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ADA-Chef Thomas Rochell

»Es ging auch um den sozialen Frieden in der Apotheke«

Der Tarifabschluss zwischen der Apothekengewerkschaft Adexa und dem Arbeitgeberverband Deutscher Apotheken (ADA) kam überraschend. Im PZ-Interview erklärt ADA-Chef Thomas Rochell, warum die Angestelltenlöhne so drastisch angepasst wurden, welche Rolle die Pandemie bei der Entscheidung spielte und warum die neuen Tariflöhne auch ein Signal an die Politik sein sollen.
Benjamin Rohrer
24.01.2022  09:10 Uhr

PZ: Herr Rochell, nach dem Tarifabschluss haben uns einige Apothekeninhaberinnen und -inhaber kontaktiert und gefragt, wie sie diesen gewaltigen Gehaltssprung finanzieren sollen. Wie erklären Sie ihren Kollegen die recht drastischen Anpassungen?

Rochell: Der ADA befindet sich ja eigentlich dauerhaft in einem Dilemma. Einerseits verstehen wir die Forderungen der Adexa nach einer angemessenen Vergütung der Fachkräfte, andererseits stagniert das Apothekenhonorar seit Jahren. Letztlich haben in den nun abgeschlossenen Verhandlungen mehrere Faktoren dazu geführt, dass wir eine deutliche Anpassung vornehmen mussten. Unter anderem ging es um die Konkurrenz zu anderen Berufen, die vergleichbar mit PTA oder PKA sind. Das sind Berufe, in denen zumeist ein mittlerer Schulabschluss reicht, letztlich aber deutlich höhere Löhne bezahlt werden. Hinzu kamen die Ankündigungen der Ampel-Koalition zum Mindestlohn.

PZ: Die im Koalitionsvertrag festgelegten 12 Euro Mindestlohn wurden aber noch längst nicht verabschiedet.

 Rochell: Das stimmt. Aber in diesem Sommer steigt der Mindestlohn ohnehin automatisch auf 10,45 Euro. Selbst mit diesem Wert liegt die PKA im ersten Berufsjahr nur sehr knapp oberhalb dieses bereits beschlossenen Mindestlohns. Als Adexa mit dieser Thematik im Herbst auf uns zukam, entstand auch im ADA eine Bereitschaft, etwas für unsere Mitarbeiter zu tun. Ich denke, dass auch die Leistung der Mitarbeiter während der Krise diese Bereitschaft verstärkt hat.

PZ: Wie meinen Sie das?

Rochell: Die Extra-Aufgaben, die den Apotheken in der Krise zugesprochen wurden, wären ohne die Angestellten niemals realisierbar gewesen. Ob es um die Herstellung von Desinfektionsmitteln, die Zertifikatsausstellung oder die Coronavirus-Tests geht – die Mitarbeiter haben nicht nur während der regulären Arbeitszeiten, sondern auch in unzähligen Überstunden extrem viel geleistet und dadurch den Apotheken auch höhere Verdienste ermöglicht. Eine Gehaltserhöhung ist mehr als verdient.

Rochell: Wir mussten alle Berufsgruppen mitziehen

PZ: In den vergangenen Verhandlungsrunden wurden in der Regel kleinere, prozentuale Anpassungen vereinbart. In dieser Runde gibt es nun größere Pauschalbeträge, die teilweise Sprünge von bis zu 12 Prozent im Monatslohn ausmachen. Warum diese drastischen Sprünge?

Rochell: Unser Ziel war es, die neuen Mindestlöhne zu erreichen. Die Ausgangsbasis waren also die ersten PKA-Berufsjahre, die deutlich angepasst werden mussten. Wir waren uns mit Adexa dann schnell einig, dass wir das mit einer Sockel-Anpassung machen wollen. Und wenn man einen einzelnen Bereich anfasst, muss man konsequent sein und auch die anderen Berufsgruppen mitziehen. Da geht es auch um den sozialen Frieden in der Apotheke. Es war uns wichtig, den Abstand zwischen angestellten Approbierten und PTA bzw. PKA zu wahren.

