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Tocilizumab bei Covid-19

Hilft es oder hilft es nicht?

Bei fortgeschrittenem Covid-19 kommt es zu einer Überreaktion des Immunsystems. Der Antikörper Tocilizumab soll diese dämpfen. Jetzt erschienen neue Studienergebnisse – eine eindeutige Antwort bringen sie leider nicht.
Daniela Hüttemann
21.01.2021  14:12 Uhr

Der monoklonale Antikörper Tocilizumab (RoActemra® von Roche) kam 2009 in Deutschland auf den Markt und ist zugelassen zur Behandlung schwerer, aktiver und progressiver rheumatoider Arthritis (RA). Er bindet spezifisch sowohl an lösliche als auch an membrangebundene IL-6-Rezeptoren. Hierdurch wird die entzündungsfördernde Wirkung von Interleukin-6 (IL-6) gehemmt. Bereits seit Beginn der Coronavirus-Pandemie wird er auch bei schwer kranken Covid-19-Patienten im Rahmen klinischer Studien eingesetzt, um schwere Immunreaktionen zu unterdrücken.

Anfang Januar wurden nun neue Daten zur REMAP-CAP-Studie auf dem Preprint-Server »medRxiv« veröffentlicht. In der Studie werden verschiedene Therapeutika bei ambulant erworbenen Lungenentzündungen durch verschiedene Erreger getestet. In einem Studienarm mit schwer kranken Covid-19-Patienten konnte Tocilizumab das Sterberisiko senken. Anders sah es in der TOCIBRAS-Studie aus, deren Ergebnisse am Mittwoch im »British Medical Journal« erschienen sind. Dort verbesserten sich die klinischen Outcomes innerhalb von 15 Tage nicht und die Sterblichkeit war unter Tocilizumab sogar erhöht gegenüber alleiniger Standardbehandlung. Damit bleibt der Nutzen der Tocilizumab-Therapie weiterhin unklar.

Von der REMAP-CAP-Studie wurden nun Daten von 803 kritisch erkrankten Patienten ausgewertet (NCT02735707). 353 hatten innerhalb von 24 Stunden nach Beginn organ-supportiver Maßnahmen 8 mg Tocilizumab pro Kilogramm Körpergewicht bekommen und 48 den Antikörper Sarilumab (400 mg), ebenfalls ein IL-6-Rezeptorantagonist. 402 Patienten dienten als Kontrolle mit Standardbehandlung (ohne Placebo). 

»Wir haben festgestellt, dass bei kritisch kranken erwachsenen Patienten, die auf der Intensivstation Atemunterstützung erhalten, die Behandlung mit diesen Medikamenten ihre Überlebenschancen und Genesungschancen verbessern kann«, resümiert Studienleiter Professor Dr. Anthony Gordon vom Imperial College London. So konnten die beiden Immunmodulatoren die Mortalität um 8,5 Prozent senken. Die Medikamente verkürzten darüber hinaus die Behandlungsdauer auf der Intensivstation um eine Woche. Gordon sprach von einem bedeutenden Befund, der unmittelbare Auswirkungen auf die am schwersten erkrankten Patienten mit Covid-19 haben könnte.

Höhere Sterblichkeit unter Tocilizumab in Brasilien

Brasilianische Ärztinnen und Ärzte haben weniger gute Erfahrungen gemacht, wie eine Gruppe um die Intensivmedizinerin Viviane C. Veiga jetzt im »British Medical Journal« berichtet. Bei ihnen waren die klinischen Parameter 15 Tage nach der Behandlung, die aus einer Einmaldosis besteht, unter Tocilizumab nicht besser als unter alleiniger Standardbehandlung. 

Tatsächlich waren bis dahin sogar mehr Patienten unter dieser zusätzlichen Therapie verstorben als unter Standardbehandlung. Daher wurde die Studie frühzeitig gestoppt. »Die heutigen Ergebnisse widersprechen früheren Beobachtungsstudien, die auf einen Nutzen von Tocilizumab hinweisen«, heißt es in einer Pressemitteilung des Fachjournals. Solche Daten aus Beobachtungsstudien gälten jedoch als begrenzt aussagekräftig, da ein hohes Risiko bestehe, dass sie auf andere unbekannte Faktoren zurückzuführen seien, zumal wenn einige Studiendaten wie bei REMAP-CAP noch nicht von unabhängigen Experten begutachtet und in einem medizinischen Fachjournal veröffentlicht worden seien.

Die Gründe für die unterschiedlichen Ergebnisse, etwa verschiedene Patientencharakteristika, müssten noch genauer untersucht werden, schreiben die TOCIBRAS-Autoren. An ihrer Studie nahmen 129 relativ junge schwer kranke Covid-19-Patienten teil (Durchschnittsalter 57 Jahre). 65 erhielten Tocilizumab, 64 nur die Standardbehandlung. An Tag 15 nach der Tocilizumab-Gabe waren 11 Patienten (17 Prozent) verstorben gegenüber zwei (3 Prozent) in der Vergleichsgruppe. Die Autoren stellen nun den antiinflammatorischen Therapieansatz über Corticosteroide hinaus infrage.

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