Es gibt kein »zu alt« für die Operation |
Brigitte M. Gensthaler |
06.12.2022 16:30 Uhr |
Jedes Jahr werden mehr als 400.000 künstliche Hüft- und Kniegelenke implantiert. Der Grund ist häufig eine schmerzhafte Arthrose, die die Beweglichkeit der Patienten massiv einschränkt. / Foto: Adobe Stock/Prostock-studio
»Das Alter ist ein Risikofaktor für die Operation, aber nicht der alleinige. Alte Menschen sollten den Mut haben, das Thema Endoprothetik anzusprechen und mit ihrem Arzt abzuwägen«, sagte Professor Dr. Carsten Perka, Orthopäde und Unfallchirurg an der Berliner Charité, heute bei der Online-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik.
Der Arzt plädierte für eine gründliche Risikoabwägung und gute Vorbereitung der Betroffenen. »Ausschlaggebend für ein zufriedenstellendes Operationsergebnis im hohen Alter ist vorrangig die körperliche und geistige Verfassung, weniger das Geburtsdatum.« Bestehende Erkrankungen, zum Beispiel von Herz und Lunge, ein Diabetes und Nierenfunktionsstörungen sollten präoperativ behandelt und optimiert werden. Diabetes müsse gut eingestellt, Unterernährung oder Vitaminmangel müssten behoben werden, sagte der Ärztliche Direktor des Centrums für Muskuloskelettale Chirurgie (CMSC). Raucher sollten sechs Wochen vor einer Operation mit dem Rauchen aufhören, da dann die Durchblutung sehr viel besser wird. Zusammengefasst heißt das Prinzip: Better in – better out.
Neben der klassischen Rehabilitation nach der OP habe sich auch die Prärehabilitation bewährt, erklärte Perka. Mit gezielter Physiotherapie vor dem Eingriff könne man nicht nur das Gehen an Unterarmstützen trainieren, sondern auch die Atemkapazität erweitern und die Muskulatur kräftigen. Entzündungen, zum Beispiel der Zähne oder Blase, sowie durch Wunden oder Fußpilz sollten präoperativ behandelt werden, da sie gerade bei Älteren leicht zu Implantat-Infekten führen können. Durchaus realistisch sei deshalb ein Vorlauf von einem halben bis zu einem Jahr bis zur geplanten Operation.
Perka erläuterte: »Eine gute Vorbereitung auf die OP hilft, die Risiken in den Griff zu bekommen und das Ergebnis zu verbessern.« Er nannte drei Hauptkomplikationen, die die Mortalität erhöhen: Nierenversagen, Delir und Gerinnungsstörungen. Hierauf müsse sich die Nachsorge konzentrieren.
Um ein künstliches Hüft- und Kniegelenk dauerhaft und stabil im Knochen zu verankern, gibt es verschiedene Techniken. Zur Auswahl stehen die »Press-Fit«-Befestigung direkt in das Knochenlager hinein sowie ein »Formschluss« mit der sogenannten Zementierung, erklärte Privatdozentin Dr. Anne Postler, Oberärztin der Sektion Knie am Universitätszentrum für Orthopädie in Dresden.
»Ist die Knochenqualität gut, wählen wir für die Erstimplantation einer Hüftprothese bei allen, die jünger als etwa 65 bis 70 Jahre alt sind, möglichst die zementfreie Verankerung«, berichtete Postler. Bei älteren Patienten, Osteoporose oder nach Schenkelhalsbruch werde meist zementiert.
Beim Kniegelenkersatz dominiert laut Endoprothesenregister Deutschland (EPRD) die vollzementierte Verankerung: 95 Prozent der Totalendoprothesen und 90 Prozent der Teilversorgungen, sogenannte Schlittenprothesen, werden schon bei der Erstimplantation komplett zementiert. Dafür sprächen die guten Langzeitergebnisse im Vergleich zu den zementfreien Knieprothesen, sagte Postler.
Perka plädierte für »so viel Sport wie möglich« nach der Operation, um den Muskelaufbau zu fördern. »Ich empfehle immer die Bewegung, die der Patient vor der Operation gemacht hat.« Wer vorher gerne gejoggt habe, könne damit auch danach wieder beginnen.
Gut für Körper und Seele: altersgerecht und mit Freude trainieren. / Foto: Adobe Stock/De Visu
Angst davor, die Prothese zu überlasten, müsse man nicht haben: »Wir haben in unserer Klinik in den letzten zehn Jahren de facto keine einzige Hüftprothese gewechselt, deren Versagen sicher auf eine Überlastung zurückzuführen war.« Dagegen habe man Hunderte von Endoprothesen wechseln müssen, »da die Aktivität der Patienten unzureichend war und es zum Sturz mit nachfolgender Fraktur um die Prothese, zu deren Ausrenkung, zur Instabilität des Kniegelenks oder zu schweren Funktionsstörungen gekommen war«.
Wann das aktive Leben wieder beginnen kann, hängt von der individuellen Situation und der Verankerung der Prothese ab. Nach einem Vierteljahr könne der Patient »fast alles« wieder tun, sagte Perka. Zementfreie Prothesen brauchen Zeit, um gut einzuwachsen, während zementierte Prothesen nach Aushärten der Kunststoffmasse sofort voll belastbar sind.
Privatdozent Dr. Stephan Kirschner, Direktor der Klinik für Orthopädie in den ViDia Kliniken, Karlsruhe, empfahl, nicht über High-Impact-Sport nachzudenken, sondern generell mehr Bewegung in den Alltag einzubringen. Treppensteigen, ein abendlicher Spaziergang oder kurze Gymnastikeinheiten trainierten die Oberschenkel- und Wadenmuskulatur. Dies helfe auch Arthrosepatienten unabhängig von einer Operation, denn mit jeder Bewegung werde das Gelenk ernährt und trainiert. Eine besser entwickelte Oberschenkelmuskulatur wirke als Puffer für das Knie. »Je passiver man wird, umso stärker ist das Gelenk beansprucht.« Kirschner hatte noch einen Alltagstipp parat: den Ausfallschritt rechts und links beim Warten vor dem Kaffeeautomaten.