Wirkung und Anwendung einer alten Heilpflanze |
30.08.1999 00:00 Uhr |
EFEU
Schon seit Jahrhunderten werden Efeublätter bei zahlreichen Krankheiten eingesetzt. Heute werden sie erfolgreich vor allem zur Therapie von Atemwegserkrankungen verwendet. Dabei wird ein Trockenextrakt der kaum noch offizinell vorkommenden Droge als Fertigarzneimittel in Form von Saft, Tropfen, Zäpfchen und in letzter Zeit vermehrt als Brausetablette appliziert. Die durch neuere klinische Studien belegten expektorierenden und antiobstruktiven Wirkungen und die sehr guten Therapieerfolge bei obstruktiven Atemwegserkrankungen rücken die Droge Efeu wieder in den Mittelpunkt phytopharmazeutischer Interessen. Zusätzliche Anwendungsgebiete für Efeublätter sollten sich aus der Aufklärung kausaler Wirkzusammenhänge ergeben.
Die Atemwegserkrankung ist eine Volkskrankheit mit großer sozioökonomischer Bedeutung. Die chronische Bronchitis zählt neben der koronaren Herzkrankheit und dem Diabetes zu den häufigsten Zivilisationskrankheiten. Etwa 15 Prozent aller Krankschreibungen werden durch Atemwegserkrankungen verursacht, und über zehn Prozent aller Todesfälle in Deutschland werden auf bronchopulmonale Erkrankungen zurückgeführt. Die durch Lungenerkrankungen bedingten Gesamtkosten belaufen sich jährlich auf nahezu 38 Milliarden DM (17).
Bei Atemwegserkrankungen ist die Bronchialschleimhaut mehr oder weniger stark entzündet. Infolgedessen wird die normale und für eine effektive mukoziliäre Clearance nötige Zusammensetzung des Drüsensekrets verändert, wodurch ein reibungsloser Abtransport von Krankheitserregern und Schadstoffen nicht mehr gewährleistet ist. Die entzündete und geschwollene Bronchialschleimhaut und der zähflüssiger werdende Schleim führen zu den Symptomen Husten, Atemnot und Auswurf.
Während Kleinkinder jährlich etwa vier- bis achtmal an einer meist viral bedingten akuten Bronchitis erkranken, leiden Erwachsene etwa zwei- bis dreimal pro Jahr an einer solchen Infektion. Bei Säuglingen und Kleinkindern führen die Infekte häufig zu Sekretstau und Schleimhautschwellung mit nachfolgender Verlegung der Atemwege durch zähen Schleim. Wegen des geringen Lumens der Atemwege bei Kleinkindern können schon geringe Sekretansammlungen die Luftwege dramatisch einengen. Daher haben expektorierende Maßnahmen bei der Bronchitis von Säuglingen und Kleinkindern eine zentrale Bedeutung und werden von Pädiatern für unverzichtbar gehalten.
Innerhalb der Lungenerkrankungen dominiert die chronische Bronchitis, die nach Definition der WHO dann vorliegt, wenn in mindestens zwei aufeinander folgenden Jahren mindestens drei Monate lang in der Mehrzahl der Tage Husten und/oder Auswurf auftreten. Hauptsymptom der chronischen Bronchitis ist eine vermehrte Schleimproduktion. Etwa 15 bis 20 Prozent der chronischen Bronchitiker entwickeln im Lauf der Zeit eine Atemwegsobstruktion; die fortschreitende Atemnot schränkt die Belastbarkeit erheblich ein. Ohne Intervention tritt der Tod bei diesen Patienten im Mittel zehn Jahre früher ein als bei lungengesunden Menschen (17). Eine Verringerung der Exazerbationsrate durch Expektorantien kann den Krankheitsverlauf verbessern und ist mit einem erheblichen Nutzen für den Patienten verbunden, insbesondere hinsichtlich der Gefahr, beim Voranschreiten der chronischen Bronchitis eine Rechtsherzinsuffizienz zu entwickeln.
Sowohl bei akuter als auch bei chronischer Bronchitis führt eine ver-mehrte Produktion von meist zähem Schleim reflektorisch zum Husten, der das übermäßige Sekret abtransportieren soll. Ziel der Therapie ist es, die Symptomatik durch Verbesserung der Expektoration mittels Sekretolyse und Mukolyse zu lindern und eventuell auftretenden Bronchospasmen vorzubeugen. Extrakte aus Efeublättern können das Sekret durch Sekretolyse und Mukolyse verflüssigen und so das Abhusten erleichtern. Spasmolytische Effekte wirken einer bei Atemwegsinfekten häufig auftretenden bronchialen Obstruktion entgegen (22, 24, 31).
Weltweit verbreitet
Efeu (Hedera helix L.) ist eine windende Pflanze mit Haftwurzeln, mit denen sie an Bäumen oder Mauerwek emporwachsen kann. Ihre immergrünen Blätter sind an den nicht blühenden Zweigen drei- bis fünfeckig gelappt und weiß geadert. Die Blätter der Blütenzweige sind dagegen ganzrandig und rautenförmig bis lanzettlich geformt. Diese Form der Heterophyllie bedingt, daß sich in der im Frühjahr bis Frühsommer gesammelten Droge gelegentlich sowohl die gelappten Blätter nicht blühender Zweige als auch die ganzrandigen Blätter der Blüten bildenden Zweige befinden.
