150 mg, 300 mg und 600 mg Filmtabletten der Firma Novartis Pharma GmbH, Roonstraße 25, 90429 Nürnberg. Als Hilfsstoffe werden für die Filmtabletten im Kern verwandt: hochdisperses Siliziumdioxid, mikrokristalline Zellulose, Hypromellose, Crospovidon, Magnesiumstearat, -palmitat und -oleat. Als Hilfsstoffe werden für die Filmtabletten beim Filmüberzug verwandt: Hypromellose, Macrogol 8000, Eisenoxidhydrate (E 172), Talkum, Titandioxid (E 171) Als Hilfsstoffe für die Suspension dienen: Propyl(4-hydroxybenzoat) (E 216), Saccharin-Natrium, Sorbinsäure (E200), Macrogolstearat 400, Methyl(4-hydroxybenzoat) (E 218), Mirabellen-Zitronen-Aroma, Ascorbinsäure (E300), dispergierbare Cellulose, Propylenglykol, Sorbitol-Lösung 70 % (nicht kristallisierend), gereinigtes Wasser. Ein Bestandteil des Aromas ist Ethanol (1, 2).
Kontraindikationen
Eine bekannte Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der anderen Inhaltsstoffe gilt als Kontraindikation. Bei 25 bis 30 Prozent der Patienten, die Überempfindlichkeitsreaktionen auf Carbamazepin gezeigt haben, muss mit einer Kreuzreaktion auch bei der Einnahme von Oxcarbazepin, beispielsweise in Form schwerer Hautreaktionen, gerechnet werden (2).
Ob während einer Schwangerschaft Antikonvulsiva eingenommen werden sollen beziehungsweise müssen, bedarf der Entscheidung im Einzelfall unter Abwägung eines teratogenen Risikos des Antikonvulsivums einerseits und der Grunderkrankung andererseits (1, 2). In der Schwangerschaft sind folgende allgemeine Hinweise bei der Einnahme von Antiepileptika zu beachten:
Die niedrigste anfallskontrollierende Dosis muss verwendet werden. Die Tagesdosis ist in mehreren kleineren Dosen über den Tag verteilt einzunehmen, um Missbildungen zu vermeiden, die mit hohen Plasmaspitzenspiegeln korrelieren. Folsäure sollte zur Prophylaxe von Neuralrohrdefekten vor und während einer Schwangerschaft appliziert werden. Zur Vermeidung eines Blutungsrisikos sollte Vitamin K1 in den letzten Wochen der Schwangerschaft an die Mutter und nach der Geburt an das Kind verabreicht werden. Eine Kombination von Antikonvulsiva gilt es zu vermeiden. Ein Therapeutisches Drug Monitoring (TDM) wird empfohlen. Oxcarbazepin verringert die Wirksamkeit hormonaler Kontrazeptiva. Deswegen ist auf eine zusätzliche nicht hormonale Kontrazeption hinzuweisen (8).
Da Oxcarbazepin und sein wirksamer Metabolit in die Muttermilch übergehen und mögliche Auswirkungen auf den Säugling nicht untersucht sind, darf während der Behandlung nicht gestillt werden (1, 2).
Wechselwirkungen
Oxcarbazepin und der 10-Hydroxy-Metabolit hemmen Cytochrom-P450-Isoenzyme, insbesondere CYP 2C19. Die hepatische Clearance von Arzneistoffen sinkt, die über dieses Isoenzym metabolisiert werden. Der Plasmaspiegel des potenziell als Comedikation applizierten Antikonvulsivums Phenytoin kann in der Folge - bei Dosen über 1200 mg Oxcarbazepin pro Tag - um bis zu 40 Prozent erhöht werden. Der Plasmaspiegel von Phenobarbital kann hingegen lediglich um bis zu 15 Prozent ansteigen.
Oxcarbazepin und der 10-Hydroxy-Metabolit induzieren die Isoenzyme CYP3A4 und CYP3A5. Die hepatische Clearance von Arzneistoffen, die über dieses Isoenzym metabolisiert werden, wird gesteigert. Die Plasmaspiegel von anderen Antiepileptika, nicht aber von Oxcarbazepin und seinem Hauptmetaboliten selbst, können abnehmen. Oxcarbazepin weist somit im Gegensatz zu Carbamazepin keine Autoinduktion auf. Die Plasmaspiegel von mit Oxcarbazepin gleichzeitig applizierten Antikonvulsiva sollten nach Abschluss der Induktionsphase und bei Veränderung oder Absetzen einer Medikation bestimmt werden.
