Gestatten, mein Name ist Remdesivir |
Sven Siebenand |
06.05.2020 11:00 Uhr |
Sollte Remdesivir in den klinischen Studien mit Covid-19-Patienten überzeugen, würde das dem Pharmaunternehmen Gilead sicherlich viele Einnahmen bescheren. Weltweit soll das Präparat dann Veklury® heißen. / Foto: picture-alliance/ Zuma Press
Angesichts der Tatsache, dass Remdesivir in immer mehr Studien mit Covid-19-Patienten untersucht wird, schenkt nicht nur die Fachpresse, sondern auch die Publikumspresse dem Arzneistoff viel Aufmerksamkeit. Die mediale Präsenz ist Grund genug, um Remdesivir noch einmal genauer vorzustellen. Zehn Fragen und zehn Antworten, die Apotheker interessieren könnten.
Frage 1: Wie wirkt Remdesivir?
Der Arzneistoff ist ein Prodrug, ein Nukleotid-Analogon von Adenosin. Intrazellulär wird es in die aktive Form überführt. Am Ende ist es also ein Analogon von ATP, das mit ATP konkurriert und letztlich das Virusenzym RNA-abhängige Polymerase (RdRp) hemmt. Ohne dieses Enzym kann das Virus nicht mehr replizieren.
Frage 2: Wirkt Remdesivir spezifisch auf SARS-CoV-2?
Nein, ursprünglich war die Substanz als Ebola-Medikament im Gespräch. Remdesivir ist wirksam gegen Filoviren. Dazu gehören zum Beispiel das Ebola- und das Marburg-Virus. Auch gegen Paramyxoviren wie das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV), das Nipah- und Hendra-Virus ist es wirksam. Last but not least macht Remdesivir auch anderen Coronaviren den Garaus, etwa dem MERS- und dem SARS-CoV-1-Erreger.
Frage 3: Wie wird Remdesivir verabreicht?
Der Wirkstoff wird intravenös appliziert. Er hat einen hohen First-Pass-Effekt und eignet sich nicht für eine orale Therapie. In Untersuchungen wirkte auch die intramuskuläre Gabe nur suboptimal.
Frage 4: Wie wird Remdesivir dosiert?
Die Initialdosis beträgt in der Regel 200 mg intravenös gefolgt von jeweils 100 mg an den nächsten Tagen. In vielen Studien bei Covid-19 wird über zehn Tage therapiert.
Frage 5: Wie hoch ist das Interaktionspotenzial mit anderen Arzneistoffen?
Überschaubar. Es gibt laut einem Bericht der Europäischen Zulassungsbehörde EMA zum Compassionate Use mit Remdesivir nur ein niedriges Potenzial für Wechselwirkungen. Obwohl Remdesivir zum Beispiel CYP3A4 und die organischen Anionentransporter OATP1B1 und OATP1B3 inhibiert, gebe es wegen der schnellen Clearance keine Gefahr durch klinisch signifikante Interaktionen.
Frage 6: Gibt es Beschränkungen beim Einsatz aufgrund eingeschränkter Organfunktion?
In dem EMA-Dossier wird auf Nieren- und Lebertoxizität verwiesen. Patienten mit einer sehr schlechten Nierenfunktion (eGFR kleiner als 30 ml/min) sollten nicht mit Remdesivir behandelt werden. Bei Patienten mit einer milden oder moderaten Nierenfunktionsstörung ist keine Dosisänderung nötig. Patienten mit schwerer Leberfunktionsstörung sollten ebenfalls nicht mit Remdesivir behandelt werden. Liegen die Werte der Alanin-Aminotransferase beim Fünffachen der Höchstgrenze für Normalwerte oder gar höher, sollte von einer Behandlung mit Remdesivir abgesehen werden. Auch eine Kombination mit anderen hepatotoxischen Arzneistoffen sollte nicht erfolgen.
Frage 7: Können Schwangere und Frauen im gebärfähigen Alter mit Remdesivir behandelt werden?
Es gibt derzeit keine Bedenken hinsichtlich des Einsatzes bei Frauen im gebärfähigen Alter. Bei schwangeren Frauen wird die Anwendung von Remdesivir allerdings momentan nicht empfohlen. Zwar wurde der Wirkstoff zur Behandlung von Ebola bei einigen schwangeren Frauen angewendet. Basierend auf den bereitgestellten Daten kann aber kein vollständiges Sicherheits- oder Wirksamkeitsprofil bei Schwangeren abgeleitet werden.
Frage 8: Sollen auch Kinder Remdesivir erhalten?
Einige Hinweise auf die Anwendung von Remdesivir bei pädiatrischen Patienten stammen aus der Behandlung der Ebola-Krankheit. Die Daten sind aber begrenzt, insbesondere bei jüngeren Kindern. Derzeit sind keine Remdesivir-Daten für Kinder mit Covid-19 verfügbar. Zu den EMA-Einschlusskriterien für den Compassionate Use zählt ein Alter von mindestens zwölf Jahren.
Frage 9: Wann sollte Remdesivir am besten zum Einsatz kommen?
Die Frage lässt sich noch nicht endgültig beantworten. Aber es gibt Hinweise darauf, dass der Nutzen der Behandlung umso größer ist, je früher sie in Bezug auf das Auftreten von Symptomen begonnen wird. Unter diesem Gesichtspunkt stellt die Behandlung von Patienten, die bereits in einem weiter fortgeschrittenen Stadium von Covid-19 sind, möglicherweise nicht die optimale Anwendung von Remdesivir dar, heißt es in dem EMA-Bericht.
Frage 10: Welche Fakten eignen sich für die Kategorie »Angeberwissen«?
Die Summenformel lautet C27H35N6O8P und die molare Masse beträgt 602,6 g/mol. Remdesivir hat sechs chirale Zentren. Kunden, Kollegen und Kommilitonen werden über soviel Expertenwissen entzückt sein.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.