„Ich will langjährig eingefahrene Prozesse anpacken“ |
Der Industrieapotheker Martin Braun möchte der nächste Kammerpräsident in Baden-Württemberg werden. / Foto: privat
Mitte Juli wurden die Ergebnisse der Kammerwahlen in Baden-Württemberg bekannt. Rund 3300 Apothekerinnen und Apotheker aus den Wahlbezirken Nord- und Südwürttemberg sowie Nord- und Südbaden gaben ihre Stimme ab. Unter den gewählten Mitgliedern der neuen Vertreterversammlung sind einige gut bekannte Namen . Der während der Coronavirus-Pandemie medial bekannt gewordene Apotheker Björn Schittenhelm konnte im Bezirk beispielsweise die meisten Stimmen holen, sogar noch vor dem amtierenden Kammerpräsidenten Günther Hanke. Aber auch andere bekannte Standesvertreterinnen und Standesvertreter, wie etwa Silke Laubscher, die auch im geschäftsführenden ABDA-Vorstand sitzt, sind wieder in die Versammlung gewählt worden.
Am 15. September kommt die Vertreterversammlung zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Unter anderem wird ein neuer Vorstand gewählt. Gegenüber der PZ erklärte Hanke, dass er keine Verlängerung seines Amtes anstrebe und seinen Hut nur in den Ring werfe, wenn es keine anderen Kandidaturen gibt. Doch mindestens eine wird es geben. Der Industrieapotheker Martin Braun, der seit etwa 25 Jahren für die Schwabe-Gruppe arbeitet, hat bereits bekanntgegeben, als Präsident kandidieren zu wollen. Im PZ-Interview erläutert er seine Ziele.
PZ: Herr Braun, nach vielen Jahren im Vorstand der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg wollen sie nun Kammerpräsident werden. Was hat Sie zu dieser Kandidatur bewegt?
Braun: 2002 wurde ich erstmals in die Vertreterversammlung gewählt, im gleichen Jahr wurde Dr. Hanke Kammerpräsident. Er hat der Kammer damals sehr gut getan – es brodelte an allen Ecken und Enden. Nicht zuletzt durch seine Erfahrungen im eigenen Beratungsunternehmen, in seiner Apotheke und der Tätigkeit als Präsident der Arbeitsgemeinschaft für pharmazeutische Verfahrenstechnik (APV) hat er die Kammer wieder in ruhigeres Fahrwasser gebracht. Allerdings geht nach so vielen Jahren an der Spitze der Kammer letztlich auch ein wenig der Schwung verloren. Auch mit Blick auf die Veränderungen, die auf die Apothekerschaft in den kommenden Jahren zukommen, braucht die Kammer jetzt ein Führungs-Team, das auch einmal »Outside the Box« denkt und langjährig eingefahrene, aber manchmal auch ineffiziente Prozesse anpacken und verändern will. Dabei möchte ich gerne mithelfen.
PZ: Welche Prozesse wollen Sie denn anpacken und verändern?
Braun: Es gibt sicher eine ganze Reihe an Geschäftsprozessen, die in Apotheken, aber auch in der Kammer umgestaltet und verbessert werden könnten. Zum Beispiel würde ich gerne die Kommunikation zwischen allen Kammermitgliedern durch digitale Kanäle vereinfachen und unkomplizierter gestalten. Auch im Kammervorstand hat uns die Pandemie gezeigt, dass durch digitale Kommunikation ein viel schnellerer Austausch möglich ist. Per Videokonferenz können wir so auch zwischen den Vorstandssitzungen dringende Themen effizient und schnell behandeln. Auch die Kammern untereinander müssen sich besser vernetzen. Natürlich brauchen wir ein föderales System bei den Apothekerkammern. Aber wieso kann es keinen Marktplatz der Ideen geben, auf dem gute Ideen aus einzelnen Kammern vorgestellt und dann gegebenenfalls in anderen Regionen umgesetzt werden? Wir haben beispielsweise ein mit einfachen Mitteln zu etablierendes, digitales System der Notdienst-Aushänge für die Apotheken entwickelt – warum soll das nicht auch in anderen Kammerregionen genutzt werden können?
PZ: Die Kommunikation mit den Mitgliedern sprachen sie auch an. Immer wieder gibt es Fragen und Vorwürfe in Richtung Standespolitik, nach denen die Berufsvertretung zu weit weg vom Apothekenalltag sei. Was wollen Sie dagegen tun?
Braun: Ich möchte den Mitgliedern den Mehrwert der Kammer gerne noch stärker erlebbar machen. Ein Beispiel: Immer wieder werden die Apotheker vor Ort von Kunden auf in den sozialen Medien oder der Tagespresse kontrovers diskutierte Themen aus dem Gesundheitsbereich angesprochen. Darauf haben unsere Kollegen manchmal nicht sofort eine fundierte Antwort. Wenn die Apothekenteams beispielsweise auf die Kanzerogenität von Titandioxid angesprochen werden, wäre es gut, wenn sie knapp und verständlich aufbereitet Antwort-Hilfen parat hätten. Für solche aktuellen, fachlichen Themen könnten im neuen Kammervorstand an Inhalten ausgerichtete Ressorts gebildet werden.