Efeu ist - mit verschiedenen Subspezies - fast über die gesamte Erde verbreitet. Seit Jahrhunderten wird die Pflanze in unterschiedlichen Darreichungsformen gegen die verschiedenen Erkrankungen eingesetzt. Bereits in der Volksmedizin des 19. Jahrhunderts fanden Blattabkochungen der Efeupflanze unter anderem gegen Katarrhe der Atemwege Verwendung. Auch heute noch werden Atemwegserkrankungen erfolgreich mit Efeuextrakten behandelt. Weiterhin sind antivirale (29), antimykotische (15, 36, 39), anthelminthische (16), molluskizide (13), zytotoxische (28) und antiexsudative (37) Wirkungen für Efeublätter und seine Inhaltsstoffe beschrieben.
Inhaltsstoffe von Efeuextrakten
Die therapeutisch wichtigsten Substanzen der Efeublätterextrakte gehören der Klasse der Triterpensaponine an. Es handelt sich um Saponinglycoside vom Hederacosid-Typ, die die expektorierende Wirkung bedingen. Hauptsaponin ist das bisdesmosidische Hederacosid C und das daraus durch Esterhydrolyse entstehende alpha-Hederin, das die bedeutsame Komponente für die spasmolytische Wirkung darstellt. Ein schnelles Ergebnis zur Identifizierung und Gehaltsbestimmung der Triterpensaponine in einem handelsüblichen Efeublätter-Trockenextrakt läßt sich durch HPLC mit UV-Detektion erzielen (38).
Der Anteil der Inhaltsstoffe hängt von der jeweiligen Methode der Extraktherstellung ab, so daß Extrakte aus Efeublättern, die nach unterschiedlichen Verfahren hergestellt werden, durchaus in ihrer Wirkung variieren können.
Da für Efeublätter-Trockenextrakte und ihre Inhaltsstoffe eine Reihe von Wirkungen beschrieben wird, jedoch die Mehrzahl der volksmedizinisch überlieferten Anwendungen (8) bis heute nicht ursächlich geklärt ist, sollte sich die therapeutische Wirksamkeit nicht nur auf die derzeit anerkannte Indikation Bronchialerkrankungen und die hierfür ursächlich verantwortlich gemachten Inhaltsstoffe beschränken. Diese Vermutung wird unterstützt durch den Nachweis zahlreicher, zum Teil noch unbekannter Inhaltsstoffe. Das Übersichtschromatogramm zeigt im ELS-Detektor eine Vielzahl von verschiedenen Substanzen in einem handelsüblichen Efeublätter-Trockenextrakt, wobei der Anteil an Saponinen an der Gesamtmenge der Inhaltsstoffe lediglich etwa zehn Prozent beträgt. Weitere Inhaltsstoffe sind Flavonoide vom Typ des Rutins sowie zahlreiche Pflanzensäuren wie Chlorogen- und Kaffeesäure sowie ihre Derivate.
Therapeutisch relevante Wirkungen
Die expektorierende Wirkung basiert auf einem sekretolytischen und mukolytischen Effekt der Hederaglycoside, bedingt durch deren Saponincharakter. Über parasympathische afferente Fasern wird die Sekretolyse durch reflektorische Stimulation der Becherzellen in den Bronchien und Bronchialdrüsen gestartet (27). Die daraufhin einsetzende vermehrte Flüssigkeitsproduktion verringert die Schleimviskosität mit der Folge eines erleichterten Abtransports. Gleichzeitig wird aufgrund der oberflächenaktiven Wirkung der Saponine die Oberflächenspannung des Schleims herabgesetzt; damit erklärt man die Mukolyse. Der Schleim wird dünnflüssiger. Dies ermöglicht die zuvor verhinderte Zilienbewegung und beschleunigt den Flimmerstrom; der Schleim kann besser abtransportiert werden.
Die antiobstruktive Wirkung beruht auf einer spasmolytischen Aktivität der Inhaltsstoffe auf die Bronchialmuskulatur. Diese spasmolytische Wirkung wurde sowohl in vitro am isolierten Meerschweinchen-Ileum (35) als auch in vivo an der Antagonisierung einer induzierten Vermehrung des Kotausstoßes bei Mäusen gemessen. Weiterhin konnte bei Meerschweinchen ein ausgelöster Bronchospasmus aufgehoben werden (3). Das Ausmaß der spasmolytischen Wirksamkeit wurde mit dem direkt an der Muskelfaser angreifenden Papaverin als Referenzpräparat gemessen.
