Frühe Intervention verringert Ausprägung von Autismus |
Christina Hohmann-Jeddi |
22.09.2021 13:30 Uhr |
Wenn Eltern früh auf eine positive Interaktion mit ihrem Kind trainiert werden, kann das bei Risikokindern die Ausprägung einer Autismus-Spektrum-Störung vermindern. / Foto: Adobe Stock/lumen-digital
Normalerweise beginnt die Therapie einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) nach deren Diagnose, die in der Regel ab dem dritten Lebensjahr gestellt wird. Eine präventive Therapie beeinflusst den Verlauf der Entwicklungsstörung positiv, lässt eine Studie im Journal »JAMA Pediatrics« vermuten. Ein Team um den Autismus-Experten Professor Dr. Andrew Whitehouse von der University of Western Australia in Perth hat für die Untersuchung 104 Kinder im Alter von neun bis 14 Monaten rekrutiert, die Verhaltensweisen zeigten, die auf eine mögliche spätere Autismus-Spektrum-Störung hindeuten.
Von diesen erhielten 50 Kinder neben der Basisbetreuung noch eine sogenannte BASIS-Video-Intervention zur Förderung einer positiven Elternschaft (iBASIS-VIPP). Bei dieser wurden die Eltern in zehn videobasierten Sitzungen mit einem Therapeuten über den Zeitraum von fünf Monaten angeleitet, wie sie mit ihren Kindern positiv kommunizieren und interagieren können. Die Eltern-Kind-Paare wurden gefilmt und die Interaktionen ausgewertet, zusätzlich erhielten die Eltern Hausaufgaben, um die Interaktion mit ihren Kindern zu verbessern. Als Kontrolle dienten 54 Kinder, die ausschließlich eine herkömmliche Autismus-Therapie erhalten hatten.
Die Kinder wurden bei Aufnahme in die Studie, zum Abschluss der Intervention sowie im Alter von zwei und drei Jahren untersucht. 89 Kinder konnten über den gesamten Zeitraum nachbeobachtet werden. In der Interventionsgruppe hatten drei von 45 Kindern (6,7 Prozent) eine ASS-Diagnose erhalten, in der Kontrollgruppe waren es neun von 44 Kindern (20,5 Prozent). Die Intervention führte insgesamt zu einer Reduktion der Symptomschwere um den Faktor 5,5.
Die Autoren sehen in ihren Daten erste Anhaltspunkte, dass Kinder mit Anzeichen für eine spätere ASS von einer frühen präventiven Therapie profitieren können. Der therapeutische Aufwand sei relativ gering und die Intervention zeige keine Nebenwirkungen. Es seien aber noch weitere Studien mit einer größeren Probandenzahl und einer Nachbeobachtung bis ins Erwachsenenalter notwendig, um den Effekt zu beweisen, heißt es in der Publikation.
Professor Dr. Marie Schaer, Leiterin der auf Autismus spezialisierten Ambulanz in Genf, Schweiz, beurteilt die australische Studie positiv: »Diese Studie ist von großer Bedeutung für das Forschungsfeld Autismus: Die Autoren demonstrieren sehr gründlich, dass wir wirksame Interventionen anbieten können, noch bevor Autismus diagnostiziert werden kann.« Schon seit Längerem sei bekannt, dass bei dieser neurologischen Entwicklungsstörung so früh wie möglich eingegriffen werden müsse, um Entwicklungsdefizite zu minimieren.
Bisherige Interventionen, die bei den Kindern ansetzen, hätten keinen Erfolg gezeigt, ergänzt Dr. Sanna Stroth von der Spezialambulanz für Autismus-Spektrum-Störungen, Philipps Universität Marburg. »Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung mangelt es oft an sozialer Aufmerksamkeit und sozialer Motivation und für Eltern ist es dann nicht leicht, mit ihren Kindern im spielerischen Austausch zu bleiben und das kindliche Verhalten richtig zu interpretieren und zu verstehen.« Die australische Untersuchung setze bei den Eltern an und versuche, diese in ihrem Interaktionsverhalten zu unterstützen. Dadurch würden für die Kinder Interaktionsmöglichkeiten und damit einhergehende Lernmöglichkeiten geschafft, in denen sie ihre sozial kommunikativen Fertigkeiten entwickeln können.
Dr. Ronnie Gundelfinger von der Universität Zürich ist überzeugt, dass neben iBASIS-VIPP auch andere Methoden, die die Interaktion zwischen Eltern und Kind fördern, positive Resultate erzielen können. Er hält es für wichtig, nicht auf eine gesicherte Diagnose zu warten, bevor man Behandlungen beginnt. »High-Risk-Kinder und Kinder mit autistischen Symptomen sollten so früh wie möglich erfasst und behandelt werden.« Es seien aber nicht bei allen Kindern, bei denen später eine ASS diagnostiziert wird, so früh schon Anzeichen erkennbar. An besseren Früherkennungsverfahren wie Eye Tracking werde gearbeitet. »Es darf aber kein Argument gegen die Intervention sein, dass man eventuell nicht alle Kinder mit zukünftiger Diagnose erfasst«, so Gundelfinger.