Einschränkungen nicht zu früh lockern |
In der Rushhour sind in asiatischen Großstädten sehr viele Menschen unterwegs. Die Rückkehr an den Arbeitsplatz sollte daher wie in Wuhan erst schrittweise erfolgen, um die Ansteckungsgefahr zu reduzieren. / Foto: Getty Images/MR.Cole_Photographer
Wann ist der Spuk vorbei? Diese Frage beschäftigt in der derzeitgen Situation, die von Homeschooling und Kontaktverbot geprägt ist, viele Menschen. In Deutschland, wo bislang zum Glück noch deutlich weniger Covid-19-Patienten stationär behandelt werden mussten und gestorben sind als in anderen Staaten, stellt sie sich wahrscheinlich drängender als dort, wo die Pandemie das Gesundheitssystem in die Knie zwingt.
Laut Nachrichtenagentur dpa arbeitet die Europäische Kommission bereits an einer gemeinsamen Exit-Strategie aller EU-Staaten zur schrittweisen Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen. Mit Experten prüfe sie, »wann wir nach und nach die Maßnahmen der ›sozialen Distanz‹ wieder lockern könnten« sagte Kommissionschefin Ursula von der Leyen gegenüber dpa in Brüssel. »Das Entscheidende ist: Das darf nicht zu früh passieren, weil sonst das Risiko ist, dass das Virus wieder aufflackert«, sagte von der Leyen. Andererseits müsse es so schnell wie möglich gehen, damit die Wirtschaft nicht unnötig weiter leide.
Um abzuschätzen, wann der richtige Zeitpunkt für eine Lockerung sein könnte, hilft ein Blick nach Wuhan in China, wo die Pandemie ihre Ausgang nahm. Dort hatten die Behörden bekanntlich mit drastischen Maßnahmen auf die Ausbreitung von SARS-CoV-2 reagiert und damit die Ausbreitung des Erregers zumindest stark verlangsamt. Mittlerweile sind die Infektionsketten in Wuhan abgebrochen und die Beschränkungen werden schrittweise wieder gelockert. Die Isolation der Stadt wurde nach zwei Monaten wieder aufgehoben.
Wissenschaftler der London School of Hygiene & Tropical Medicine warnen jedoch jetzt im Fachjournal »The Lancet Public Health«, dass eine weitergehende Lockerung der Beschränkungen, die es den Menschen in Wuhan erlaubt, wieder an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren, noch nicht geschehen sollte. Es sei mit einer zweiten Erkrankungswelle zu rechnen, deren Gipfel bereits im August zu erwarten sei, falls die Menschen schon im März wieder anfingen zu arbeiten, schreibt die Gruppe um Dr. Kiesha Prem. Werde erst im April mit der schrittweisen Rückkehr an die Arbeitsplätze begonnen, verschiebe sich die Welle um zwei Monate nach hinten, so die Berechnung der Mathematiker.
Insgesamt werde dadurch die Zahl der SARS-CoV-2-Infektionen im gesamten Jahr 2020 um ein Viertel (24 Prozent) gesenkt, was eine enorme Entlastung des Gesundheitssystems darstellen würde. Die Rechnung vermittelt daher – bei allen Unsicherheiten, die solche Modelle mit sich bringen – eine wichtige, wenn auch beklemmende Botschaft für die ganze Welt: Ein Lockdown verhindert die Ausbreitung des Virus effektiv und sollte nicht zu früh wieder aufgehoben werden.
In Deutschland wird es vor dem 20. April keine Lockerung der bestehenden Maßnahmen gegen das Coronavirus geben. Das sagte Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) laut dpa dem »Tagesspiegel«. Bis dahin blieben alle Maßnahmen bestehen, so Braun. Ältere Menschen müssten noch deutlich länger als Jüngere mit Kontakteinschränkungen rechnen. »Eines ist allen Modellen gemein, egal, wie wir uns entscheiden: dass die älteren und vorerkrankten Menschen in unserer Gesellschaft wirksam vor einer Infektion geschützt werden müssen, bis es einen Impfstoff gibt«, sagte Braun.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.