Herdenimmunität nicht in Sicht |
Theo Dingermann |
02.06.2020 10:00 Uhr |
Die Chance auf eine baldige Herdenimmunität gegen SARS-CoV-2 wird von vielen deutlich überschätzt. / Foto: Adobe Stock/blende11.photo
In einem interessanten Beitrag hat sich die »New York Times« kürzlich dem Thema Herdenimmunität gewidmet. Das Ergebnis ist ernüchternd: Alle seriös erhobenen Zahlen deuten darauf hin, dass global betrachtet der Prozentsatz der Menschen, die sich bisher mit SARS-CoV-2- infiziert haben und damit vor einer erneuten Infektion geschützt sind, immer noch im einstelligen Prozentbereich liegt. Das ist nur ein Bruchteil dessen, was erforderlich ist, um die Schwelle zur Herdenimmunität zu erreichen.
Wo diese für SARS-CoV-2 genau liegt, ist noch nicht definiert. Allerdings geht die Mehrzahl der Experten davon aus, dass sie zwischen 60 und 80 Prozent liegen muss. Ein niedrigeres Immunitätsniveau in der Bevölkerung kann die Ausbreitung der Infektion zwar etwas verlangsamen, aber erst der Herdenimmunitäts-Schwellenwert markiert den Punkt, an dem Infektionen mit wesentlich geringerer Wahrscheinlichkeit zu großen Ausbrüchen führen.
Selbst in einigen der am härtesten betroffenen Städte und Regionen der Welt ist die große Mehrheit der Menschen nach wie vor nicht immun gegen das Virus. Jüngere Studien zeigen, dass sich in der so massiv betroffenen Metropole New York bei 19,9 Prozent der Menschen, in London bei 17,5 Prozent der Menschen, in Madrid bei 11,3 Prozent der Menschen, in Wuhan bei 10 Prozent der Menschen, in Boston bei 9,9 Prozent der Menschen, in Stockholm bei 7,3 Prozent der Menschen und in Barcelona bei 7,1 Prozent der Menschen Anti-SARS-CoV-2-Antikörper nachweisen lassen.
So muss das Experiment einiger Länder, namentlich Schweden und für kurze Zeit auch Großbritannien, nur begrenzte Lockdown-Maßnahmen zu verhängen, um möglichst schnell eine Herdenimmunität aufzubauen, als krachend gescheitert betrachtet werden. Nahezu alle Studien deuten darauf hin, dass ein Schutz durch Herdenimmunität »in absehbarer Zeit wahrscheinlich nicht erreicht wird«, sagte Professor Dr. Michael Mina, Epidemiologe an der Harvard T.H. Chan School of Public Health, der »New York Times«.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.