Dürfen Privatunternehmen Geimpfte bevorzugen? |
Die Impfkampagne ist gestartet, läuft aber zunächst langsam an. Dennoch ist die Diskussion um eine mögliche Bevorzugung von Menschen, die gegen Covid-19 geimpft sind, bereits in vollem Gang. / Foto: Biontech/ROCKSTEIN fotografie GbR
Seit zwei Tagen laufen die Impfungen gegen Covid-19 in Deutschland an, allerdings mangels Impfstoffs sehr langsam und zunächst auch nur bei Pflegebedürftigen sowie bei Über-80-Jährigen und medizinischem Personal. Bis zum Jahreswechsel sollen nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) 1,3 Millionen Dosen zur Verfügung stehen. Pro Person sind zwei Impfungen im Abstand von drei Wochen nötig.
Die verfügbare Impfstoffmenge wird aber zunehmen, da bisher nur der Impfstoff von Biontech und Pfizer zugelassen ist, Anfang Januar aber mit der Zulassung des Präparats von Moderna gerechnet wird und weitere Pharmafirmen ebenfalls in Zulassungsverfahren stecken. Um die Beschleunigung der Impfstoffproduktion in Deutschland war jüngst eine Diskussion entbrannt.
»Wir werden im Januar noch deutlich mehr Impfungen haben, weil immer mehr der vom Staat bestellten Mengen geliefert werden«, sagte der Präsident des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (vfa), Han Steutel, der »Rheinischen Post« vom heutigen Dienstag. »Jeder weitere Hersteller, der eine Zulassung erhält, wird ebenfalls mit vorproduzierten Chargen schnell im Markt sein.« Spahn hatte sich zuversichtlich gezeigt, dass jedem bis zum Sommer ein Impfangebot gemacht werden kann.
Mit Blick darauf gewinnt die Frage an Bedeutung, ob Geimpfte von Privatunternehmen bevorzugt werden dürfen – auch wenn eine staatliche Impfpflicht nicht vorgesehen ist und von der Politik einhellig abgelehnt wird. Die australische Fluggesellschaft Qantas hat bereits angekündigt, auf bestimmten Strecken nur noch geimpfte Passagiere mitzunehmen.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hält Privilegien für Menschen mit Coronavirus-Impfung zum jetzigen Zeitpunkt für falsch. Es sei nicht einmal klar, ob die Impfung auch vor der Weitergabe der Infektion durch den Geimpften schütze, sagte die SPD-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag. »Allein deshalb verbieten sich gegenwärtig Privilegien für Geimpfte.« Solange nicht allen ein Impfangebot gemacht werden könne, sei es »ein Gebot der Fairness und der Solidarität, Sonderrechte weder einzufordern noch anzubieten.« Derzeit warnen viele Stimmen davor, eine Corona-Impfung zur Voraussetzung für den Zugang zu bestimmten Dienstleistungen oder Orten zu machen. Konkrete Pläne dafür etwa von Unternehmen sind in Deutschland allerdings nicht bekannt. »Wir sollten die richtigen Diskussionen zur richtigen Zeit führen«, mahnte Lambrecht. Im Augenblick gehe es darum, diejenigen Gruppen zu impfen, bei denen ein besonders hohes Risiko einer schweren Erkrankung bestehe. Anschließend sollten alle Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zur Impfung bekommen. »Wir müssen alle unsere Kräfte darauf konzentrieren, dass dies möglichst schnell geschieht«, sagte sie.
