Englische Variante möglicherweise etwas tödlicher |
Annette Rößler |
25.01.2021 13:02 Uhr |
Großbritanniens Premier Boris Johnson sprach am Freitag von einer wahrscheinlich erhöhten Sterblichkeit der Coronavirus-Variante B.1.1.7, obwohl dies anhand der momentanen Datenlage noch sehr unsicher ist. / Foto: picture alliance
Eine Sache, an die man sich in Zeiten der Coronavirus-Pandemie offenbar gewöhnen muss, ist, dass wissenschaftliche Erkenntnisse von Politikern kommuniziert und interpretiert werden, noch bevor sie von den Wissenschaftlern selbst in einem für sie zufriedenstellenden Maß diskutiert wurden. Gerade ist das wieder geschehen, als nämlich Großbritanniens Premierminister Boris Johnson am Freitag davon sprach, dass die SARS-CoV-2-Variante B.1.1.7 offenbar tödlicher ist als das nicht mutierte Virus. »Wir wurden heute darüber informiert, dass es zusätzlich zur schnelleren Ausbreitung einige Hinweise dafür gibt, dass die neue Variante (...) mit einer höheren Sterblichkeit verbunden sein könnte«, sagte Johnson laut Nachrichtenagentur dpa vor Journalisten.
Er bezog sich dabei auf vorläufige Ergebnisse des britischen Expertengremiums NERVTAG (The New and Emerging Respiratory Virus Threats Advisory Group) zu der sogenannten »Variant of Concern« (VOC) B.1.1.7. Darin werden verschiedene Analysen zur Sterblichkeitsrate bei mit B.1.1.7 infizierten Covid-19-Patienten zusammengefasst. Die Autoren des Berichts kommen zu dem Schluss, dass die Sterblichkeit gegenüber der nicht mutierten Form von SARS-CoV-2 wahrscheinlich leicht erhöht ist: Während von 1000 Personen, die mit der Nicht-VOC infiziert seien, durchschnittlich 10 stürben, seien es bei B.1.1.7 womöglich 13 bis 16.
Allerdings sind dabei zwei Dinge wichtig. Das ist zum einen, dass es nur ein geringfügiger Anstieg ist, in Prozentzahlen ausgedrückt nämlich 0,3 bis 0,6 Prozent. Das absolute Sterberisiko bleibt weiter auf einem niedrigen Niveau, wie die Autoren betonen. Zum anderen – und das ist fast noch wichtiger – sind die Daten noch sehr unsicher. Auch darauf weisen die Autoren explizit hin: »Da die Zeiträume zwischen Infektion, Hospitalisierung und Tod relativ lang sind, werden sich die Daten in den kommenden Wochen erhärten und die Analyse wird klarer werden.« Darüber hinaus spielen auch noch andere Faktoren eine Rolle, etwa die Auslastung der Krankenhäuser, die nicht in jeder Region gleich ist, was die Übertragbarkeit der Daten erschwert.
Angesichts dieser Unsicherheiten wirkt es voreilig, dass Johnson bereits öffentlich über die erhöhte Sterblichkeit spekulierte. Mike Tildesley, Mitglied des wissenschaftlichen Beratergremiums SAGE (Scientific Advisory Group for Emergencies), sagte der BBC: »Ich war ehrlich gesagt ziemlich überrascht, dass die Nachricht auf einer Pressekonferenz mitgeteilt wurde.« Er würde »gerne noch ein oder zwei Wochen warten und ein bisschen analysieren, bevor wir wirklich starke Schlussfolgerungen ziehen«.
Das ist aus wissenschaftlicher Sicht absolut geboten, denn bereits bei der Infektiosität hat sich gezeigt, dass Annahmen bezüglich der neuen Variante durchaus auch nach unten korrigiert werden können. Während man zunächst von einer um 56 Prozent erhöhten Ansteckungsfähigkeit ausging, hält man B.1.1.7 mittlerweile für 22 bis 35 Prozent ansteckender als das nicht mutierte Coronavirus. Das sagte Professor Dr. Christian Drosten von der Berliner Charité am Freitag bei einer Pressekonferenz. »Es ist etwas weniger geworden, aber dafür ist die Datenbasis auch robuster geworden«, so Drosten. Dennoch ist an vielen Stellen nach wie vor zu lesen, dass die englische Variante 50 bis 80 Prozent ansteckender sei.
Bei den wissenschaftlichen Fakten zu bleiben, heißt dabei aber nicht, dass Sachverhalte verharmlost werden. »Wir müssen das also nicht weniger ernst nehmen, sondern mehr, denn es ist garantiert, dass sich so eine Mutante dann wirklich stärker verbreitet«, sagte Drosten. Dasselbe gilt für die möglicherweise erhöhte Sterblichkeit, sollte sie sich denn bestätigen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.