PZ: Das Vergütungsbild im Apothekenmarkt scheint jetzt schon recht heterogen zu sein. Viele Inhaberinnen und Inhaber zahlen jetzt schon über Tarif, um Fachkräfte anzuwerben. Wie groß ist dann eigentlich noch die Bedeutung Ihres Tarifabschlusses?

Rochell: Das stimmt. Durch den Fachkräftemangel sind viele Inhaberinnen und Inhaber jetzt schon dazu gezwungen, ihre Löhne drastisch zu erhöhen. Das war ein weiterer Faktor in den Verhandlungen. Wir haben uns gefragt, ob es eigentlich Sinn macht, wenn die außertarifliche Vergütung zum Regelfall wird. Insofern deckt der neue Tarif auch etwas mehr die Realität ab. Und bei einer entsprechenden Vertragsgestaltung lassen sich ja auch einige außertarifliche Zahlungen mit Hinweis auf den höheren Tarif nun auch reduzieren.

»Unser Abschluss wird nicht überall Freude entfachen«

PZ: Trotzdem sind das aufs Jahr gerechnet deutlich fünfstellige Summen, die pro Betriebstätte mehr anfallen.

Rochell: Uns ist sehr wohl bewusst, dass wir mit dem Abschluss nicht überall große Freude entfachen. Aber aus Sicht des ADA war es ein notwendiger Schritt, um den Kampf um Fachkräfte nicht zu verlieren. Wenn wir uns anschauen, dass immer mehr Fachkräfte in die Kliniken und die Industrie gehen, gilt es für uns, diesen Kampf um die Köpfe zu gewinnen – und dazu gehört auch die ordentliche Vergütung.

PZ: Es bleibt die Frage nach der Finanzierung. Wie sollen die Inhaber die Gehaltssteigerungen langfristig refinanzieren?

Rochell: In der Pandemie haben die Apotheken durch die Sonderaufgaben höhere Betriebsergebnisse erzielt. Auch 2022 dürften die Betriebsergebnisse durch Sondereffekte wie das Test-Honorar und die Impfstoff-Verteilung noch höher liegen als in den Jahren vor 2020. Hinzu kommt, dass sich der Gesamtumsatz im Markt durch die zunehmende Zahl an Apothekenschließungen auch auf die verbleibenden Betriebsstätten verteilt.

PZ: Das sind aber alles kurzfristige Sondereffekte. Wie sieht es mit den Jahren nach der Pandemie aus, wenn diese Honorare wegfallen? Das Apothekenhonorar ist extrem reguliert – Apotheken können nicht einfach ihre Preise erhöhen, um Lohnsteigerungen zu finanzieren.

Rochell: Richtig. Gewissermaßen sind unsere Vereinbarungen mit Adexa, die wir in der Mitgliederversammlung des ADA übrigens mit überwältigender Mehrheit beschlossen haben, auch eine Wette auf die Zukunft. Erstens hoffen wir nämlich, dass sich durch die pharmazeutischen Dienstleistungen deutlich spürbare Mehreinnahmen generieren lassen. Aber ich sage auch ganz klar, dass der Tarifabschluss ein Zeichen an die Berliner Gesundheitspolitik ist. Wir vergüten unsere Mitarbeiter angemessen – tut jetzt etwas für unser Fixhonorar!

»Tut jetzt was für unser Fixhonorar!«

PZ: Nun hat die Ampel-Koalition ja einiges vor mit dem Apothekenhonorar. Eine Erhöhung des Fixhonorars lesen wir aber nicht aus dem Koalitionsvertrag heraus, vielmehr eine Umverteilung des Honorars von umsatzstarken zu umsatzschwachen Apotheken. Welche Effekte hätte eine solche Umverteilung auf die Apothekenlöhne?

Rochell: Diese von den Grünen schon seit Jahren gewünschte Umverteilung entspräche einem real existierenden Sozialismus. Der Apotheker muss als unabhängiger Heilberufler auch weiterhin ein freier Unternehmer bleiben. Honorarumverteilungen führen auf Ebene der Apotheken zu divergierenden Vergütungen bei gleichen Leistungen. Dies würde in der Konsequenz auch zu unterschiedlichen Gehältern der Beschäftigten führen. Mit solchen Maßnahmen würden wir wirkliche Probleme in der Flächendeckung bekommen.

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