Auch der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans sprach sich gegen Privilegien für bereits Geimpfte aus - zum jetzigen Zeitpunkt. »Bis eine ausreichende Zahl von Menschen geimpft ist, sollten die Regeln für alle gleich sein«, sagte Walter-Borjans dem »Tagesspiegel«. »Es wäre falsch, Menschen zu bevorteilen, weil sie früher an der Reihe waren als andere, zumal noch nicht einmal gesichert ist, ob von Geimpften keinerlei Ansteckungsgefahr mehr ausgeht.« Die Zahl der Impfgegner, werde »am Ende überschaubar sein und nur insofern ins Gewicht fallen, als diese Gruppe sich selbst gefährdet.«
Und es gibt noch sensiblere Bereiche. Auch Pflegeanbieter etwa können theoretisch die ambulante und stationäre Pflege ablehnen, daran erinnert die Deutschen Stiftung Patientenschutz. Nicht geimpfte Pflegebedürftige dürften aber nicht benachteiligt werden, mahnte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. Der Deutschen Presse-Agentur sagte er, die Bundesregierung müsse für eine gesetzliche Klarstellung sorgen. »Denn sonst können Pflegeanbieter auf ihre Vertragsfreiheit pochen. Mit der Freiwilligkeit bei der Impfung wäre es dann vorbei.«
Der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv), Klaus Müller, sagte der »Rheinischen Post«: »Wenn die Vertragsfreiheit für Restaurants, Fitnessstudios, die Bahn oder Pflegeheime nicht mit dem von den Ministern Spahn und Seehofer zu Recht geforderten Diskriminierungsschutz in Konflikt geraten soll, brauchen wir eine breite Diskussion, um alle Auswirkungen auf Verbraucher und Unternehmen zu erörtern. Das Justizministerium sollte dazu gleich Anfang des Jahres dem Bundestag einen Gesetzentwurf vorlegen.«
Bundesgesundheitsminister Spahn und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatten bereits vor Sonderrechten für frühzeitig Geimpfte gewarnt. Rechtspolitiker der Koalition wollen da durchaus auch etwas tun. Der rechtspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Volker Ullrich, sagte der »Welt«, für staatliche Einrichtungen, auch etwa den Nahverkehr, verbiete es sich, nach Geimpften und Nicht-Geimpften zu unterscheiden. »Im privaten Bereich gibt es hingegen eine Regelungslücke, die wir adressieren müssen.«
Der rechtspolitische SPD-Fraktionssprecher Johannes Fechner sagte der Zeitung: »Die SPD-Fraktion prüft derzeit gesetzliche Maßnahmen, wie Ungleichbehandlungen von Nicht-Geimpften und Geimpften durch die Privatwirtschaft ausgeschlossen werden könnten.« Allerdings machte er einen einschränkenden Zusatz: Wenn die für Februar von Biontech angekündigten Erkenntnisse zeigten, dass Geimpfte ansteckend seien, dann wäre eine Ungleichbehandlung epidemiologisch nicht zu rechtfertigen. Bisher ist zumindest denkbar, dass ein Geimpfter bei Kontakt mit dem Erreger zwar selbst nicht erkrankt, das Virus aber an andere weitergeben kann, wie das Robert-Koch-Institut erklärt.
Wenn die laufende Forschung aber das Gegenteil ergibt, sieht die FDP die Frage von Geimpften-Privilegien anders: »Steht aber fest, dass von einem Menschen weder für sich noch für andere eine Gefahr ausgeht, dann darf der Staat seine Freiheit nicht einschränken«, sagte Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) vom heutigen Dienstag.
Derweil hat Spaniens Gesundheitsminister Salvador Illa im einem Interview mit dem Fernsehsender La Sexta angekündigt, alle Bürger, die sich nicht gegen Corona impfen lassen wollen, in einem Register erfassen zu lassen. Jeder Bürger werde entsprechend des Impfplanes eine Einladung zu einem Impftermin erhalten. Die Impfung sei zwar freiwillig, aber wer der Einladung nicht folge, werde registriert. Das Register sei nicht öffentlich und der Datenschutz werde rigoros sein, aber die Daten würden »europäischen Partnern« zur Verfügung gestellt, betonte der Minister.
Auch in Spanien hatte vor zwei Tagen die Impfkampagne gegen Covid-19 begonnen. Die erste Spanierin, die geimpft wurde, war die 96-jährige Araceli Hidalgo in Guadalajara. Für die kommenden zwölf Wochen rechnet die Regierung in Madrid mit insgesamt rund 4,6 Millionen weiteren Impfdosen, mit denen knapp 2,3 Millionen der 47 Millionen Bürger Spaniens geimpft werden sollen. Bis zum Sommer soll das Gros der Bevölkerung immunisiert sein.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.