Galantamin zur Behandlung des Morbus Alzheimer |
11.02.2002 00:00 Uhr |
NEUE ARZNEISTOFFE
von Barbara Peruche und Martin Schulz, Eschborn*
*) unter Mitarbeit von Hartmut Morck, Rolf Thesen und Petra Zagermann-Munke
Entwicklungstendenzen für Deutschland weisen darauf hin, dass die Anzahl dementer Patienten im Alter über 65 Jahren kontinuierlich steigt. Gab es 1997 etwa 1,3 Millionen Demenzpatienten, ist im Jahr 2030 mit etwa 2 Millionen Betroffenen zu rechnen. Seit Anfang des vergangenen Jahres steht mit Galantamin ein weiterer Arzneistoff zur Verfügung, der die Acteylcholinesterase hemmt. In klinischen Studien stabilisierte die Substanz kognitive Leistungen über mindestens zwölf Monate.
Die Demenz vom Alzheimer-Typ (AD) ist mit etwa 60 Prozent die häufigste Form dieser Erkrankungen bei alten Menschen. AD ist ein progredienter, irreversibler Verlust der kognitiven Funktionen, der mit einer großen Anzahl seniler Plaques im zerebralen Cortex und in der subkortikalen grauen Substanz assoziiert ist, wo sich auch b-Amyloid und aus Tau-Protein bestehende Neurofibrillen befinden. Therapeutische Maßnahmen, um die Zusammenlagerung dieser pathologischen Proteine zu verhindern, sind derzeit nicht verfügbar, werden aber in Zukunft an Bedeutung gewinnen.
Im Rahmen der sehr komplexen und multifaktoriellen Pathogenese der Alzheimer-Krankheit fokussieren sich zurzeit die pharmakotherapeutischen Ansätze auf die bisher am überzeugendsten belegte pathogenetische These des Acetylcholinmangels in der Hirnrinde von Alzheimerpatienten. Zu bedenken ist aber, dass dieser therapeutische Ansatz keine Heilung der Erkrankung bewirken und auch im Rahmen der symptomatischen Therapie nur ein Herauszögern des Krankheitsprozesses bedeuten kann. Das Fortschreiten des degenerativen Prozesses kann nicht verhindert werden.
Eine Erhöhung der Konzentration des Neurotransmitters Acetylcholin im Hirngewebe und eine damit einhergehende Verbesserung der kognitiven Leistung ist die pharmakologische Grundlage der derzeit wirksamsten Antidementiva. Ziel der medikamentösen Therapie ist es, die kognitiven Fähigkeiten möglichst lange Zeit stabil und damit die eigenständige Lebensführung sowie die Lebensqualität der Betroffenen aufrecht zu erhalten sowie den Pflegebedarf und die damit einhergehenden massiven psychosozialen Belastungen der betreuenden Personen anfänglich noch auf ein Minimum zu reduzieren (1-4).
Erster Hoffnungsträger war der 1993 in den USA in einem Schnellverfahren und 1995 dann auch in Deutschland zugelassene Acetylcholinesterasehemmer Tacrin (Cognex®) (5). Auf Grund seiner Hepatotoxizität ist Tacrin zur Behandlung von Alzheimerpatienten nicht mehr empfehlenswert (2). Es folgten Donepezil (Aricept®) (6), Rivastigmin (Exelon®) und Anfang 2001 Galantamin (Reminyl®).
Arzneimittelprofil Galantamin ist arzneilich wirksamer Bestandteil der Fertigarzneimittel Reminyl® Filmtabletten beziehungsweise Lösung der Firma Janssen-Cilag GmbH, Neuss.
Eine Filmtablette Reminyl enthält 4, 8 beziehungsweise 12 mg Galantamin als Hydrobromid. Hilfsstoffe für den Tablettenkern sind hochdisperses Siliciumdioxid, Crospovidon, Lactose-Monohydrat, Magnesium(-stearat, -palmitat, -oleat) und mikrokristalline Cellulose. Der Filmüberzug enthält Hypromellose, Propylenglycol, Talcum, Titandioxid und zusätzlich Eisenoxidhydrat (Reminyl 4 mg), Eisen-III-oxid (Reminyl 8 mg) oder Eisen-III-oxid, Gelborange S und Aluminiumsalz (Reminyl 12 mg).