PZ: Sollten Sie Kammerpräsident werden, wird die Kammer weiterhin nicht von einem aktiven Apothekeninhaber angeführt – schließlich ist auch Herr Hanke kein Inhaber mehr. Ist das kein Problem für die Kammer?
Braun: Ich würde gerne wegkommen von dieser Lagerbildung unter Apothekern. Ob Industrie-, Klinik- oder Vor-Ort-Apotheker – wir alle handeln aus dem Selbstverständnis Apotheker zu sein heraus. Ich sehe auch keine scharfe Trennung zwischen Industrie- und Vor-Ort-Apothekern. Denn die Produkte, die wir entwickeln und auf den Markt bringen, werden von den Kollegen vor Ort erklärt und an die Kunden abgegeben, wir ergänzen uns also optimal. Hinzu kommt, dass ich für Schwabe schon seit fast 20 Jahren auf dem gesundheitspolitischen Parkett unterwegs bin und über ein gutes Netzwerk auf Landes- und Bundesebene verfüge. Wie auch schon bisher als Vorstand möchte ich dieses Netzwerk gerne auch künftig nutzen, um die Apothekerschaft insgesamt weiterzubringen.
PZ: Was sind denn Ihre Schwächen?
Braun: Aufgrund meines Jobs muss ich meist Probleme sehr schnell angehen und dann auch schnell entscheiden. Da kann es schon vorkommen, dass ich Alternativ-Optionen nur unzureichend in Betracht ziehe. Es ist mir wichtig, dass ich Menschen um mich herum habe, die mir manchmal sagen: »Hey, betrachte das nochmal aus einer anderen Perspektive!«
PZ: Der Apothekenmarkt steht vor großen Veränderungen. Durch die Einführung des E-Rezeptes werden sich nicht nur neue Vertriebskanäle, wie beispielsweise Plattformen ergeben, auch das Verhältnis zum Kunden wird sich ändern. Wie wollen Sie diese Veränderungen begleiten?
Braun: Alles wird davon abhängen, ob wir als Apothekerschaft es schaffen, den Mehrwert unseres Berufsstandes und der Apotheke vor Ort aufzuzeigen. Ich glaube nicht daran, dass man die Bedeutung der pharmazeutischen Kompetenz mit einer großen Hauruck-Aktion unters Volk bringen kann. Wir brauchen auch viele lokale Einzelgespräche – insbesondere mit Politik und Verwaltung. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass gerade in den entscheidenden politischen Kreisen der Wert der inhabergeführten Apotheke oft nicht präsent ist. Bezeichnend war aus meiner Sicht, dass vielen Politikerinnen und Politikern erst während der Coronakrise so richtig vor Augen geführt wurde, was man mit dem niedrigschwelligen, kompetenten Apothekensystem alles erreichen kann. Insofern denke ich, dass die Kammern insgesamt viel selbstbewusster auftreten können. Das gilt aber auch für die Arbeit an der Basis. Die Kollegen sollten ihren Kunden noch viel stärker transparent machen, wie wertvoll die pharmazeutische Leistung in den Apotheken ist.
PZ: Wie kann das gelingen?
Braun: Ich glaube, dass eine der wichtigsten Funktionen der Apotheken das »Übersetzen« ist. Wir sind oft die ersten Ansprechpartner für pharmazeutisch-medizinische Fragen der Patienten. Komplexes Wissen müssen wir dann in einfache Sprache übersetzen. Die Patienten müssen spüren, dass genau dies eine wichtige Leistung für sie darstellt.
PZ: Als Kammerpräsident würden Sie die Kammer auch bei Sitzungen der ABDA, beispielsweise im Gesamtvorstand vertreten. Bekommen die ABDA-Gremien mit Ihnen eine ABDA-kritische Stimme oder schätzen Sie die Arbeit der Berliner Standesvertretung?
Braun: Ich bin ein ABDA-Fan. Alle Apothekerinnen und Apotheker Deutschlands werden von einer Organisation vertreten und zwar unabhängig von deren Beschäftigungsfeld – das ist außergewöhnlich! Die von einigen Kollegen geäußerte Kritik empfinde ich oft als nicht angemessen. Denn insbesondere in den letzten knapp zwei Jahren haben Friedemann Schmidt, Gabriele Regina Overwiening, Fritz Becker und jetzt Thomas Dittrich doch sehr viel erreicht für uns Apotheker! Es gibt nach außen kein gutes Bild ab, wenn man sich als zerstrittene Berufsvertretung präsentiert und so eine selbst verursachte Angriffsfläche bietet. Vielleicht sollte die ABDA manchmal ihre Erfolge und ihr Agieren transparenter und besser kommunizieren, damit die Kollegen an der Basis mehr Verständnis haben. Wir allerdings müssen auch verstehen, dass die ABDA nicht alles ans »Schwarze Brett« hängen kann.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.