Gibt es eine natürliche SARS-CoV-2-Immunität? |
Theo Dingermann |
20.12.2022 07:00 Uhr |
Bei manchen Menschen blieben die Coronatests bisher negativ und sind somit nicht wissentlich an Covid-19 erkrankt. / Foto: Getty Images/D-Keine
Bis Ende letzten Jahres war es gar nicht so selten, Menschen zu treffen, die sich noch nicht mit SARS-CoV-2 infiziert hatten. Anfang 2022 tauchte Omikron auf und veränderte die Situation rasant. In den USA erreichte die Omikron-Welle am 20. Januar ihren Höhepunkt mit fast 2400 Fällen pro einer Million Menschen. In Deutschland wurde der Höhepunkt der Omikron-Welle Ende März erreicht. Zu dem Zeitpunkt wurden etwa 3000 Fälle pro einer Million Menschen gemeldet.
Doch trotz der hohen Infektionszahlen belegte eine Studie der US-Centers for Disease Control and Prevention (CDC), die am 29.April 2022 veröffentlicht wurde, dass basierend auf zufällig gezogenen Blutproben von Erwachsenen bis dahin nur 58 Prozent dieser Proben Antikörper enthielten, die darauf hinwiesen, dass sich die Probanden zuvor mit dem Virus infiziert hatten. Bei Kindern lag diese Rate bei 75 Prozent. Offenbar gibt es wohl immer noch Menschen, denen es gelungen ist, eine Infektion durch Vorsicht oder Glück zu vermeiden.
Oder gibt es tatsächlich »Never Coviders« – Menschen, die von Natur aus immun sind, vielleicht weil sie Genvarianten tragen, die es dem Virus unmöglich machen, Zellen dieser Personen zu infizieren? Darüber machen sich die »New York Times«-Redakteure Jonathan Wolfe und Wet Moser in einem Beitrag vom 14. Dezember Gedanken. Denn derartige Mutationen zu finden, wäre äußerst interessant, auch weil diese Hinweise auf immer noch dringend benötigte neue Behandlungsstrategien liefern könnten.
Natürliche Resistenzen sind bereits für andere Erreger bekannt. Das wohl bekannteste Beispiel ist eine Mutation im CCR5-Gen, dessen Produkt bei der Infektion von HIV eine Rolle spielt. Die sogenannte Δ32-Mutation im CCR5-Gen führt dazu, dass das HI-Virus CD4+- Zellen nicht mehr infizieren kann. Diese Entdeckung war nicht nur die Basis für die Entwicklung des HIV-Arzneistoffs Maraviroc (Celsentri®). Sie war auch der Schlüssel zur erfolgreichen Behandlung der sehr wenigen Menschen, die bisher von HIV geheilt wurden.
Ob es solche Mutationen, die zu einer SARS-CoV-2-Resistenz führen, gibt und welche dies sein könnten, sei noch unklar, so die Autoren. Infrage kommen Mutationen in Co-Rezeptorgenen, ähnlich wie im Fall der CCR5-vermittelten Resistenz. Denkbar wäre hier die transmembrane Serinprotease 2 (TMPRSS2), die bereits seit Langem als ein mögliches Target für Interventionen zum Schutz vor SARS-CoV-2 gilt. Denkbar wären zudem Mutationen im ACE2-Rezeptorgen mit der Konsequenz, dass die Viren einen solchen mutierten Rezeptor nicht mehr effektiv oder gar nicht mehr binden könnten.
In einer auf dem Preprintserver »Medrxiv« publizierten genomweiten Assoziationsstudie aus dem Jahr 2020, die anscheinend nie regulär erschien, wird eine seltene genetische Variante beschrieben, die die ACE2-Expression herunterreguliert und so das Risiko für Covid-19 reduziert. Darüber hinaus legt die Studie nahe, dass kombinierte genetische Varianten einen Risikowert definieren, mit dessen Hilfe sich schwere Covid-19-Verläufe vorhersagen lassen. Die Ergebnisse müssen aber noch bestätigt werden.
Ein internationales Forscherteam hat im Oktober 2021 eine weltweite Suche nach Menschen, die nie Covid bekommen, begonnen, wie es in einem »Nature«-Bericht heißt. Menschen, die sich trotz einer langen Expositionsdauer mit dem Virus (etwa beim engen Zusammenleben mit Infizierten) nicht angesteckt hatten, können sich für genetische Analysen melden. Allerdings wurde gleichzeitig vor überzogenen Erwartungen gewarnt. Denn wenn es so etwas wie eine genetische Resistenz gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geben sollte, warnte Dr. Isabelle Meyts, Kinderimmunologin und Ärztin an der Katholischen Universität Leuven in Belgien, gebe es möglicherweise »nur eine Handvoll« Menschen mit diesem Merkmal. Einen einzigen natürlich Resistenten zu identifizieren, sei aber schon ein Erfolg, sagt Hauptautor Dr. Evangelos Andreakos, Immunologe aus Athen.
Unstrittig ist, dass die Genetik eine Rolle dabei spielt, wie schwer Menschen an Covid-19 erkranken, wenn sie sich infiziert haben. So erhöhen manche Mutationen in den Genen für Komponenten des angeborenen Immunsystems das Risiko für schwere Verläufe. Daher scheint es plausibel, dass auch Varianten der unspezifischen Immunkomponenten einen schweren Krankheitsverlauf verhindern könnten, argumentieren Wolfe und Moser.
Ob es tatsächlich »Never-Covider« gibt, kann man bisher nicht sagen. Menschen, die glauben, dass sie sich bisher nicht angesteckt hätten, könnten sich auch unbemerkt infiziert und einen asymptomatischen Krankheitsverlauf gehabt haben. Aber auch dieser basiert auf einer Infektion. Diese Möglichkeit kann leicht durch einen immunologischen Test beispielsweise auf Antikörper gegen das N-Protein von SARS-CoV-2 ausgeschlossen werden.
Zudem haben auch die Impfungen die Dinge kompliziert, denn tatsächlich ist es auch denkbar, dass manche Menschen besonders gut durch ihr trainiertes Immunsystem vor einer Infektion geschützt sind. Mit einer Resistenz hat dies jedoch nichts zu tun.
Vor dem Hintergrund all dieser Ungewissheiten fragen sich die »New York Times »-Autoren, warum sich einige Menschen noch nicht angesteckt haben, obwohl sie prinzipiell infizierbar also nicht natürlich resistent sind. Haben sie einfach Glück gehabt? Oder haben sie sich besonders gut vor dem Virus geschützt? Von diesen Menschen zu lernen, ist sicherlich auch attraktiv. Offensichtlich finden sich solche Menschen gerade auch in den Heilberufen, wo man besonders häufig mit dem Virus konfrontiert war. Das mag auch daran liegen, dass hier sehr viel konsequenter auf den persönlichen Schutz Wert gelegt wird oder dass dieser gar strikt vorgeschrieben ist.
All diejenigen, die bisher noch von einer Infektion verschont geblieben sind, sollten nicht voreilig schließen, von Natur aus resistent zu sein, und auf Vorsichtsmaßnahmen verzichten. Die Chancen, von Natur aus immun zu sein, sind ziemlich gering. Und wie Omikron zeigt, so Wolfe und Moser, kann es sein, dass man einfach noch nicht mit der richtigen Variante in Berührung gekommen ist.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.