GroKo-Zoff um Lockerung des Datenschutzes |
Ab Januar 2021 sollen alle Versicherten auf freiwilliger Basis elektronische Patientenakten nutzen können. Ob es der Großen Koalition gelingt, bis dahin die Bedenken beim Datenschutz aus der Welt zu schaffen, ist unklar. / Foto: Fotolia/vege
Das Spannungsfeld zwischen der Nutzung gesundheitsbezogener Daten zum Wohl der Gesellschaft und den hohen Ansprüchen an den Schutz sensibler Daten hierzulande hat dafür gesorgt, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Einführung der elektronischen Patientenakte (EPA) vertagen musste. Statt im Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG), das gestern im Bundesgesetzblatt erschien, will er die Regelungen in einem eigenen Gesetz festschreiben. Einen ersten Entwurf zum sogenannten DVG 2 kündigte Spahn für Januar 2020 an.
Doch bereits jetzt deutet sich an, dass der Zankapfel Datenschutz die Gesundheitspolitiker in Deutschland weiter beschäftigen wird. In einem Positionspapier vom 10. Dezember fordern die Berichterstatter der Unionsfraktion im Bundestag für Digitalisierung und Gesundheitswirtschaft, Tino Sorge (CDU), und für Gesundheitsforschung, Stephan Albani (CDU), eine »Kehrtwende für eine bessere Digitalisierung von Patientenversorgung und Gesundheitsforschung«. Ihr Ziel ist es, die Gesundheitsversorgung in Deutschland zu verbessern, Informationen für Ärzte und Patienten leichter zugänglich zu machen und die Forschung zu unterstützen.
Dazu legen Sorge und Albani einen Zehn-Punkte-Plan vor, in dem sie sich unter anderem für eine zentrale Bündelung der Daten aussprechen. Zudem sollen Bürger im Zuge der EPA-Einführung eine Möglichkeit erhalten, auf freiwilliger Basis ihre persönlichen Gesundheitsinformationen für die Forschung freizugeben.
Darüber hinaus gelte es, das deutsche Datenschutzrecht zu harmonisieren. »Durch die datenschutzrechtliche Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer besteht die Gefahr, dass einzelne Länder von den Vorteilen der Digitalisierung im Gesundheitswesen durch zu restriktive Vorgaben oder deren Auslegung abgehängt werden«, bemängeln Sorge und Albani. »Bundeseinheitliche Regeln zum Umgang mit Gesundheitsdaten, die den in diesem Bereich einmaligen Anforderungen an den Schutz von Daten, aber auch den enormen Chancen für die Forschung Rechnung tragen, sind überfällig.«
Die CDU-Männer halten es für »unabdingbar, die EU-Datenschutz-Grundverordnung nicht bloß als Hürde, sondern auch als Daten-Nutzungsverordnung zu verstehen«. Sie fordern, die darin enthaltene Öffnungsklausel »zugunsten der Gesundheitsversorgung hierzulande endlich zu nutzen und beispielsweise die Sekundärnutzung von Daten für die medizinische Forschung zu ermöglichen«.
Im Oktober hatte sich auch Spahn gemeinsam mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) in einem Gastbeitrag in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« für einen europäischen Weg beim Thema Datenschutz ausgesprochen. Zwar gelte es, vor allem personalisierte Informationen vor Missbrauch zu schützen. Einen marktwirtschaftlichen Wettbewerb befürworten sie aber, sofern ein gesellschaftlicher Mehrwert daraus resultiert. »Es wäre das Modell einer Art Sozialen Marktwirtschaft für den europäischen Datenraum: Der Staat sorgt für die Rahmenbedingungen, garantiert Sicherheit und sanktioniert Missbrauch – nach klaren, transparenten Regeln, die der demokratischen Kontrolle der Bürger unterliegen.«
Die SPD ist da anderer Ansicht. Erst vor wenigen Tagen pochte der Bundesdatenschutzbeauftragte, Ulrich Kelber (SPD), in einem Interview mit dem »Tagesspiegel« darauf, den Datenschutz hochzuhalten. »Wir wollen, dass Patienten von den Vorteilen der Digitalisierung profitieren – von besseren Versorgungsstrukturen, neuen Diagnosemöglichkeiten und Therapien, dem Verzicht auf unnötige Doppeluntersuchungen, dem automatischen Abgleich von Arzneiunverträglichkeiten und –nebenwirkungen«, sagte er dem Blatt. »Dafür soll aber niemand auf den Schutz seiner sensiblen persönlichen Daten verzichten müssen, auch nicht teilweise und auch nicht vorübergehend.« Die Patientendaten dürften nur für die jeweiligen Leistungserbringer, also für Ärzte, Krankenhäuser, Apothekern, einsehbar sein – und auch nur so weit, wie für ihre jeweilige Arbeit benötigt. »Ein abgestuftes Rechtekonzept muss von Anfang an Bestandteil der digitalen Patientenakte werden.«
Sollte es nötig werden, das Konzept EPA noch einmal gründlich zu überarbeiten, dürfte der geplante Starttermin am 1. Januar 2021 kaum zu halten sein. Das bereitet Dirk Heidenblut, Berichterstatter der SPD-Fraktion im Bundestag für E-Health und Telemedizin, große Sorge. »Wir brauchen jetzt eine schnelle Einigung innerhalb der Bundesregierung«, teilte er gestern mit. Der termingerechte Start der EPA dürfe nicht gefährdet werden. »Die EPA ist ein wichtiger und unverzichtbarer Baustein der Digitalisierung der Gesundheitsversorgung. Wenn sie nicht fristgerecht an den Start geht, dürfen die Versicherten nicht gezwungen sein, sich auf Modelle von Drittanbietern mit bedenklichen Datenschutzstandards einzulassen«, warnte Heidenblut. Das Bundesministerium für Gesundheit stehe jetzt in der Pflicht, einen konsensfähigen Gesetzentwurf vorzulegen.
Einen Kompromiss mit Einschränkungen beim Datenschutz lehnt der Abgeordnete jedoch strikt ab. »Alle selbsternannten Experten, die die aktuelle Verzögerung zum Anlass nehmen, um die so wichtigen Datenschutzstandards aufzuweichen, sollten sich zurückhalten«, ließ er wissen. »Ohne hohe Datenschutzstandards gewinnt die EPA nicht das Vertrauen der Patienten.« Dazu gehöre auch Vertrauen, dass gesetzte Zeitpläne eingehalten werden. »Ohne dieses Vertrauen scheitert das Projekt. Wir stehen alle in der Pflicht das zusammenzubringen.«