Gesundheit soll Prio Eins werden |
Die Europäische Union soll grenzübergreifende Gesundheitspolitik ganz oben auf ihre Agenda setzen, fordert Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der EVP. / Foto: Fotolia/view7
Berufspolitiker auf der EU-Ebene haben meist einen übervollen Terminkalender, hohen Zeitdruck und Dauerstress, um alle beruflichen Pflichten unter einen Hut zu bringen. Dass sie dann der Politik zeitweise den Rücken kehren, um in ihren alten Berufen der Gesellschaft einen größeren Nutzen bieten zu wollen, zeugt vom Ausmaß der aktuellen Coronavirus-Krise.
Peter Liese, CDU-Europaabgeordneter und gesundheitspolitischer Sprecher der Europäischen Volkspartei (EVP) hat genau das getan. Im Zuge der Pandemie arbeitete er vorübergehend wieder als Arzt, um seinen Angaben nach »das Gesundheitssystem für den Fall, dass Deutschland vom Coronavirus ähnlich hart getroffen worden wäre wie Italien, zu entlasten.« Auch seine Kollegen Manuel Pizarro (Portugal) aus der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D) und Chrysoula Zacharopoulou (Griechenland/Frankreich) aus der liberalen Fraktion Renew Europe waren zwischenzeitlich wieder als Ärzte tätig. Jetzt fordern die drei Abgeordneten in einem gemeinsamen, fraktionsübergreifenden Papier, dass der PZ vorliegt, aus diesen Erfahrungen zu lernen und die europäische Gesundheitspolitik voranzutreiben.
Die Politiker räumen ein, dass die EU bereits einige Schritte in die richtige Richtung eingeleitet hatte. Insbesondere die Maßnahmen, dass die Europäische Kommission EU-weit mehr als 100 Forscherteams finanziell in ihrer Arbeit an einem Coronavirus-Impfstoff unterstützt, die Änderung der Medizinprodukteverordnung (MDR), oder die neu ausgearbeitete Möglichkeit, Covid-19-Patienten in andere Länder zu transportieren und dort zu behandeln, erwähnt Liese.
Jedoch reichen die Maßnahmen nach Angaben der Unterzeichner nicht aus, um die EU zukünftig krisenfest zu gestalten. In acht Punkten beschreiben die EU-Politiker nun ihre Vorstellungen. Insgesamt müsse Gesundheitspolitik verstärkt Europasache werden und auf der Tagesordnung ganz nach oben wandern. Die Politiker kritisieren demnach, dass Gesundheitspolitik in der EU häufig als eine »rein nationale Angelegenheit« betrachtet würde. Der Vertrag über die Arbeitsweise der EU regle aber explizit in Artikel 114 und 168 den Gesundheitsbereich. So heißt es in Artikel 168, Paragraph 1 des Vertrags: »Die Tätigkeit der Union ergänzt die Politik der Mitgliedstaaten und ist auf die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, […] gerichtet. Sie umfasst die Bekämpfung der weit verbreiteten schweren Krankheiten […], außerdem umfasst sie die Beobachtung, frühzeitige Meldung und Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren.«
In einem ersten Schritt fordern Liese und seine Mitstreiter: »Das Europäische Parlament sollte ein spezielles Gremium für Gesundheitsfragen schaffen«. Konkret meinen die Parlamentarier damit eine verbesserte Zusammenarbeit in der Forschung, sowie eine europäische Koordination zur Versorgung mit medizinischer Ausrüstung und Material.
Aus der Coronavirus-Pandemie ziehen die Parlamentarier folgende Schlüsse: Das Personal und die Kompetenzen der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und des Zentrums für Seuchenbekämpfung (ECDC) müssen zügig aufgestockt werden. Zudem soll die Entwicklung von Impfstoffen gegen das SARS-CoV-2 beschleunigt und weiter unterstützt werden. Das Papier beschreibt, dass Europa alles tun müsse, »um zu verhindern, dass Präsident Trump, China oder andere einen zukünftigen Impfstoff oder ein Medikament exklusiv für ihre jeweiligen Länder vorbehalten«.
Lieferengpässe von Arzneimitteln, die Apotheken in den letzten Wochen immer wieder vor große Herausforderungen stellten, müssten dringend mithilfe eines europäischen Aktionsplans, beseitigt werden. Insgesamt soll das Ziel laut Liese sein, die Produktion von Medikamenten wieder verstärkt in die EU zurückzuverlagern. Die EU-Kommission veröffentlichte diesbezüglich erst vor wenigen Tagen ein erstes Eckpunktepapier für eine EU-weite Pharmastrategie.
Um die Coronavirus-Pandemie weiter einzudämmen, fordert das Papier der Gesundheitspolitiker die Förderung von digitalen Lösungen: »Wir brauchen schnell einen europäischen Raum für Gesundheitsdaten«. Die konkrete Ausgestaltung eines solchen europäischen Raums lässt das Papier offen.
Liese und seine Kollegen kritisieren unter anderem, dass sich der neue Finanzrahmen der Europäischen Kommission, der in den nächsten Tagen vorgelegt werden soll, nicht ausreichend auf den Gesundheitsbereich konzentriert. Ein eigenständiges und finanziell besser ausgestattetes Gesundheitsprogramm wird hier von Liese gefordert.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.