Ein Milliliter Reminyl Lösung enthält 4 mg Galantamin als Hydrobromid. Hilfsstoffe sind Methyl(4-hydroxybenzoat), Propyl(4-hydroxybenzoat), Saccharin-Natrium, Natriumhydroxid und gereinigtes Wasser (7-9).
Chemische Klassifikation
Galantamin - 4aS,6R,8aS-4a,5,9,10,11,12-Hexahydroxy-3-methoxy-11-methyl-6H-benzofuro[3a,3,2-e,f]benzazepin-6-ol (IUPAC) - ist ein Alkaloid des Schneeglöckchens (Familie der Amaryllidaceae). Die Substanz besitzt drei Chiralitätszentren; die natürlich vorkommende Form ist das S,R,S-Enantiomer. Das aus pflanzlichem Material stammende Galantamin wird heute aus verschiedenen Narcissus-Arten vornehmlich in Bulgarien gewonnen. Mittlerweile ist es darüber hinaus auch gelungen, das Alkaloid auf synthetischem Weg zugänglich zu machen (9).
Indikationen und Anwendung
Reminyl ist zugelassen zur symptomatischen Behandlung leichter bis mittelgradiger Demenz vom Alzheimer Typ. Die Anwendung von Galantamin bei anderen Formen der Demenz oder der Gedächtnisstörungen wurde nicht untersucht.
Galantamin sollte zweimal täglich, vorzugsweise mit dem Frühstück und dem Abendessen eingenommen werden. Die empfohlene Anfangsdosis beträgt 8 mg Galantamin pro Tag (zweimal 4 mg) über einen Zeitraum von vier Wochen.
Die primäre Erhaltungsdosis beträgt 16 mg (zweimal 8 mg) und sollte mindestens über vier Wochen aufrecht erhalten werden.
Eine Steigerung der Erhaltungsdosis auf 24 mg Galantamin täglich (zweimal 12 mg) sollte individuell nach sorgfältiger Beurteilung der Behandlung im Hinblick auf den therapeutischen Nutzen und die Verträglichkeit in Betracht gezogen werden.
Bei einzelnen Patienten, die bei einer Gabe von 24 mg pro Tag keine erhöhte Ansprechrate zeigen oder die diese Dosis nicht vertragen, sollte eine Dosisreduktion auf 16 mg Galantamin in Erwägung gezogen werden.
Die Erhaltungsdosis kann so lange fortgesetzt werden, wie ein therapeutischer Nutzen für den Patienten besteht. Daher sollte der klinische Nutzen regelmäßig überprüft werden. Ein Therapieabbruch sollte erwogen werden, wenn kein therapeutischer Effekt mehr erkennbar ist. Nach abruptem Absetzen der Therapie tritt kein Rebound-Effekt auf.
Galantamin-Plasmaspiegel können bei Patienten mit mittelschwerer bis schweren Leberfunktionsstörungen erhöht sein. Bei Patienten mit solchen Störungen sollte die Behandlung mit einmal täglich 4 mg Galantamin, vorzugsweise morgens, begonnen und für mindestens eine Woche aufrecht erhalten werden. Danach sollte die Behandlung mit zweimal täglich 4 mg über mindestens vier Wochen fortgeführt werden. Eine Dosis von zweimal täglich 8 mg Galantamin sollte bei dieser Patientengruppe nicht überschritten werden. Bei schweren Leberfunktionsstörungen (Child-Pugh-Skala > 9) darf Galantamin nicht angewendet werden (siehe Kontraindikationen).
Bei Patienten mit einer Kreatinin-Clearance über 9 ml/min ist keine Dosisanpassung erforderlich. Bei schweren Nierenfunktionsstörungen (Kreatinin-Clearance unter 9 ml/min) darf Galantamin nicht angewendet werden (siehe Kontraindikationen).
Bei Patienten, die potente Cytochrom-P450 2D6- oder 3A4-Inhibitoren (zum Beispiel Ketoconazol) einnehmen, kann eine Reduzierung der Galantamin-Dosis erwogen werden (siehe Wechselwirkungen). Patienten mit Alzheimer-Erkrankung verlieren Gewicht (7-9).
