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Coronavirus

Faktencheck zur Omikron-Variante

Professor Dr. Sandra Ciesek ist vielen aus dem NDR-Info-Podcast »Coronavirus-Update« bekannt. Gestern sprach die Medizinerin auf einem anderen Kanal. Beim Pharmacon@home gab sie einen Überblick zu Covid-19, vor allem zur Omikron-Variante von SARS-CoV-2.
Sven Siebenand
18.01.2022  10:59 Uhr

Weltweit haben sich inzwischen mehr als 300 Millionen Menschen nachweislich mit SARS-CoV-2 infiziert. In Deutschland sind es bereits mehr 7,5 Millionen Menschen und mehr als 100.000 Todesfälle. Mittlerweile sind mehr als 70 Prozent der Bevölkerung hierzulande mindestens zweimal gegen das Virus geimpft, mehr als 40 Prozent sind geboostert. »Das ist eine deutlich schlechtere Impfrate im Vergleich zu anderen europäischen Ländern«, informierte Ciesek. Besonders problematisch: Allein in der Gruppe der Über-60-Jährigen sind in Deutschland 12 Prozent nicht geimpft. Das seien mehr als zwei Millionen Menschen.

Die seit November 2021 bekannte Omikron-Variante von SARS-CoV-2 würfelt laut der Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie des Universitätsklinikums Frankfurt am Main das bisherige Wissen zu dem Virus gehörig durcheinander. Ein Beispiel: Während die Inkubationszeit bei der Delta-Variante bei etwa fünf Tagen liegt, ist sie bei der Omikron-Variante mit zwei bis drei Tagen deutlich kürzer. Der Abstand zu möglichen Folgeinfektionen ist damit kürzer. Das ist ein Grund, weshalb die Omikron- die Delta-Variante so schnell verdrängen konnte. Eine noch wichtigere Ursache dafür ist neben einer ebenso guten Transmission der sogenannte Immune-Escape, dass heißt, die Omikron-Variante findet viel mehr Wirte, die es infizieren kann, auch Geimpfte.

Omikron wartet noch mit weiteren Unterschieden auf: Neben einer veränderten Interferon-Antwort habe man bei der Omikron-Variante auch einen anderen Zelltropismus beobachten können. Ciesek: »Die Zellen der oberen Atemwege sind besser infizierbar als Zellen des tieferen Respirationstrakts.« Das könnte der Grund sein, weshalb die Verläufe bei mit der Omikron-Variante infizierten Personen wohl etwas milder sind im Vergleich zur Delta-Variante des Virus. Die Medizinerin betonte aber, dass man auf keinen Fall von einer harmlosen Virusvariante sprechen könne.

Auf die Impfung zu verzichten und stattdessen eine vermeintlich milde Infektion mit der Omikron-Variante hinzunehmen, ist aus weiteren Gründen nicht schlau. So wisse man bis dato zum Beispiel nicht, wie häufig eine Omikron-Infektion zu Long Covid führe. Zudem schütze sie wohl nicht vor einer Infektion mit der Delta-Variante von SARS-CoV-2. So hätten ungeimpfte Personen dann keinen Schutz vor einer möglichen neuen Virusvariante, die sich jederzeit auch aus der Delta-Form entwickeln könne.

Schutz vor schwerem Verlauf 

Wie sieht es mit dem Impfschutz aus? Ciesek ging auf Analysen ein, die zeigen, dass zweifach geimpfte Personen sechs Monate nach der zweiten Impfung keine neutralisierenden Antikörper gegen die Omikron-Variante von SARS-CoV-2 aufwiesen. Selbst zwei Wochen beziehungsweise noch stärker drei Monate nach einer Booster-Impfung gingen diese Antikörper in relevantem Maße zurück. »Damit schützt die Booster-Impfung nur bedingt vor einer Infektion«, so Ciesek. Allerdings schütze sie den bisherigen Daten zufolge vor einem schweren Covid-19-Verlauf. Wenig könne man derzeit dazu sagen, was eine zweite Boosterung bringt. Ciesek hält es jedoch für wahrscheinlich, dass irgendwann eine zweite Auffrischimpfung vonnöten sein wird.

»SARS-CoV-2 wird irgendwann endemisch werden und jeder, ob geimpft oder ungeimpft, wird mit dem Virus Bekanntschaft machen«, lautet Cieseks Prognose. Sie hält einen saisonalen Verlauf analog zur Grippe für wahrscheinlich. Als Risikogruppen hob sie alte und immunsupprimierte Personen hervor. Diese könnten nach einer Impfung möglicherweise nicht genügend Antikörper und keine ausreichende T-Zellantwort aufweisen und trügen damit das Risiko, sich immer wieder zu infizieren.

Gebraucht werden laut der Expertin wirksame antivirale Medikamente, ein Impfstoff, der zur sterilen Immunität führt, sowie eine langfristige Vorbereitung auf zukünftige Pandemien. Zurück zur jetzigen Pandemie: Deutschland wird aufgrund seiner schlechten Impfquote und der nicht hohen Durchseuchung im Vergleich zu anderen Ländern noch länger damit zu kämpfen haben. »Das könnte dann vor allem ab dem Herbst 2022 wieder besonders relevant werden«, so Cieseks Einschätzung.

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