Entzündungsuhr berechnet Risiko für altersbedingte Erkrankungen |
Christina Hohmann-Jeddi |
19.07.2021 09:00 Uhr |
Mit einem gesunden Immunsystem lebt man länger, zeigt eine aktuelle Untersuchung aus den USA. / Foto: Getty Images/ivanastar
Mit zunehmendem Alter verändert sich das Immunsystem des Menschen: Die Immunseneszenz, die auch mit einer Zunahme der Zytokin-Sekretion einhergeht, führt zu einer chronischen Entzündung, was auch als »Inflammaging« bekannt ist. Diese Entzündungslast können Forschende um Dr. Nazish Sayed vom Buck Institute und der Stanford University mithilfe einer Entzündungsuhr (iAge genannt) bestimmen. Für die Entwicklung ihres Risikorechners verwendeten die Forscher Daten von Probanden aus dem »1001 Immunom Projekt« der Stanford University, die zwischen 8 und 96 Jahre alt sind. Anhand des kalendarischen Alters und der Gesundheitsdaten konnte das Team aus den Blutproben der Probanden mithilfe von maschinellem Lernen charakteristische Biomarker identifizieren, die auf akute oder künftige Entzündungsprozesse hinweisen. Die Ergebnisse stellt das Team im Fachjournal »Nature Aging« vor.
Von besonderer Bedeutung war dabei das Zytokin CXCL9, das vor allem in den Gefäßendothelien gebildet wird und mit der Entwicklung von Herzerkrankungen assoziiert ist. Die Substanz, die normalerweise T-Zellen zum Ort einer Entzündung lockt, trug am deutlichsten zur Beschleunigung der Entzündungsuhr bei. In einer Pressemitteilung des Buck Institute erklärt Seniorautor Professor Dr. David Furman: »In diesem Fall konnten wir zeigen, dass CXCL9 verschiedene Gene hochreguliert, die in Entzündungs- und Zellalterungsprozesse, Gefäßalterung und Herz-Remodeling involviert sind.« Ein Ausfall des CXCL9-Gens konnte bei Mäusen, aber auch beim Menschen Funktionsverluste von alternden Endothelzellen wieder rückgängig machen. Damit könnte CXCL9 ein neues Target sein, um die Entwicklung von Herzerkrankungen aufzuhalten.
Den Forschern zufolge lässt sich mithilfe von iAge das individuelle Risiko für verschiedene chronische Erkrankungen, Gebrechlichkeit und Multimorbidität abschätzen, indem der Schaden am Immunsystem ermittelt wird. Gebrechlichkeit lässt sich laut Furman sieben Jahre im Voraus vorhersagen. »Das lässt uns viel Zeit für Interventionen.« Die Entzündungsuhr hat das Team auch an einer Kohorte von 19 Personen getestet, die mindestens 99 Jahre alt geworden waren. Die Hundertjährigen wiesen ein immunologisches Alter auf, das im Durchschnitt 40 Jahre jünger war als ihr tatsächliches Alter. Für einen 105-jährigen Mann aus Italien wurde ein immunologisches Alter von 25 Jahren ermittelt.
Es wurden bereits andere Uhren zur Ermittlung des biologischen Alters entwickelt, die das Ausmaß der Methylierung der DNA oder die Genexpression berücksichtigen, etwa die »Horvath clock«. Die von Furman und Kollegen vorgestellte Uhr ist aber die erste, die immunologische Faktoren bewertet. Gegenüber dem »Science Media Center Deutschland« erklärt Privatdozent Dr. Christian Kosan von der Friedrich-Schiller-Universität Jena: »Diese Methode bietet im Vergleich zu anderen biologischen Uhren den Vorteil, dass die zu messenden Parameter schnell, kostengünstig und relativ einfach gewonnen werden können.« Die insgesamt 50 Zytokine im Blut könnten mithilfe des Luminex-Verfahrens standardisiert zuverlässig gemessen werden. »Allerdings ist schwer vorherzusagen, ob die hier gezeigten Daten in der Praxis wirklich genutzt werden können, da diese Experimente unter sehr standardisierten Versuchsbedingungen gewonnen wurden, die nicht überall gewährleistet werden können.« Die Methode müsse in Feldstudien zunächst noch weiter getestet werden.