Die mittleren AUC-Werte der in peroralen Kontrazeptiva eingesetzten Hormone Ethinylestradiol und Levonorgestrel werden um bis zu 52 Prozent erniedrigt. Deswegen wird bei der Therapie mit Oxcarbazepin eine zusätzliche Kontrazeption empfohlen.
Die erniedrigten AUC-Werte bei der Comedikation mit Calciumantagonisten vom 1,4-Dihydropyridintyp (zum Beispiel Nifedipin) ist klinisch nicht relevant. Auf Grund der strukturellen Ähnlichkeit sollte aus theoretischen Erwägungen eine gleichzeitige Gabe von Oxcarbazepin mit Monoaminooxidase-Hemmern (zum Beispiel Moclobemid) unterbleiben. Bislang sind keine klinisch relevanten Interaktionen mit Cimetidin, Erythromycin, Dextropropoxyphen, Warfarin oder tricyclischen Antidepressiva beobachtet worden. Da Oxcarbazepin zum Syndrom der inadäquaten Sekretion des antidiuretischen Hormons (ADH) führen kann, sollte bei Kombination mit Arzneistoffen, die den Natriumspiegel senken können (zum Beispiel Diuretika), dieser regelmäßig kontrolliert werden. Zur Anwendung bei Überdosierung ist kein spezifisches Antidot bekannt (1, 2).
Beratungstipps für die Apotheke Zu Beginn der Therapie auftretende leichtere Nebenwirkungen gehen nach guter Einstellung der Therapie zurück. Da Schwindel und Schläfrigkeit aber die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigen können, ist insbesondere auf Einschränkungen beim Autofahren und Arbeiten an Maschinen hinzuweisen. Vom Patienten geschilderte „allgemeine Befindlichkeitsstörungen“ wie Teilnahmslosigkeit, Kopfschmerz, Durst, Ödeme („schwere Beine“), Appetitlosigkeit oder Erbrechen können auch Symptome einer durch Oxcarbazepin verursachten „Wassersucht“ mit Natriummangel sein. Der Patient ist vom Apotheker bei fortdauernden oder zunehmenden Nebenwirkungen sowie bei nicht ausreichender Anfallskontrolle darüber zu informieren, dass eine Umstellung der Medikation mit dem (Fach-) Arzt besprochen werden sollte. Denn nicht alle Medikamente gegen Epilepsie werden von allen Patienten gleich gut vertragen. Keinesfalls darf die Therapie eigenmächtig geändert oder abgesetzt werden, weil dies Anfälle induzieren kann. Die Notwendigkeit zusätzlicher Verhütungsmaßnahmen bei gleichzeitiger Einnahme der „Pille“ muss der Apotheker im Beratungsgespräch erwähnen. Der Hinweis auf Vermeidung von Alkohol während einer Oxcarbazepintherapie ergibt sich zum einen wegen zusätzlicher müde machender Effekte zum anderen wegen der Vermeidung von Alkohol als Auslöser von Krampfanfällen.
Pharmakokinetik
Oxcarbazepin wird nach peroraler Gabe vollständig resorbiert und durch Leberenzyme zu etwa 70 Prozent in das pharmakologisch aktive 10,11-Dihydro-10-hydroxycarbazepin umgewandelt. Maximale Plasmaspiegel von im Mittel 34 µmol/l werden 4,5 Stunden nach Einnahme einer Einzeldosis von 600 mg Oxcarbazepin erreicht. Nahrung hat keinen Einfluss auf die Resorption. Das scheinbare Verteilungsvolumen des aktiven Metaboliten beträgt 0,7 bis 0,8 l/kg. Dieser wird zu circa 40 Prozent konzentrationsunabhängig an Plasmaeiweiße gebunden. Der Steady state ist nach zweimal täglicher Gabe innerhalb von zwei bis drei Tagen erreicht. Die Pharmakokinetik verhält sich im Dosierungsbereich von 300 bis 2400 mg/Tag zur Dosis proportional (1, 2, 7).
Der 10-Hydroxy-Metabolit wird durch Konjugation mit Glucuronsäure weiter metabolisiert. 4 Prozent der Dosis werden zu einem pharmakologisch inaktiven 10,11-Dihydroderivat oxidiert. Die Elimination erfolgt hauptsächlich in Form von Metaboliten und zu 95 Prozent über den Urin. Die Ausscheidung mit dem Stuhl beträgt weniger als 4 Prozent der verabreichten Dosis. Die scheinbare Plasmaeliminations-Halbwertszeit von Oxcarbazepin liegt zwischen 1,3 und 2,3 Stunden; diejenige des 10-Hydroxy-Derivats beträgt hingegen durchschnittlich 9,3 ± 1,8 Stunden. Eine leichte bis mittelgradige Leberinsuffizienz beeinflusste die Pharmakokinetik nicht. Daten für eine schwere Leberinsuffizienz liegen nicht vor. Es existiert eine lineare Beziehung zwischen Kreatinin-Clearance und renaler Clearance des 10-Hydroxy-Derivats. Dies ist auch der Grund für höhere maximale Plasmaspiegel und AUC bei älteren Patienten, bei denen die Kreatinin-Clearance verringert ist. Geschlechtsspezifische pharmakokinetische Unterschiede sind nicht bekannt (1, 2, 7).