Wirkungen und Wirkungsmechanismus
Das tertiäre Alkaloid Galantamin ist ein selektiver und kompetitiver Inhibitor der Acetylcholinesterase und führt zu einer erhöhten Konzentration des Neurotransmitters Acetylcholin im synaptischen Spalt. Vermutlich durch allosterische Modulation der Rezeptorbindungsstelle wird zusätzlich die intrinsische Aktivität von Acetylcholin an nicotinergen Rezeptoren sowie deren Empfindlichkeit verstärkt. Beide Mechanismen führen zu einer gesteigerten Aktivität des cholinergen - insbesondere des nicotinergen - Systems und somit möglicherweise zu einer verbesserten kognitiven Leistung (10 - 13).
Unerwünschte Wirkungen
Die häufigsten Nebenwirkungen (> 5 Prozent und doppelt so häufig wie unter Placebo) waren Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, abdominelle Schmerzen, Dyspepsie, Appetitminderung, Erschöpfung, Schwindel, Kopfschmerzen, Somnolenz und Gewichtsabnahme.
Die Behandlung mit Acetylcholinesterasehemmstoffen wie Galantamin wurde ebenfalls mit einem Gewichtsverlust bei diesen Patienten in Zusammenhang gebracht. Während der Behandlung sollte daher das Gewicht der Patienten überwacht werden. Weibliche Patienten leiden mitunter häufiger unter Übelkeit, Erbrechen und Appetitminderung.
Andere Nebenwirkungen (ebenfalls > 5 Prozent) waren Verwirrtheit, Stürze, Verletzungen, Schlaflosigkeit, Rhinitis und Harnwegsinfektionen.
Die Mehrzahl dieser Nebenwirkungen trat während der Titrationsphase auf. Übelkeit und Erbrechen, die häufigsten Nebenwirkungen, hielten in den meisten Fällen weniger als eine Woche an, und die meisten Patienten hatten nur eine Episode. Hier kann die Gabe eines Antiemetikums und gegebenenfalls eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr hilfreich sein.
In Zusammenhang mit der Behandlung mit Galantamin wurde gelegentlich Tremor beobachtet und von Synkopen und schweren Bradykardien berichtet (7 - 9).
Kontraindikationen
Galantamin darf nicht angewendet werden bei bekannter Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile der Zubereitung sowie bei Kindern.
Da keine Daten zur Anwendung bei schweren Leberfunktionsstörungen (Child-Pugh-Skala > 9) und schweren Nierenfunktionsstörungen (Kreatinin-Clearance < 9 ml/min) vorliegen, darf Galantamin bei diesen Patienten nicht angewendet werden. Bei Patienten, die gleichzeitig eine klinisch relevante Leber- und Nierenfunktionsstörung aufweisen, ist Galantamin ebenfalls kontraindiziert.
Wie andere Acetylcholinesterasehemmstoffe sollte Galantamin bei den folgenden Erkrankungen und Umständen nur unter Vorsicht eingesetzt werden:
Wechselwirkungen
Auf Grund seines Wirkmechanismus soll Galantamin nicht gleichzeitig mit anderen Acetylcholinesterasehemmern verabreicht werden. Galantamin antagonisiert die Wirkung von Anticholinergika. Wie bei Acetylcholinesterasehemmern zu erwarten, sind pharmakodynamische Wechselwirkungen mit Arzneimitteln möglich, die die Herzfrequenz herabsetzen (beispielsweise Digoxin oder Betablocker).
Auf Grund seiner cholinomimetischen Eigenschaften kann Galantamin während einer Narkose die Wirkung von Muskelrelaxantien vom Succinylcholintyp verstärken.
Galanatamin wird über mehrere Wege abgebaut und renal ausgeschieden. Die gleichzeitige Einnahme von Nahrung verlangsamt die Resorptionsrate von Galantamin, das Ausmaß der Resorption wird aber nicht beeinflusst.
In-vitro-Untersuchungen deuten darauf hin, dass Galantamin ein sehr geringes inhibitorisches Potenzial auf die wichtigsten Isoenzyme des menschlichen Cytochrom-P450-Enzymsystems aufweist.
