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Apotheken-Stärkungsgesetz

Experten fordern regionale Lösungen für Apotheken

Geld für neue Dienstleistungen und ein Rx-Boni-Verbot, das auch die EU-Versender erfasst – das soll die Zukunft der Vor-Ort-Apotheken sicherstellen. Experten allerdings sind uneins über diesen Plan. Bei einer Anhörung im Bundestag plädierten viele von ihnen dafür, die Herausforderungen im Markt gezielter und auf regionaler Ebene in den Blick zu nehmen.
Stephanie Schersch
17.09.2020  09:12 Uhr

Eigentlich will die Bundesregierung mit ihrer Novelle vor allem die deutschen Präsenzapotheken stärken. Doch selten strahlt ein gesundheitspolitisches Vorhaben so sehr über die Grenzen hinaus wie das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG). Hintergrund ist das geplante Rx-Boni-Verbot, das auch Versender aus dem EU-Ausland rechtssicher an die deutschen Preisvorschriften binden soll. Rabatte auf rezeptpflichtige Arzneimittel dürften auch sie dann hierzulande nicht mehr gewähren.

Erreicht werden soll das über eine Verankerung des Boni-Verbots im Sozialgesetzbuch V. Zugleich soll im Arzneimittelgesetz (AMG) ein entscheidender Satz in § 78 wegfallen, der bislang die Preisbindung der ausländischen Versandapotheken im Rx-Bereich vorgibt. An dieser Stelle hatten Konflikte mit dem EU-Recht zuletzt immer wieder für Probleme gesorgt. Die Verlagerung der Vorschrift ins SGB V allerdings bringt einen entscheidenden Haken mit sich, denn Privatversicherte und Selbstzahler werden damit schlichtweg nicht erfasst.

»Die denkbar schlechteste Lösung.«

Entsprechend unzufrieden ist der Verband der Privaten Krankenversicherung mit dem Gesetzentwurf. Bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages warnte Verbandsreferentin Jenny Wernecke davor, die Vorgabe in § 78 tatsächlich zu streichen. Halte die geplante Verankerung der Preisbindung im Sozialgesetzbuch einer europarechtlichen Prüfung nicht stand, könnte es zu einem völlig deregulierten Rx-Markt kommen, sagte sie. »Das wäre dann für alle Versicherten und Versicherer die denkbar schlechteste Lösung.«

Auch ABDA-Präsident Friedemann Schmidt warb dafür, den Absatz im Arzneimittelgesetz beizubehalten. Er zeigte sich zuversichtlich, dass erneute rechtliche Prüfungen den Satz nicht kippen würden. Dabei verwies Schmidt auch auf die bevorstehende Einführung des E-Rezepts, das den Wettbewerb zwischen Vor-Ort-Apotheken und EU-Versendern entscheidend verändern könnte. Deutliche Kritik kam zudem aus dem Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels (Phagro). Mit der Streichung der Preisbindung im AMG seien Großhändler und direkt liefernde Hersteller aus dem EU-Ausland künftig gar nicht mehr an die deutsche Vorschrift gebunden, sagt Phagro-Chef André Blümel. »Wir fürchten einen ruinösen Preiswettbewerb.« Er forderte daher eine Pflicht für Apotheker, auch beim Bezug von Arzneimitteln die Preisvorschriften beachten zu müssen.

Beim GKV-Spitzenverband kann man der Idee eines generellen Rx-Boni-Verbots nicht viel abgewinnen. Vorstandsmitglied Stefanie Stoff-Ahnis kann sich stattdessen vorstellen, den Versendern einen Spielraum für geringe Boni zu gewähren. Zahlreiche Versandapotheken locken Patienten derzeit mit größeren Nachlässen, indem sie etwa auf Zuzahlungen verzichten. Die Kassen haben davon allerdings nichts. Dabei würden die Einsparungen eigentlich der Versichertengemeinschaft zustehen, wie Stoff-Ahnis betonte. Solche Fehlanreize wolle man daher künftig über individuelle Verträge mit den Versandapotheken ausschließen.

Differenzierte Vergütung

Auch IGES-Projektleiterin Iris an der Heiden wertet das geplante Rabattverbot nicht als großen Wurf. Die Probleme schwacher Apotheken werde es jedenfalls nicht lösen können, sagte sie. Zu diesem Schluss kommt sie auch in ihrem aktuellen Gutachten, dass sie gemeinsam mit ihren Kollegen am IGES-Institut im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit erstellt hat. In der Anhörung sprach sie sich für zielgerichtete Lösungen im Apothekenmarkt aus. Anstatt alle Betriebe gleichermaßen in den Blick zu nehmen, sollte sich die Politik vielmehr auf regionale Aspekte und die schwachen Apotheken konzentrieren, so an der Heiden. Damit unterstützte sie einen Antrag der Grünen, in dem sich die Fraktion unter anderem für eine differenzierte Vergütung von Apotheken in Abhängigkeit vom Umsatz ausspricht.