Klinische Prüfung
An der bislang größten multizentrischen klinischen Studie nahmen 235 Patienten teil. Die individuelle Dosis wurde entweder mit Oxcarbazepin oder mit Carbamazepin zunächst über vier bis acht Wochen bei einer Startdosis von 300 mg/Tag (Oxcarbazepin) respektive 200 mg/Tag (Carbamazepin) auftitriert. Anschließend setzte man die Behandlung bei allen Patienten über zwölf Wochen (Erhaltungstherapie Phase I) und bei gut eingestellten sowie zur Fortführung der Therapie bereiten Patienten nochmals um weitere 36 Wochen (Erhaltungstherapie Phase II) fort. Auf Grund der hohen Abbruchrate wegen zahlreichen Nebenwirkungen bewertete man nur bei 165 Patienten abschließend die Effektivität. Es zeigte sich kein Unterschied in der Anfallshäufigkeit oder im EEG-Befund zwischen den beiden Behandlungsgruppen. Schwere Nebenwirkungen wie Allergien, Schwindel, Kopfschmerzen, psychische Labilität, Übelkeit, Haarausfall, Leukopenie oder Leberenzymanstieg, traten unter Oxcarbazepin signifikant (p=0,04) seltener auf (5).
In einer weiteren Vergleichsstudie (6) wurden 40 Patienten wegen unzureichender Anfallskontrolle oder unerwünschter Effekte von Phenytoin auf Carbamazepin oder Oxcarbazepin umgestellt. 34 Patienten nahmen bis zum Studienende teil. Bei gleicher Wirksamkeit schien auch hier die Verträglichkeit von Oxcarbazepin im Vergleich zu Carbamazepin besser zu sein.
Auch für Indikationsgebiete wie Trigeminusneuralgie oder zur Behandlung manischer Episoden bei vorliegender Kontraindikation für Lithium sind erste kleine Pilotuntersuchungen durchgeführt worden. Für eine Bewertung dieser Indikationsgebiete sind weitere Untersuchungen erforderlich (7).
Wertende Zusammenfassung Oxcarbazepin besitzt für die Behandlung fokaler Epilepsien eine gleich gute Wirksamkeit wie Carbamazepin. Im Vergleich zu Carbamazepin liegen derzeit für Oxcarbazepin keine umfangreichen Behandlungszahlen aus kontrollierten Studien vor. Ob das Auftreten und die Schwere von Nebenwirkungen für Oxcarbazepin tatsächlich klinisch relevant geringer sind, kann deswegen noch nicht abschließend beurteilt werden. Die Induktion von Leberenzymen durch Oxcarbazepin und damit sein Interaktionspotenzial ist geringer. Dies könnte vor allem für Patienten mit zusätzlichen medikamentösen Therapien auch klinisch relevant werden. Oxcarbazepin ist derzeit lediglich für fokale Anfälle zugelassen und deckt damit nicht die gesamten zugelassenen Indikationsgebiete des Carbamazepins ab. Die Therapiekosten von Oxcarbazepin liegen bis zum Vierfachen über denjenigen von Carbamazepin. Die Dosistitration ist für Oxcarbazepin wegen der im Gegensatz zu Carbamazepin fehlenden Autoinduktion weniger kompliziert. Routinemäßige Plasmaspiegelbestimmungen wie für Carbamazepin (einschließlich seines Epoxids) sind derzeit für Oxcarbazepin (beziehungsweise für seine Hydroxy-Metabolite) meist nicht nötig und auch nicht in jedem klinischen Labor möglich.
Oxcarbazepin bietet sich unter Berücksichtigung des klinischen Nutzens und der Therapiekosten derzeit insbesondere beim Auftreten klinisch relevanter Interaktionen, mit Einschränkungen auch bei nicht tolerablen Nebenwirkungen oder fehlendem Ansprechen auf Carbamazepin als Behandlungsalternative ab Stufe 2 bei fokalen Epilepsien an.
Literatur
© 2002 GOVI-Verlag
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