Klinische Ergebnisse
Die bisher publizierten Studien zur klinischen Wirksamkeit wurden mit einem in einem Spezialverfahren hergestellten Trockenextrakt aus Efeublättern (Prospan®) in unterschiedlichen Darreichungsformen ausgeführt. Bereits in den fünfziger Jahren wurden Untersuchungen publiziert, in denen sich dieser Extrakt sowohl bei Kindern als auch bei etwa 240 Erwachsenen mit Pertussis oder Bronchialerkrankungen als wirksames und sehr gut verträgliches Therapeutikum erwies. Im Vergleich zur Kontrollgruppe verkürzte sich die Erkrankungsdauer um bis zu zehn Tage (5, 20, 34).
In weiteren Untersuchungen an rund 500 Kindern, darunter etwa fünfzig Säuglinge, die an chronisch obstruktiven Atemwegserkrankungen mit teilweise spastischen Bronchitiden, Keuchhusten, Tracheitiden und Tracheo-Bronchitiden litten, führte die Therapie in fast allen Fällen zu einer deutlichen Besserung der Symptome oder zur Beschwerdefreiheit (4, 6, 14, 32, 33). Ebenso gute Ergebnisse zeigte die Therapie bei insgesamt etwa 230 Erwachsenen mit akuten und chronischen Bronchitiden (1, 2, 19, 30) und bei 260 Kindern mit Keuchhusten, spastischer oder unkomplizierter Bronchitis (33).
Auch in neueren Untersuchungen wurden die positiven Resultate deutlich bestätigt. Die sekretolytische und antiobstruktive Wirksamkeit in der praktischen Anwendung wurde bei 113 Kindern mit obstruktiven Atemwegserkrankungen in einer multizentrischen Untersuchung an pneumologischen Zentren nachgewiesen (18). Weiterhin konnte in einer doppelblind angelegten klinischen Studie im Vergleich mit dem synthetischen Mukolytikum Ambroxol gezeigt werden, daß der Extrakt aus Efeublättern bei 99 Patienten mit chronischer, teilweise obstruktiver Bronchitis hinsichtlich objektiver (Spirometrie und Auskultation) und subjektiver (Patiententagebuch) Parameter ebenso wirksam war wie Ambroxol - tendenziell sogar besser (25). Auch die rektale Anwendung von Suppositorien erwies sich als wirksam, wenn die veränderte Bioverfügbarkeit berücksichtigt wurde: Zur Erzielung einer äquivalenten Wirkung muß bei rektaler Applikation etwa 4,5-fach höher dosiert werden als bei oraler Gabe einer ethanolischen Zubereitung (21).
Ein Vergleich der verschiedenen oralen Darreichungsformen zeigte, daß der Zusatz von Ethanol offenbar die Wirksamkeit des Efeuextraktes verbessert, so dass bei einer wässrigen Zubereitung eine etwa 2,5-fach höhere Dosierung erforderlich ist als bei einer ethanolischen (7). Dieses Ergebnis wurde durch eine aktuelle Untersuchung zur Wirksamkeit des ethanolischen Extraktes im Vergleich mit einem handelsüblichen Ethanol-freien Präparat bestätigt (9). Auf Basis dieser Ergebnisse sind die Dosierungsempfehlungen für Ethanol-freie Zubereitungen von Efeublätterextrakten sicher neu zu überdenken.
In einer aktuellen, doppelblind und cross-over angelegten klinischen Studie war der Spezialextrakt bei Kindern mit obstruktiven Atemwegserkrankungen gegenüber einer Placebo-Behandlung klinisch deutlich und statistisch signifikant überlegen (22). Dabei zeigte sich, daß der bronchodilatierende Effekt drei Stunden nach Einnahme des Präparates mit dem eines inhalativen ß2-Sympathomimetikums, zum Beispiel Fenoterol, nahezu vergleichbar ist. Dadurch bestätigen sich die bereits von Dietrich Hofmann (Universitätsklinikum Frankfurt/M., Zentrum für Kinderheilkunde) in zwei gutachterlichen Stellungnahmen getroffenen Aussagen (11, 12). Die gute Wirksamkeit und Verträglichkeit des Präparates wurde auch in einer aktuellen Untersuchung unter Praxisbedingungen bei 248 Patienten mit entzündlichen Atemwegserkrankungen bestätigt (10).
Der Trockenextrakt aus Efeublättern ist somit nachgewiesenermaßen ein wirksames und gut verträgliches Therapeutikum bei obstruktiven Atemwegserkrankungen, das sekretolytisch und mukolytisch den Abtransport eines übermäßig produzierten dyskrinen Mukus fördert und antiobstruktiv wirkt. Dabei ist die spasmolytische Wirkung mit der eines ß2-Sympathomimetikums wie Fenoterol nahezu vergleichbar.
Literatur:
Anschrift der Verfasser:
Hartmut Landgrebe,
Professor Dr. Rudolf Matusch,
Philipps-Universität Marburg,
Fachbereich Pharmazie,
Marbacher Weg 6,
35037 Marburg
Dr. Frank Runkel,
Dr. Martina Hecker (Korrespondenzautorin),
Engelhard GmbH,
Sandweg 94,
60316 Frankfurt/M.
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