In Arzneimitteln schwer zu ersetzen |
Titandioxid ist als stark deckender Weißmacher in vielen Arzneimitteln als Hilfsstoff enthalten. Soll er ausgetauscht werden, kann das für die Hersteller mit erheblichem Aufwand verbunden sein. / Foto: Getty Images/Wataru Yanagida
Titandioxid (TiO2) dient als Farbstoff, Trübungsmittel oder als Schutz gegen UV-Strahlung. Es war als E 171 in Lebensmitteln multipräsent, bis die EU-Kommission in diesem Jahr die Zulassung von TiO2 als Lebensmittelzusatzstoff aufhob. Ausschlaggebend war ein Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) vom 6. Mai 2021, in dem die Autoren ein genotoxisches Potenzial des Weißpigments nicht ausschließen konnten. Untersuchungen hatten gezeigt, dass TiO2 DNA- und Chromosomen-Schäden verursachen kann.
Die Hinweise auf eine krebserzeugende Wirkung von TiO2 stammen allerdings größtenteils aus Tierversuchen und sind nicht einheitlich. Humanstudien und gezielte epidemiologische Untersuchungen zu möglichen gesundheitlichen Effekten liegen nicht vor. Dass bei der Bewertung der Studienlage Details eine Rolle spielen können, zeigte sich erst kürzlich, als der Gerichtshof der Europäischen Union die Einstufung von TiO2 in Pulverform als »krebserregend«, die die EU-Kommission 2019 vorgenommen hatte, für nichtig erklärte.
Eine wesentliche Rolle für das Gefährdungspotenzial von TiO2 scheint die Partikelgröße zu spielen. Partikel unter 100 nm gelten als besonders bedenklich, da sie in Zellen eindringen und dort Entzündungen hervorrufen können. Mittlerweile ist bekannt, dass bis zu 50 Prozent der TiO2-Partikel in Lebensmitteln kleiner sind als 100 nm und 1 Prozent kleiner als 30 nm. Es fehlen allerdings auch hier Studien zum krebserzeugenden Potenzial speziell von TiO2-Nanopartikeln nach oraler Exposition.
In Arzneimitteln ebenso wie in Kosmetika – in Letzteren unter der INCI-Bezeichnung CI 77891 – dürfen Hersteller TiO2 weiterhin einsetzen. Diese Ungleichbehandlung gegenüber den Lebensmitteln begründet ein Sprecher des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gegenüber der PZ so: »Es muss berücksichtigt werden, dass durch den Verzicht auf TiO2 in Arzneimitteln möglicherweise deren Wirkung, Sicherheit und pharmazeutische Qualität verändert werden kann. Bei einem sofortigen vollständigen Verzicht auf TiO2 als Zusatzstoff für Arzneimittel wären erhebliche Arzneimittelengpässe auf dem EU-Markt zu erwarten.«
TiO2 ist in der Arzneimittelherstellung ein bewährter Hilfsstoff. Es kann mit seinen stark deckenden Eigenschaften bereits in niedriger Konzentration einen Lichtschutz sicherstellen. TiO2 lässt sich zudem gut verarbeiten und zeichnet sich durch hohe Reinheit aus. Es kann in fast allen Arzneiformen enthalten sein, färbt Granulate und Pulver sowie Pasten und Suspensionen und ist in Tabletten oder der Hülle von Hart- und Weichkapseln zu finden.
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) beziffert die Anzahl an titandioxidhaltigen Arzneimitteln in Europa auf 91.000. Für Patienten, vor allem chronisch Kranke die (mehrmals) täglich betroffene Präparate anwenden müssen, kann das beunruhigend sein. Zur Sorge trägt weiterhin bei, dass die EFSA 2021 in ihrem Gutachten darauf hinwies, dass sich TiO2-Partikel im Körper anreichern können. Es lasse sich keine sichere Menge für die tägliche Aufnahme definieren, hieß es dort.
Allerdings gibt es keine gleichwertige Alternative zu TiO2, die das Erscheinungsbild der Darreichungsform nicht wesentlich verändert. Für jedes betroffene Arzneimittel muss daher eine individuelle neue Formulierung gefunden – und geprüft – werden. Das kann mit erheblichem Aufwand verbunden sein, wie aus einem Frage-und-Antwort-Dokument der EMA zu TiO2 hervorgeht.
In der Regel werden Hersteller TiO2 durch andere Stoffe ersetzen müssen. Alternativen müssen ähnliche funktionelle Eigenschaften aufweisen und dürfen nicht mit anderen Komponenten des pharmazeutischen Produkts reagieren. Zu beachten ist ferner, dass von TiO2 nur geringe Mengen im Arzneimittel benötigt werden, von anderen Hilfsstoffen vermutlich deutlich mehr. Ersatzstoffe müssen in ausreichender Menge verfügbar sein, patienten- und umweltverträglich sein und den geforderten Qualitätsstandards für Hilfsstoffe in Arzneimitteln zum Beispiel bezüglich der Reinheit entsprechen.
Als mögliche Alternativen werden einige Carbonate wie Magnesiumcarbonat oder Calciumcarbonat genannt, eine Kombination aus Calciumcarbonat und Isomalt, Phosphate wie Dicalciumphosphat, Talkum oder Stärken wie Reisstärke. Keiner dieser Hilfsstoffe ist eine ideale Lösung. Calciumcarbonat und Talkum sind beispielsweise reaktiver als TiO2 und schlechter als Lichtschutz geeignet. Ein mangelnder Reinheitsgrad, Probleme in der Lieferkette oder schlechtere galenische Eigenschaften sind weitere Nachteile von möglichen Alternativen. Ersetzen Hersteller TiO2 einfach durch andere Pigmente wie Eisenoxide, beeinflusst das die Farbe. Ein verändertes Erscheinungsbild ihres Arzneimittels verwirrt Patienten und kann die Akzeptanz des Mittels gefährden.
Änderungen bei Arzneimitteln müssen daher wohlbedacht werden und sind zeit- und kostenaufwendig. Der Hersteller muss Entwicklungsarbeit leisten und die vorgeschlagenen Änderungen bei der zuständigen Behörde einreichen. Es wird daher eine Zeit lang dauern, bis alle Rezepturen umgestellt sind. Laut dem BfArM-Sprecher drängt die EU-Kommission gegenüber den Herstellern darauf, die Suche nach Alternativen zu beschleunigen.
Besorgte Patienten kann das Apothekenteam beruhigen, dass die Behörden von keiner akuten Gesundheitsgefahr ausgehen. Für einige Wirkstoffe stehen bereits titandioxidfreie Formulierungen zur Verfügung. Bei pharmazeutischen Bedenken kann das Apothekenteam ein solches Präparat wählen.
In anderen Fällen bleibt noch eine Therapieumstellung durch den Arzt, wenn die Adhärenz des Patienten sonst gefährdet ist. Auf ein wichtiges Medikament zu verzichten, sollte keine Lösung sein. Damit schaden sich die meisten Patienten vermutlich mehr, als wenn sie minimale Mengen TiO2 mit ihrem Arzneimittel aufnehmen.