Wechselwirkungsstudien zeigten eine um etwa 40 Prozent erhöhte Bioverfügbarkeit von Galantamin bei gleichzeitiger Gabe von Paroxetin, einem potenten Cytochrom-P450-2D6-Inhibitor. Die Verfügbarkeit stieg um 30 beziehungsweise 12 Prozent bei gleichzeitiger Gabe von Ketoconazol oder Erythromycin (Cytochrom-P450-3A4-Inhibitoren). Daher kann zu Beginn der Behandlung mit starken Cytochrom-P450-2D6-Inhibitoren (Chinidin, Paroxetin, Fluoxetin oder Fluvoxamin und andere) oder 3A4-Inhibitoren (zum Beispiel Ketoconazol, Ritonavir) die Häufigkeit cholinerger Nebenwirkungen, insbesondere Übelkeit und Erbrechen, erhöht sein. Unter diesen Umständen kann in Abhängigkeit von der Verträglichkeit erwogen werden, die Erhaltungsdosis von Galantamin zu senken.
Therapeutische Dosierungen von Galantamin (täglich zweimal 12 mg) hatten keinen Einfluss auf die Kinetik von Digoxin und Warfarin (7 - 9).
Pharmakokinetik
Galantamin wird rasch resorbiert, mit einem tmax von etwa einer Stunde nach Einnahme als Tablette oder Lösung. Die absolute Bioverfügbarkeit beträgt 88,5 ± 5,4 Prozent.
Die Einnahme mit den Mahlzeiten verzögert die Resorption und verringert den Cmax um etwa 25 Prozent, ohne das Ausmaß der Resorption (AUC) zu verändern.
Das mittlere Verteilungsvolumen beträgt 175 Liter. Die Plasmaeiweißbindung ist gering (18 Prozent).
Bis zu 75 Prozent des verabreichten Galantamins werden in metabolisierter Form ausgeschieden. Galantamin wird zu einem Teil über verschiedene Cytochrom-Isoenzyme, hauptsächlich Cytochrom-P450-2D6 (zu O-Desmethyl-Galantamin) und -3A4 (zu Galantamin-N-oxid), metabolisiert. Einige der Metaboliten haben sich in vitro als pharmakologisch aktiv erwiesen, hatten aber in vivo keine Bedeutung.
Zwischen schwachen und starken Cytochrom-P450-2D6-Metabolisierern zeigt sich kein Unterschied in der Gesamtausscheidung mit Urin und Fäzes.
Bei schwachen und starken Metabolisierern lag Galantamin im Plasma primär in unveränderter Form und als Glucuronid vor. Nach Einmalgabe konnte keiner der aktiven Metaboliten von Galantamin (Norgalantamin, O-Desmethyl-Norgalantamin) in seiner konjugierten Form im Plasma schwacher und starker Metabolisierer nachgewiesen werden. Nach Mehrfachdosis konnte Norgalantamin im Plasma von Patienten nachgewiesen werden, der Anteil betrug jedoch nicht mehr als 10 Prozent der Galantamin-Konzentration.
Galantamin-Plasmaspiegel nehmen biexponentiell ab, die terminale Halbwertszeit beträgt bei gesunden Probanden sieben bis acht Stunden. Bei der Zielgruppe beträgt die typische Clearance nach peroraler Gabe etwa 200 ml/min.
Sieben Tage nach Gabe einer peroralen Einmaldosis von 4 mg 3H-Galantamin wurden 90 bis 97 Prozent der Radioaktivität im Urin und 2,2 bis 6,3 Prozent in den Fäzes nachgewiesen.
Nach intravenöser Infusion und peroraler Gabe wurden innerhalb von 24 Stunden 18 bis 22 Prozent als unverändertes Galantamin mit dem Urin ausgeschieden. Die renale Clearance betrug 68,4 ± 22,0 ml/min, dies entspricht 20 bis 25 Prozent der totalen Plasmaclearance.
Nach wiederholter peroraler Gabe von zweimal täglich 12 beziehungsweise 16 mg Galantamin schwankten die mittleren Tal- und Spitzen-Plasmaspiegel bei Gesunden zwischen 29 bis 97 ng/ml und 42 bis 137 ng/ml. Im Dosisbereich von 4 bis 16 mg zweimal täglich zeigt Galantamin eine lineare Pharmakokinetik. Bei einer Dosis von 12 beziehungsweise 16 mg zweimal täglich wurde zwischen dem zweiten und sechsten Anwendungsmonat keine Kumulation beobachtet.