Neben dem Boni-Verbot sind die pharmazeutischen Dienstleistungen Kernstück des VOASG. Die Apotheker sollen erstmals ein Honorar für diese Angebote bekommen. Um welche Leistungen es dabei genau geht, sollen Krankenkassen und Apotheker auf Bundesebene vereinbaren. Ulf Maywald von der AOK Plus würde diese Verhandlungen lieber auf regionaler Ebene führen. »So könnten wir neue pharmazeutische Dienstleistungen besser mit bereits bestehenden Angeboten vor Ort verzahnen«, ist er überzeugt. ABDA-Präsident Schmidt zeigte sich grundsätzlich bereit für einen regionalen Ansatz, allerdings nur als Ergänzung zu bundesweiten Vereinbarungen. So nannte er als Beispiele für die pharmazeutischen Dienstleistungen Angebote wir das Medikationsmanagement und die Schulung von Patienten im Umgang mit erklärungsbedürftigen Devices wie Insulinpens. Diese Leistungen seien absolut zentral für die Arzneimittelversorgung, betonte Schmidt. »Da kann man sich kaum vorstellen, dass hier gravierende Unterschiede zwischen Schleswig-Holstein und Bayern bestehen.«

Rechtsanspruch auf Botendienst

Im Laufe der kommenden Wochen will die Bundesregierung auch eine dauerhafte Vergütung von Botendiensten im VOASG verankern. Derzeit erhalten Apotheker im Zuge der Pandemie befristet 5 Euro pro Lieferung und Ort, in Zukunft sollen 2,50 Euro im Gesetz stehen. Schmidt begrüßte diesen Plan, auch wenn beide Beträge keine tatsächliche Vergütung der Botendienste seien. Beim Deutschen Caritasverband wünscht man sich hingegen eine flexiblere Lösung. So profitierten vor allem Patienten in Ballungsräumen vom Lieferdienst, sagte Caritas-Referentin Elisabeth Fix. »Wir brauchen aber vielmehr eine gezielte Förderung von Botendiensten im ländlichen Raum.« Siri Doka von der BAG Selbsthilfe forderte sogar eine Art Rechtsanspruch der Patienten auf den Botendienst aus der Apotheke.

Deutlich zu kurz greift nach Meinung einiger Experten auch die geplante Einführung von Arzneimittel-Abgabeautomaten, an denen sich Patienten ihre vorbestellten Medikamente auch außerhalb der Öffnungszeiten abholen könnten. Während die ABDA diese Pläne für überflüssig hält, sieht GKV-Vorstandsmitglied Stoff-Ahnis großes Potenzial in den Automaten. Gar nicht nachvollziehen kann sie allerdings die geplante räumliche Bindung der Maschinen an die Betriebsräume einer Apotheke. »Gerade auf dem Land wäre es sinnvoll, wenn die Automaten auch an anderen Stellen aufgebaut werden könnten«, so Stoff-Ahnis. Zudem sollte in Verbindung mit der Abgabe grundsätzliche auch eine Beratung per Video möglich sein.

Kassen wollen spezialisierte Rezeptur-Apotheken

Über einen Änderungsantrag wollen Union und SPD darüber hinaus regeln, dass Apotheken künftig patientenindividuell hergestellte Parenteralia auf Nachfrage an eine andere Apotheke weitergeben dürfen, die damit schließlich den Patienten versorgt. Bereits heute gibt es eine entsprechende Regelung für Zytostatika. Dass diese Ausnahme nun weiter ausgedehnt werden soll, gefällt Michael Marxen vom Bundesverband der Versorgungsapotheker gar nicht. So würde den Krankenhausapotheken damit der Zugang zum Bereich der ambulanten Versorgung eröffnet, was mit Blick auf unterschiedliche Vergütungsstrukturen problematisch sei, betonte er. Ohnehin kann Marxen keine Engpässe in der Versorgung erkennen, die eine solche Regelung rechtfertigen würden. Die Caritas sieht das ganz anders. Es gebe durchaus Probleme in der Versorgung mit Rezepturen für Schmerzpumpen, sagte Fix. »Wir können diese Engpässe bestätigen und begrüßen die Pläne der Regierungsfraktionen«, sagte sie.

Auch der GKV-Spitzenverband ist für die geplante Ausweitung, möchte aber gerne noch einen ganzen Schritt weitergehen. So sollten sich Apotheken bei sämtlichen patientenindividuell hergestellten Rezepturen gegenseitig aushelfen dürfen, forderte GKV-Arzneimittelexpertin Antje Haas. »Es gäbe dann spezialisierte Apotheken und nicht jede Offizin müsste ein Labor vorhalten.«

 

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