Daten aus klinischen Studien deuten darauf hin, dass Plasmakonzentrationen von Galantamin bei Alzheimerpatienten im Vergleich zu jungen Gesunden um 30 bis 40 Prozent erhöht sind. Basierend auf einer pharmakokinetischen Populationsanalyse liegt die Clearance bei Frauen um 20 Prozent niedriger als bei Männern.
Alter und Rasse hatten keinen Einfluss auf die Galantamin-Clearance. Die Clearance ist bei schwachen Cytochrom-P450-2D6-Metabolisierern um etwa 25 Prozent niedriger als bei starken Metabolisierern; eine Bimodalität der Population wird jedoch nicht beobachtet. Daher gilt der individuelle Metabolisierungsstatus des Patienten als klinisch nicht relevant.
Die Kinetik von Galantamin bei Patienten mit leichter Leberfunktionsstörung (Child-Pugh-Skala 5 bis 6) war vergleichbar mit der gesunder Probanden. Bei Patienten mit mittelschwerer Leberfunktionsstörung (Child-Pugh-Skala 7 bis 9) waren die AUC und Halbwertszeit von Galantamin um etwa 30 Prozent erhöht.
Wie in einer Studie an Patienten mit Niereninsuffizienz beobachtet wurde, sinkt die Ausscheidung von Galantamin mit abnehmender Kreatinin-Clearance. Verglichen mit Alzheimerpatienten sind die Spitzen- und Talplasmaspiegel von Patienten mit einer Kreatinin-Clearance von ³ 9 ml/min nicht erhöht. Deshalb ist eine Zunahme unerwünschter Ereignisse nicht zu erwarten und eine Dosisanpassung nicht erforderlich.
Es wurde keine merkliche Korrelation zwischen durchschnittlichen Plasmakonzentrationen und Wirksamkeitsparametern (das heißt Veränderung im ADAS-cog11 und CIBIC-plus im sechsten Monat) in großen Phase-III-Studien bei einer Dosierung von zweimal täglich 12 beziehungsweise 16 mg beobachtet. Die Ergebnisse zeigen, dass mit den untersuchten Dosen maximale Wirksamkeit erzielt werden kann.
Bei Patienten, bei denen Synkopen auftraten, waren die Plasmakonzentrationen vergleichbar mit denen anderer Patienten bei gleicher Dosierung. Es wurde eine Korrelation zwischen dem Auftreten von Übelkeit und höheren Spitzenplasmakonzentrationen gezeigt (7 - 9, 14, 15).
Klinische Prüfung
In verschiedenen klinischen Studien mit über 3200 Patienten mit milder bis moderater Alzheimer-Erkrankung führte die Behandlung mit Galantamin in Dosierungen zwischen 16 und 32 mg zu einer Verbesserung der kognitiven Leistungen sowie der Fähigkeit zur eigenständigen Alltagsbewältigung (Körperhygiene, Essen, Ankleiden und ähnliches). Der zeitliche Pflegeaufwand konnte unter der Behandlung reduziert werden (9, 16, 17).
Tabelle: Skalen zur Beurteilung der Wirksamkeit von Galantamin
Skala
beurteilte Symptome
Methodik
Punktwertebereich
ADAS-cog
Kognition (Gedächtnis, Sprache, Orientierung)
Arzt untersucht Patienten mit einer Reihe kurzer Tests
0 - 70 Punkte
0 = keine Beeinträchtigung
70 = starke Beeinträchtigung
CIBIC-plus
globale Beurteilung von Verhalten, allgemeinen psychiatrischen Symptomen, Kognition und Alltagskompetenz
Arzt befragt Patienten und Betreuer
1 - 7 Punkte
1, 2, 3 = ausgeprägte, mäßige oder minimale Besserung
4 = keine Änderung
5, 6, 7 = minimale, mäßige oder deutliche Verschlechterung
NPI
Verhaltensbereiche (Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Agitation/Agressivität, Dysphorie, Angst, Euphorie, Apathie, Enthemmung, Reizbarkeit und motorische Störungen
Arzt befragt Betreuer
0 - 120 Punkte
höhere Scores bedeuten stärkere Verhaltensstörungen
DAD
Alltagskompetenz (Körperpflege, An- und Auskleiden, Kontinenz, Essen, Essenszubereitung, Telefonieren, Ausgehen, Finanzen und Korrespondenz, Freizeit, Hausarbeit)
Arzt befragt Betreuer
0 - 46 Punkte
0 = schwere Behinderung
46 = keine Behinderung
ADCS/ADL
23 Bereiche der Alltagskompetenz, die sowohl grundlegende als auch instrumentelle Aktivitäten umfassen
Arzt befragt Betreuer
0 - 78 Punkte
höherer Score bedeutet einen besseren Leistungsstatus
Fragebogen zur Betreuungszeit
Betreuungszeit, Hilfe bei Alltagsverrichtungen (Körperpflege, Anziehen, Essen, Medikation, Hausarbeit, Toilette, Finanzen, Transport
Arzt befragt Betreuer
Änderung des Zeitaufwands gemessen in Stunden und Minuten
Quelle: (9)
Zur Beurteilung der kognitiven Leistung, Alltagskompetenz und Verhaltensbereiche unter der Behandlung wurden die in der Tabelle aufgelisteten Skalen eingesetzt. Als Beispiel sei eine sechsmonatige randomisierte, doppelblinde und placebokontrollierte Studie mit 636 Patienten erwähnt (18), von denen 213 mit Placebo, 212 mit 24 mg Galantamin und 211 mit 32 mg Galantamin täglich behandelt wurden. Nach sechs Monaten war die kognitive Leistung bei den mit Galantamin behandelten Patienten unverändert, während in der Placebogruppe eine signifikante Verschlechterung des ADAS-cog-Scores auftrat (p< 0,001 24- und 32 mg-Dosierung versus Placebo). Die ADAS-cog-Scores der Galantamin-Gruppen lagen nach sechs Monaten über den Ausgangswerten (p < 0,05 für 24- und 32-mg-Dosierungen). Am Ende der Studie betrug der Unterschied in der klinischen Wirksamkeit zwischen Galantamin und Placebo vier Punkte auf der ADAS-cog-Skala.
Nach Abschluss der sechsmonatigen Studie wurden ungefähr 80 Prozent der Patienten in eine offene Phase über sechs Monate aufgenommen und erhielten 24 mg Galantamin pro Tag unabhängig von der vorherigen Doppelblindphase. Nach zwölf Monaten war die kognitive Leistung bei den Patienten, die kontinuierlich 24 mg Galantamin pro Tag erhalten hatten, stabil geblieben (ADAS-cog-Score weicht vom Ausgangswert nicht ab). Diese Gruppe zeigte außerdem eine signifikant bessere kognitive Leistung gegenüber den Patienten, die erst nach sechsmonatiger Placebogabe mit 24 mg Galantamin behandelt wurden (18).
Vergleichsstudien mit anderen Acetylcholinesterasehemmstoffen sind uns zurzeit nicht bekannt.
Wertende Zusammenfassung Galantamin ist ein weiterer Acetylcholinesterasehemmer zur symptomatischen Behandlung leichter bis mittelschwerer Demenz vom Alzheimer-Typ. Im Unterschied zu bisherigen Acetylcholinesterasehemmstoffen besitzt Galantamin einen zusätzlich modulierenden und sensibilisierenden Einfluss auf nicotinische Rezeptoren, was zum einen die muscarinischen Nebenwirkungen reduzieren zum anderen den Einfluss auf die kognitiven Leistungen fördern soll.
Klinische Studien zeigen, dass bei frühzeitiger Gabe von Galantamin eine Stabilisierung der kognitiven Leistung für mindestens zwölf Monate zu erwarten ist. Dies erhöht die Lebensqualität der Betroffenen, hält deren eigenständige Lebensführung aufrecht und verzögert somit für einen gewissen Zeitraum die Pflegebedürftigkeit.
Auch wenn der Untergang der Nervenzellen und somit der Verfall der Persönlichkeitsstruktur von Alzheimerpatienten sich mit den derzeitig verfügbaren Alzheimermitteln nicht aufhalten lässt, so kann er zumindest in der frühen Phase der Erkrankung noch verzögert werden.
Bislang fehlen allerdings Studien, die Galantamin direkt mit anderen Acetylcholinesterasehemmstoffen wie Rivastigmin oder Donepezil vergleichen.
Literatur
Verantwortlich:
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